Rasant-raffinierte Gesellschaftskritik

Dominique Manotti und ihr neuer Politthriller „Zügellos“

Christina Ujma

Marie-Noëlle Thibault schreibt unter dem Pseudonym Dominique Manotti Wirtschafts- und Politkrimis, die deutsche und europäische Feuilletons regelmäßig zu Begeisterungschören veranlassen. In Frankreich, Deutschland oder Italien landen ihre Thriller häufig auf Bestsellerlisten und sind vielfach mit Krimi- bzw. Literaturpreisen ausgezeichnet worden, was angesichts der Tatsache, dass Manotti eine dezidierte Linksautorin ist, ein wenig erstaunt. Die Linken freut‘s, denn Manotti, die ehemalige Gewerkschaftssekretärin und Universitätsdozentin für Wirtschaftsgeschichte, kennt die Schwächen des französischen Kapitalismus wie Filz, Korruption, Frauen- und Ausländerfeindlichkeit ganz genau.

Dominique Manotti

Die langen Schatten der Ära Mitterand

Manotti, die in den 1970er Jahren selber am Organizing türkischer MigrantInnen mitgearbeitet hat, verarbeitete diese Erfahrungen in dem 1995 erstmals erschienenen Thriller Sombre Sentier (»Hartes Pflaster«, Assoziation A 2004/2011) und erzielte damit umgehend den Durchbruch als Schriftstellerin. In den folgenden Jahren siedelte sie viele ihrer Thriller in der Ära Mitterand an, der Abfall vieler Linkspolitiker von ihren vormaligen Idealen wird immer wieder zum Thema. Gekonnt verarbeitet sie ihre Kenntnisse der internationalen Verflechtungen der französischen Industrie und der mit ihr befreundeten Politiker. Das steht im Zentrum ihres bislang wohl besten Krimis »Roter Glamour« (Argument 2011), in dem auch die Korruption innerhalb der Polizeidienste eine Rolle spielt. Das Besondere an Manotti ist, dass ihre Krimis trotz aller Aufdeckung politischer und wirtschaftlicher Zusammenhänge nie trocken wirken. Im Gegenteil: Die oft rasant erzählte Krimihandlung kommt nie zu kurz. In dem Thriller »Letzte Schicht« (Argument 2010) werden eine Betriebsschließung und die Deindustrialisierung Lothringens sowie der gewerkschaftliche Widerstand zum Gegenstand eines atemberaubend spannenden Thrillers.

In Deutschland ist Manotti erst relativ spät entdeckt worden, was vor allem dem Argument Verlag und seinen Manotti-Ausgaben zu verdanken ist, die den sprachlich und stilistisch anspruchsvollen Stil der Autorin in sorgfältiger Übersetzung wiedergeben und deutschen LeserInnen, die sich nicht ganz so gut mit Frankreich auskennen, Hintergrundinformationen bieten. In einem Literatur- und Anmerkungsapparat wird Interessierten die Möglichkeit zur Vertiefung des Themas gegeben.

Schurken, die über dem Gesetz stehen

Der im Sommer 2013 auf Deutsch erschienene Krimi »Zügellos« ist von der Themenstellung weniger brisant als zahlreiche Vorgängerromane und auch nicht so speziell in der französischen Politik verwurzelt, weshalb sich der Argument Verlag diesmal die Erläuterungen gespart hat. Der ursprünglich 1997 in Frankreich erschienene Krimi war ihr zweiter Roman und auch hier geht es um die Ära Mitterand und um ein Grüppchen Altlinke, die allesamt in den oberen Etagen der französischen Wirtschaft und Politik gelandet sind und sich an ihre linke Vergangenheit höchstens noch in sentimentalen Momenten erinnern. Ihr Motto ist: »Es ist heutzutage kein Verbrechen mehr, illegal zu Reichtum zu kommen. Es zeugt von Intelligenz und Stil. Nur wer von vorgestern ist, bleibt in den Achtzigern arm.« (S. 236)

Eine wichtige Rolle in »Zügellos« spielen die Machenschaften der französischen Versicherungswirtschaft, die sich im Spätsommer 1989 bereitmacht, Richtung Osten zu expandieren, denn das Ende des Eisernen Vorhangs war damals bereits abzusehen. Man trifft sich zu Planungen mit wichtigen Geschäftspartnern gern auf den Rennplätzen in und um Paris, wo man sich zudem gut mit Koks eindecken kann. Eine ermordete Kleindealerin nimmt man da noch hin, nicht aber, dass ein führender Manager samt Auto und Beifahrer in die Luft gesprengt wird. Das sorgt dann doch für Unruhe in der guten Gesellschaft und verstärkte Aktivitäten der Polizei. Während deren Ermittlungen treffen die LeserInnen den bereits aus dem Vorgängerroman „Hartes Pflaster“ bekannten schwulen Polizeiinspektor Daquin wieder, der bald Licht in die finsteren Machenschaften aus Drogenhandel, Rennsportbetrug, Wirtschaftskriminalität und mafiösen Umtrieben bringt. Als er dabei diversen wichtigen Leuten auf die Zehen tritt, wird er von dem Fall abgezogen und ermittelt zusammen mit seinen Leuten auf eigene Faust weiter, was sein Team bis nach München führt. Die Tatsache, dass Daquin einige der Protagonisten des Falles aus der Schwulenszene kennt, ermöglicht ihm Einblicke der besonderen Art. Am Ende verbündet sich der weitgehend integre Daquin mit der exlinken Spitzenmanagerin Agathe, um den Mörder zur Strecke zu bringen. Wie bei den meisten Manotti-Thrillern ist das Ende des Falles wenig dazu angetan, FreundInnen der Rechtsstaatlichkeit und der korrekten strafrechtlichen Prozedur Freude zu bereiten. Dies scheint aber durchaus von der Autorin beabsichtigt zu sein, denn ihre Schurken aus den herrschenden Kreisen stehen so weit über dem Gesetz, dass sie mit rechtsstaatlichen Mitteln einfach nicht zu belangen sind.

Christina Ujma ist Kulturwissenschaftlerin. Sie schreibt regelmäßig für prager frühling und die Zeitschrift „Sozialismus“.