Gretchenfrage

Sag mir, wie hältst du es mit den Lebensmitteltafeln

Katrin Göring-Eckardt, MdB Bündnis90/Die Grünen

Die Tafelbewegung ist ein wunderbares Beispiel für das blühende bürgerschaftliche Engagement in unserer Gesellschaft. Tafeln sind nicht nur Helfer in der Not – etwa für die alleinerziehende Mutter, die für ihr Kind keinen Krippenplatz gefunden hat oder für die Rentnerin, deren Ehemann plötzlich gestorben ist. Tafeln sind darüberhinaus Orte, an denen Menschen, die sich „draußen“ fühlen, die Möglichkeit eröffnet wird, wieder am sozialen und kulturellen Leben teilzunehmen. An Tafeln findet Hilfe direkt und auf Augenhöhe statt, und sie ermöglichen den Austausch mit anderen Menschen. Sie sind kleine, gelebte Utopien und brauchen deswegen unsere politische Unterstützung. Eines sollte aber klar sein: Die Tafelbewegung darf nicht als Alibi für Kürzungen beim Sozialstaat missbraucht werden. Eine solidarische Gesellschaft braucht das soziale Engagement „von oben“ genauso wie das „von unten“.

Luise Molling, Aktionsbündnis 20 Jahre Tafeln

Die Tafeln sind ursprünglich angetreten, um noch essbare Lebensmittel an Obdachlose zu verteilen, die aus dem sozialen Netz gefallen sind. Das war sinnvoll. Wenn aber 50.000 Ehrenamtliche eine steigende Zahl verarmter Hartz-IV-BezieherInnen, NiedriglöhnerInnen und RentnerInnen mit Abfällen der Wohlstandsgesellschaft versorgen, machen sie sich zum Ausfallbürgen des Sozialabbaus. Der Lebensmittelhandel freut sich über gesparte Entsorgungskosten, die Politik über die Linderung schlimmster Armutsfolgen, BürgerInnen beruhigen per Knopfdruck am Pfandautomat ihr soziales Gewissen und die Medien singen das Hohelied auf‘s freiwillige Engagement der Helfenden. Für NutzerInnen ist der Tafelbesuch meist demütigend, auch ihre von gesellschaftlicher Exklusion geprägte Lage ändert sich dadurch nicht. Fakt ist: Sowohl das Armuts- als auch das Überschussproblem können eben nur auf politischem Wege ursächlich und somit nachhaltig gelöst werden. Das kostet aber Geld und gibt keine so schönen Pressefotos.

Bernd, Homo Brotus Depressivus

Einfach Mist. Als ob einem als Brot nicht schon genug zugemutet wird. Bauernministerin Ilse fordert ständig, dass man Brot nicht alt werden lassen soll. Wo leben wir denn? Ich sag sowas doch auch nicht über die! … und die Tafeln verteilen Brot unter den Armen. Ich bin doch kein Deo. Das sollen sie mal mit Kuchen machen. Na gut. Ich lern dann mal wieder das Muster der Rauhfasertapete auswendig. Ach Mist.

Gregor Gysi, Fraktionsvorsitzender DIE LINKE

Bundesweit 900 Tafeln sind Ausdruck für gesellschaftliche Verhältnisse, in denen Arme immer ärmer und Reiche immer reicher werden. 12 Millionen Menschen, 20 Prozent im Osten und 14 Prozent im Westen, unter ihnen 2,5 Millionen Kinder, leben in Armut oder sind von Armut bedroht. Die Verantwortung tragen die Bundesregierungen insbesondere seit der rot-grünen Agenda 2010. Hartz IV, die Ausdehnung von prekärer Beschäftigung und das Sinken von Löhnen und Renten hat zu einem rasanten Anstieg der Armut geführt. Die Tafeln sind Ersatz für staatliches Handeln. Sie sind so lange für viele Betroffene unentbehrlich, so lange nicht endlich mit einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, höheren Hartz-IV-Regelsätzen und höheren Renten Armut wirksam bekämpft wird und allen Bürgerinnen und Bürgern eine sichere Existenz, gesellschaftliche Teilhabe und gleiche Bildungschancen ermöglicht werden. Tafeln sind eigentlich ein Skandal, trotzdem notwendig und ihr Überflüssigwerden ein Grund zum Feiern.

Raúl Aguayo-Krauthausen, Sozialhelden e.V.

Als mir die Gretchenfrage zum Thema „Tafeln“ gestellt wurde, musste ich als erstes an die Berliner Tafel denken. Meine spontane Antwort: „Tafeln sollte es nur in Schulen geben.“ Der Spontanität folgte Überlegung. Denn seit 2006 unterstützen wir, die Sozialhelden, mit unserem Projekt „Pfandtastisch helfen!“ auch die Berliner Tafel. In über hundert Kaiser’s Märkten in Berlin können Kunden ihren Pfandbons in einer Box neben den Rückgabeautomaten spenden. Durch diese Spenden kann die Berliner Tafel ihren Fuhrpark weitestgehend finanzieren. In den letzten Jahren wurde ich für diese Idee als Social Entrepreneur oder Sozialunternehmer bezeichnet, aber manchmal frage ich mich schon, ob es nicht die Aufgabe des Staates ist, sein Volk zu versorgen und es eigentlich die Berliner Tafel gar nicht geben dürfte? Ich finde das Engagement der Tafeln super und würde mir diesen Einsatz auch von Behörden wünschen.