Gibt es das richtige Essen im Falschen?

Fragen an die Ernährungsökologin Dr. Katja Schneider:

Tobias Schulze

prager frühling: Essen und Trinken sind Grundbedürfnisse, die aber mit sehr unterschiedlicher Bewusstheit gestillt werden. Manche essen, was es halt gibt, andere machen eine Wissenschaft daraus. Sie forschen zur Ernährungsökologie und befassen sich mit der Komplexität unserer Ernährungsgewohnheiten – von der Produktion bis zur Konsumption. Können wir tatsächlich die Welt verbessern, indem wir anders essen?

Was für ne Frage, denkt sich Adorno am Strand.

Katja Schneider: An sich wäre das eine nette Vorstellung, wenn wir die Welt einfach „besser essen“ könnten. Aber leider sind die aktuellen Probleme auf dieser Welt alles andere als einfach. Trotzdem können wir mit unseren alltäglichen Entscheidungen, was wir essen und trinken, Einfluss darauf nehmen, wie viel Kohlendioxid damit produziert, wie viel Fläche belegt oder unter welchen Bedingungen Tiere gehalten werden. Schließlich müssen wir davon ausgehen, dass unsere Ernährung neben Effekten auf individuelle Bedürfnisbefriedigung und Gesundheit immer auch Auswirkungen auf Umwelt, Gesellschaft und Ökonomie hat und umgekehrt all diese Aspekte auf unser Ernährungssystem zurück wirken. Für die Umwelt heißt das beispielsweise, dass in Deutschland etwa 20 Prozent allen Energieverbrauchs und der CO2-Emmission durch unsere Ernährung verursacht werden. Der damit verbundene vom Menschen verursachte Klimawandel wird in Zukunft wesentlich die Nahrungsproduktion beeinflussen. Von Temperaturerhöhungen und Niederschlagsveränderungen im negativen Sinn betroffen sein wird vor allem die Landwirtschaft in vielen Ländern Afrikas. Auswirkungen unseres Ernährungsverhaltens zeigen sich also dort, wo ohnehin die Ernährungssicherheit gering und die Unterernährung hoch sind. Unter dieser Perspektive können wir mit anders essen die Welt vielleicht nicht retten, üben aber mit den alltäglichen, bewussten oder unbewussten, Konsumentscheidungen Einfluss auf deren Entwicklung aus.

pf: In wohlhabenden Industriestaaten existiert eine Gegenbewegung zur Industrialisierung der Essgewohnheiten. Biologische Herstellung, Urban Gardening oder Slow Food sind nur einige Stichworte. Auch hierzulande erscheint nachhaltiges Essen als ein Privileg der gebildeten Besserverdienenden. Werden nicht sozial schwächere Schichten vom elitären Diskurs über gutes und teures Essen vollkommen abgehängt oder gar diskriminiert?

Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, wie dieser Diskurs geführt, welche Richtung zum „guten Essen“ gewiesen wird. Wird nachhaltiges Essen lediglich mit dem Kauf von Lebensmitteln aus ökologischem Landbau oder der Konzentration auf regionale handwerklich erzeugte Spezialitäten gleichgesetzt, erscheint die Kritik der sozialen Benachteiligung angebracht. Nachhaltiger Konsum im Bereich Ernährung hat jedoch sehr viel mehr und vor allem vom Einkommen unabhängige Facetten. Pflanzenbetonte Kost steht ganz oben auf der Liste der Empfehlungen für eine nachhaltige Ernährung. Gering verarbeitete oder saisonale Lebensmittel machen das Essen nicht teurer, sondern sind ernährungsphysiologisch betrachtet oft sogar sinnvoller.

Aber vielleicht sollten wir in dieser Diskussion die Perspektive erweitern und nicht nur an der Verantwortung der KonsumentInnen ansetzen, sondern ebenso die Verantwortung entlang der gesamten Produktkette mitdenken. Diese fängt bei der landwirtschaftlichen Erzeugung an und geht über Verarbeitung, Handel und Außer-Haus-Verpflegung. Darüber hinaus können auf Preis, Verfügbarkeit, Zeitverwendung oder Bildung abzielende politisch bedingte Rahmenbedingungen dazu beitragen, dass ein nachhaltiger Ernährungsstil eher normal und den Ernährungsalltag bereichernd statt asketisch wahrgenommen wird.

pf: Was bei uns Privileg ist, erscheint anderswo als nackte Notwendigkeit. Regionale Produktionskreisläufe und Subsistenzlandwirtschaft werden in den europäischen Krisenstaaten mehr denn je zum Überleben gebraucht. Auch in anderen Regionen wie China, Indien, Nordafrika oder Lateinamerika lösen explodierende Nahrungsmittelpreise sozialen Protest aus. Bringen Wirtschaftskrisen eine Transformation der Ernährungsproduktion in Gang?

Diese Frage kann uns wohl nur die Zukunft beantworten. In Industrieländern können auf jeden Fall jenseits der konventionellen Ökonomie alternative Entwicklungen beobachtet werden: Solidarische Landwirtschaft als Zusammenschluss von einem landwirtschaftlichen Betrieb mit einer Gruppe privater Haushalte, Food-Coops, Saisongärten, Tauschringe für Dienstleistungen oder Foodsharing-Initiativen, um Lebensmittel zu teilen statt wegzuwerfen. Ob diese in der Nische bleiben oder zu einem Stück selbstverständlicher Ernährungsrealität werden, wird sich zeigen.

pf: Neue Technologien in der Lebensmittelproduktion wie etwa transgene Pflanzen oder das Klonen von Fleisch werden gern mit der Begründung gefördert, dass zukünftige acht Milliarden Erdenmenschen nicht anders zu ernähren seien. Sieht so ein nachhaltiger Weg zur Lösung des Welternährungsproblems aus?

Zahlen und theoretische Berechnungen zeigen, dass der Hunger auf der Welt aktuell weniger als ein Produktions- sondern als ein Verteilungsproblem einzuschätzen ist. Alternative Szenarien zur Lösung des Welternährungsproblems setzen auf nachhaltige Landbewirtschaftung, Regulierung von Landvergabe bzw. veränderte Ernährungsstile.

Im Weltagrarbericht wird der Schwerpunkt auf Erhalt und Erneuerung der natürlichen Lebensgrundlagen durch langfristig naturgerechte Nutzung gelegt. Statt Orientierung auf neue Technologien, Intensivanbau in Monokulturen oder Gentechnik wird auf eine kleinräumig strukturierte, standortgerechte und ökologisch nachhaltige Landwirtschaft fokussiert. Potenzial für nachhaltige Lösungen liegt demnach in intelligenten traditionellen Anbaumethoden, herkömmlich bewährten Verarbeitungsmethoden, durch partizipative Züchtung erzeugtem Saatgut, Nutzung von natürlichem Dünger sowie regionalen Vermarktungsstrukturen.

pf: Zum Schluss die Schlüsselfrage: Was soll jemand tun, der sich ökologisch und sozial nachhaltig versorgen, gut essen will und nur mäßig viel Geld hat?

Eher pflanzliche als tierische Lebensmittel essen, die der Saison und in der Menge dem tatsächlichen Verbrauch entsprechend ausgewählt, möglichst aus ökologischem, vielleicht aus eigenem Anbau oder über eine Einkaufsgemeinschaft bezogen, fair gehandelt, zu Fuß oder mit dem Fahrrad eingekauft werden. Und das Wichtigste dabei ist: mit Genuss essen.

Dr. Katja Schneider, Haushalts- und Ernährungswissenschaftlerin, ist seit 2003 wissenschaftliche Mitarbeiterin der Arbeitsgruppe Ernährungsökologie am Institut für Ernährungswissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen und seit 2008 Projektleiterin der „Vernetzungsstelle Schulverpflegung Hessen“. Neben Schulverpflegung in Theorie und Praxis gehört zu ihren Arbeitsschwerpunkten die ernährungsökologische Forschung und Lehre.