Möhre im Tank

Autoindividualismus macht agro

Steffen Kommer

Auto fahren macht Spaß. Es ist so individuell und schnell. Es gibt viele Wege zu befahren, die fast überall hinführen. Gleichzeitig kurbelt der Autokauf die Wirtschaft an, schafft Arbeit und muss deshalb in Krisenzeiten mit Abwrackprämien belohnt werden. Auch die Chinesen mögen neuerdings Automobile „Made in Germany“. Selbst wenn sich nur ein Bruchteil von denen einen PKW leisten kann, sind das immer noch Millionen, die auf unsere Marken (außer Opel) abfahren. Blöd nur, dass die Benzinpreise immer weiter steigen und „Peak Oil“ wie ein Damoklesschwert über dem Modell des motorisierten Individualverkehrs baumelt.

Das schöne neue Biomärchen

Aber auch dafür gibt es scheinbar eine Lösung: Biokraftstoffe! Jetzt gilt es nur noch, die Leute davon zu überzeugen, dass diese wohlschmeckend und leicht verdaulich von jedem Automagen geliebt werden. Hier sind die Deutschen empfindlich. Schließlich sind Garagen häufig größer als Kinderzimmer. Entwicklungspolitisch scheint der neue Bio-Boom eine klassische Win-win-Situation heraufzubeschwören. Statt Agrarüberschüsse zu Dumping-Preisen in Afrika zu verschleudern und damit lokale Märkte zu zerstören, verkochen wir sie besser zu Biosprit. Bei Bedarf importieren wir den grünen Saft aus dem Süden, wo riesige Brachflächen umgehend mit Energiepflanzen bestückt werden können. Soweit die Ernte nicht maschinell erfolgt, wird sogar die ein oder andere pflückende Hand gebraucht. Arbeitsplätze entstehen; zwar nur saisonal, dafür auch für Geringqualifizierte! Was die EU mit ihrem Agrarprotektionismus bislang versäumte, kann sie durch Öffnung ihrer Biokraftstoffmärkte nun nachholen. Vielen Entwicklungsländern könnte dies eine erneuerbare Devisenquelle mit unschätzbarem Wert verschaffen. Gewisse komparative Kostenvorteile lassen sich nicht leugnen: Während hier die Felder im Winter brach liegen, scheinen Zuckerrohr, Ölpalmen und Purgiernuss rund um den Äquator zeitlos und fast wie von selbst zu wachsen.

Freier Wettbewerb zwischen Tank und Teller

Doch spätestens seit Dirk Niebel einen Verkaufsstop des Biosprits E10 forderte, wissen wir, dass irgendetwas am Biosprit faul ist. Merkwürdig, dass sich gerade einer gegen den freien Wettbewerb zwischen Tank und Teller aussprach, der das Konkurrenzprinzip sonst so hoch hält. Sind die Lebensmittelpreise durch die zunehmende Nachfrage nach pflanzlichem Material tatsächlich so stark gestiegen, dass wir auf die Armen dieser Erde Rücksicht nehmen müssen? Eigentlich lässt sich das angesichts der Komplexität der Märkte kaum nachweisen. Wir leben schließlich nicht in einer globalen Planwirtschaft. Die Missernte in Iowa und die zunehmende Spekulation in Chicago könnten auch schuld sein. Sowieso importiert die EU bereits jetzt eine virtuelle Fläche von 30 Millionen Hektar für ihren gehobenen Ernährungsstil, so dass die für den Energiepflanzenanbau derzeit benötigten 7 Millionen Hektar nicht weiter ins Gewicht zu fallen scheinen. Wenn wirklich etwas gegen die Hungerkrise getan werden sollte, müsste vor allem die Produktivität und der Marktzugang armer Agrarländer gestärkt werden. Niebel forderte allerdings nicht die Umstrukturierung des globalen Agrarsystems, sondern lediglich die Aussetzung einer unliebsamen Subvention. Zudem stellte sich der Oberfeldwebel gegen eine EU-Richtlinie, die nicht unbedingt in sein Ressort fällt. Es geht um die im Verkehrssektor jedes Mitgliedstaates verbrauchte Energie, die bis 2020 mindestens zu 10 Prozent aus erneuerbaren Quellen stammen muss. Gegen solche staatlichen Eingriffe ins freie Marktgeschehen muss im Grunde jedes wirtschaftsliberale Herz aufbegehren. So passt das Wettern gegen E10 schließlich doch ins Weltbild des FDP-Politikers.

Weltgesellschaftliche Realkonflikte

Während Niebel sich eher spontan gegen den übermäßigen E10-Konsum positionierte, kritisiert Jean Ziegler die Agrokraftstoffpolitik des Westens seit 2007. In diesem Jahr explodierten die Weltagrarpreise innerhalb weniger Monate, wodurch zusätzlich 75 Millionen Menschen in den Hunger getrieben wurden. Der frühere Sonderbeauftragte für das Recht auf Nahrung spricht strukturelle Ungerechtigkeiten an und kratzt nicht bloß an der Oberfläche weltgesellschaftlicher Realkonflikte. Auch sein Nachfolger, Olivier De Schutter, kämpft in erster Linie für die über zwei Milliarden Kleinbäuerinnen und Kleinbauern weltweit, die sich von weniger als zwei Hektar Land ernähren müssen. Etwa die Hälfte von ihnen gehört wie viele Landlose, HirtInnen, FischerInnen und Arme in Städten zu der fast einer Milliarde Menschen, die unter Hunger leiden.

Im Kern geht es um den Kampf zwischen zwei Agrarmodellen. Während weltweit insgesamt immer noch 2,6 Milliarden Menschen von der Landwirtschaft, inklusive Vieh- und Forstwirtschaft sowie Fischerei leben, wird der Agrarhandel von wenigen transnationalen Unternehmen wie Cargill, ADM und Bunge dominiert. Das Modell der industriellen Agrarwirtschaft, welches auch vom Biomasse-Boom getragen wird, setzt auf den Einsatz von künstlichen Düngemitteln und Pestiziden und kommt fast ohne Arbeitskräfte aus. Durch Land Grabbing, d. h. die Pacht riesiger Flächen vor allem im subsaharischen Afrika und Südamerika, verschaffen sich kapitalintensive Unternehmen den Zugang zu fruchtbaren Böden und Süßwasserreserven. Die natürlichen Ressourcen, welche häufig auch als Gemeingüter genutzt wurden, stehen der Subsistenzwirtschaft nicht mehr zur Verfügung. In den Mega-Städten des globalen Südens wachsen die Slums; die Arbeitskraft der Vertriebenen wird von den modernen Fabriken kaum absorbiert.

Der Kampf ums Recht auf Nahrung

Könnte die Biomasse nicht ökologisch verträglich von KleinbäuerInnen angebaut werden? Im Grunde schon. Doch sollte die Energie dann nicht auf unseren Autobahnen verpuffen, sondern lokal genutzt werden. Vielleicht sollten die Menschen auch vorher gefragt werden. Ernährungssouveränität statt bloßer Versorgungssicherheit heißt die Devise, die sich vor allem die kleinbäuerliche Sammelbewegung La Via Campesina auf die Fahnen geschrieben hat. Sie fordert eine Konvention zum Schutz der Rechte von Kleinproduzierenden auf Land, Wasser, Technologie, Kredite für eine selbstbestimmte Nahrungsgewinnung. Hier in Europa geht es vor allem um einen Systemwechsel hin zu Agrarsubventionen, welche nur ökologisch und sozial arbeitende Bauernhöfe unterstützen. Statt auf grünen Treibstoff, sollte im Verkehrssektor zukünftig auf Elektromobilität gesetzt werden. Die gibt es allerdings schon als Kollektivmodell. Sie verläuft meist auf Schienen und nennt sich Öffentlicher Personennahverkehr.

Steffen Kommer fährt fast jeden Tag früh morgens mit Kind im Fahrradanhänger zur Kita. Zusätzlich promoviert er am Zentrum für Europäische Rechtspolitik (Uni Bremen) zum Konflikt zwischen der EU-Agroenergiepolitik und dem Recht auf Nahrung.