Sozialismus aus der Totalen

Uwe Schaarschmidt

Da sind wir aber immer noch! Die Welt ist unübersehbar noch an ihrem Platz, die Maya hatten unrecht. Schön, dass es endlich einen zweiten Unrechtsstaat gibt. Dennoch bereitet der ausgefallene Weltuntergang einigen Schmerz, denn, so die Quintessenz „vons Janze“: Auch Indianer können irren. Kann man jetzt der Weissagung der Cree noch trauen? Was, wenn sich nach umfassendem Fischsterben und Versieglung aller Böden herausstellt, dass man Geld sehr wohl essen kann? Dann sind wir Kleinsparer - oder wie man heute sagt die „in prekärem Wohlstand Lebenden“ - schön gelackmeiert! Die Reichen futtern genüsslich ihre gebündelten Millionen, während wir darben und jeden Fünfer zweimal umdrehen, bevor wir ihn in unsere Schlünde schieben. Einziger Trost: Die armen Teufel in den Ländern mit weicher Währung können sich auch mal richtig den Bauch vollschlagen.

Uwe Schaarschmidt

Vorerst jedoch müssen wir damit leben, dass wir noch nicht tot sind. Dabei hätte ich nicht viel daran auszusetzen gehabt, wäre die Erde am 21. Dezember des vorigen Jahres verdampft. Beschwert hätte ich mich im Nachhinein jedenfalls nicht. Zum einen habe ich ohnehin keine großen Probleme mit dem Tod, da ich vorgeburtlich mit meiner Nichtexistenz ganz gut klar kam und nicht weiß, warum dies nach meinem Ableben viel anders sein sollte. Zum anderen sind die Vorteile der irdischen Gesamtinsolvenz auch schwerlich zu übersehen: Unzählige Probleme, die man nicht mehr hat, stehen den wenigen Freuden (Bier, sexistische Witze, frische Bettwäsche) gegenüber, die man vermissen könnte, aber nicht vermissen kann, weil man ja nicht mehr da ist. Eine eindeutige Win-Win-Situation, die ihre Eleganz aus der Betrachtung in der Totalen bezieht: Ich kann Henryk M. Broder nicht mehr sabbern hören — während er wiederum auch gar nicht mehr sabbern kann. Pure Gerechtigkeit ist das, fast schon Sozialismus!

Aber nichts da — wir sind noch! Und es ist nicht leicht, auf der gerade noch am Untergang vorbei geschrammten Welt. Alles kostet! Nehmen wir nur die Medien. Das teuerste, so scheint es der Leserschaft, müssen wohl korrekte Quellangaben sein. Es muss um Millionen gehen, die hier von Einzelpersonen für Zitate gefordert werden. Anders ist der ständige Verweis auf „Parteikreise“ und „führende Parteimitglieder“ nicht erklärbar, mit denen die neuesten Erkenntnisse unter die die Leute gebracht werden.

Ungefähr so: „Darf ich Sie namentlich zitieren?“ „Nun - kommt drauf an, was es Ihnen wert ist!“ „Okay, Herr führendes Parteimitglied, so viel habe ich leider nicht!“ „Gut - dann nennen Sie mich doch einfach ‚führendes Parteimitglied‘ — das ist mit ‚Parteikreisen‘ auch so abgestimmt!“ „Mit dem Schatzmeister?“ „Sagen wir es so: Mit einem ‚einflussreichen Vorständler.‘“ „Aha. Darf ich dann auch schreiben, dass es an der Basis grummelt?“ „Sind Sie verrückt? Wenn es bei uns irgendwo grummelt, dann bestenfalls in ‚Teilen der Basis!‘“ „Oh - ich vergaß, entschuldigen Sie bitte!“ „Schon gut, sie können gern auch von ‚einzelnen Landesverbänden‘ schreiben.“ „Da grummelt es?“ „Nun — zumindest in ‚Teilen einzelner Landesverbände!‘“ „Oh - das hilft mir schon weiter, Danke!“

Hätte die Welt sich an die Berechnungen der Maya gehalten, gäbe es all dies nicht mehr. Und ein paar andere Dinge auch nicht. Indes: Suizid ist auch keine Lösung: Der Gedanke an die Gleichgültigkeit der Hinterbliebenen nimmt einem jede Vorfreude auf die Zeit danach!

Uwe Schaarschmidt lebt in Dresden, einer Stadt, in der es teilweise grummelt. Für den „prager frühling“ schreibt er auf Anforderung, was ihm gerade einfällt. Das ist manchmal nicht viel, aber immer ehrlich.