Ball-Saison

An einem Ufer CSD — am anderen Fußballeuropameisterschaft der Männer?

Tanja Walther-Ahrens

Nicht nur die CSD-Saison beginnt im Juni, sondern auch die Fußballeuropameisterschaft der Männer in der Ukraine und Polen. Ball-Saison von unterschiedlichen Ufern. Der Graben zwischen ihnen scheint allerdings tief zu sein, zumindest wenn man Mario Basler glaubt. Der ehemalige deutsche Nationalspieler, behauptete in einer 2008 ausgestrahlten Dokumentation des Deutschen Sport Fernsehens, dass Homosexualität und Fußball aber auch gar nichts miteinander zu tun haben: Auf die Frage nach schwulen Fußballern antwortet er: „Gibt es nicht, sag ich nix dazu. Gibt es nicht. Es gibt keine schwulen Fußballer.“ Und wo es keine schwulen Fußballer gibt, gibt es auch keine Homophobie, wie der Präsident des französischen Fußballverbandes, Jean Pierre Escalettes, in einem 2009 veröffentlichten Film feststellt: „Die Französische Charta gegen Homophobie im Fußball lenkt die Aufmerksamkeit auf etwas, das zum Glück nicht verbreitet ist.“ Gemeinsam haben die Homosexuellen und die Fußballspielenden also nur den Feiermonat Juni?

Die schönste Nebensache der Welt ist mittlerweile ein globales Phänomen und wird erfolgreich als Event verkauft. Fußball ist ein ökonomischer Machtfaktor und besitzt große mediale Bedeutung. Selbst wer sich nicht für Fußball interessiert, erhält gewollt oder nicht die vielfältigsten und neuesten Informationen rund um den Fußball in Wort, Ton und Bild. Das Spiel mit dem Ball fasziniert Menschen jeglichen Alters und jeglicher Herkunft, aber auch jeglicher sexueller Orientierung?

Profivereine sind schon längst keine Sportvereine mehr, sondern große Unternehmen mit Millionen Umsätzen. Doch so modern Fußball sich darstellt, so altmodisch und konservativ ist er zugleich. Fußball ist ein Kampf- und Männersport, sowohl auf dem Platz als auch in den Stadien. Damit einher gehen Sexismus und Homophobie. Frauen, die Spaß am Zweikampf haben, sind lesbisch oder schmückendes Beiwerk der männlichen Fans. Offiziell gibt es weltweit keine schwulen Fußballer. „Schwul“ ist im Fußball nur, wer das Tor nicht trifft oder Schiedsrichter ist.

Ob dies daran liegt, dass die ca. fünf bis zehn Prozent Homosexuellen, die es statistisch in den europäischen Profiligen geben müsste ein Doppelleben zwischen dem Machosport Fußball und den eigenen Bedürfnissen führen und mit der ständigen Angst vor Entdeckung, Veröffentlichung oder Zwangs-Outing leben. Oder ob es eher damit zu tun hat, dass Schwule durch die Strukturen des Fußballs ausgesondert werden und tatsächlich nicht in den Profiligen spielen, sind reine Spekulationen.

Lesbische Frauen stehen sowohl auf dem Platz, als auch auf den Rängen anderen Problemen und Diskriminierungen gegenüber als schwule Männer. Fußball gilt immer noch als Teil „männlicher Sozialisation“. Frauen im Fußball werden somit schnell mit sexistischen Diskriminierungen konfrontiert, die nahtlos in Homophobie übergehen. Hinzu kommt, dass Vereine und Verbände keine lesbischen Spielerinnen in ihren Teams wollen. Häufig wird Stillschweigen über die sexuelle Orientierung der Spielerinnen vereinbart. Die Deutsche Nationalspielerin Lira Bajramaj schreibt in ihrer Biografie: „Dadurch, dass alle immer nur hinter vorgehaltener Hand reden und nie offen damit umgehen, machen sie aus etwas ganz Normalem etwas Anrüchiges.“ Wie bei den männlichen Kollegen hat sich noch keine Spitzenspielerin öffentlich geoutet.

Bisher sind es zumeist Lesben und Schwule selbst, die viel für ihre Sichtbarkeit im Breitensport und im Fußball tun: Zahlreiche lesbisch-schwule Sportvereine, lesbisch-schwule Fußball-Fanklubs oder große internationale Veranstaltungen wie etwa die EuroGames oder die Gay Games führen zu Sichtbarkeit und Gleichberechtigung. Zwar gibt es mittlerweile punktuelle Unterstützung zur Liberalisierung und Enttabuisierung von Homosexualität im Fußball. So unterstützte der Deutsche Fußball Bund (DFB) beispielweise CSD-Wagen in Köln und Berlin sowie die Ausstellung der European Gay & Lesbian Sport Federation (EGLSF) „Gegen die Regeln – Lesben und Schwule im Sport“ und lud im Januar 2012 zu einem Dialogforum „Vor dem Ball sind alle gleich - sexuelle Identitäten im Fußball“ ein, aber in vielen Bereichen des Verbandes und der Vereine wird Homosexualität weiterhin tabuisiert und als Provokation empfunden. Es sind immer wieder dieselben Klischees und Vorurteile, die benannt werden und die Ängste schüren: Angst vor Ansteckung, Angst vor Belästigung oder Missbrauch, Angst vor Berührung durch Homosexuelle.

Weitere positive Aktionen von nationalen oder internationalen Fußballverbänden sind kaum zu berichten. Lediglich der englische Fußballverband thematisiert hin und wieder die Diskriminierung von Homosexuellen auf unterschiedliche Weise. Der europäische Dachverband UEFA hat seit einem Workshop im Jahr 2006 wenig zur Emanzipation Homosexueller beigetragen. Gerade in der Ukraine oder Polen wäre es aber wichtig auf die Einhaltung der in Europa geltenden Menschenrechte zu achten, dazu gehört auch der gleichberechtigte Umgang mit homosexuellen Menschen.

Fußball, dieses Spektakel von heute, bietet eine ideale Plattform Millionen Menschen erleben zu lassen, dass dieses Spiel tatsächlich alle vereint. Dabei spielt es keine Rolle, ob der große Verband UEFA etwas tut oder der kleine FC Landverein. Vielfalt lässt sich sowohl durch plakative als auch durch alltägliche Maßnahmen fördern. Die Ball-Saison ist schließlich für alle da.

Tanja Walther-Ahrens ist Sportwissenschaftlerin und spielte aktiv in der deutsche Bundesliga der Frauen. Für Engagement gegen Homophobie im Fußball erhielt sie 2008 den Tolerantia-Preis zusammen mit Theo Zwanziger und Philipp Lahm und 2011 den Augspurg-Heymann-Preis. Im vergangenen Jahr hat sie das empfehlenswerte Buch „Seitenwechsel. Coming out im Fußball“ veröffentlicht.