20.01.2014

Gegen falsche Gleichungen

Zeitschrift Osteuropa Heft 10/2013 „Homosexualität und ihre Feinde“ Herausgeber: DGO e.V., 242 S.

Bodo Niendel

Um es gleich vorweg zu sagen, dieses Büchlein ist eine Bereicherung und trägt zur Versachlichung der Debatte um die Homosexuellenfeindlichkeit in Osteuropa bei. Die Mehrzahl der Beiträge widmet sich der Situation in Russland. Der Historiker Dan Healey zeichnet die Situation sexueller Minderheiten nach. Ähnlich wie in anderen europäischen Staaten entwickelte sich auch in Russland ab etwa 1870 Formen homosexueller Subkulturen. Marginalisiert und zumeist auf St. Petersburg und auf Moskau beschränkt, trafen sich Schwule aber auch Lesben in Cafés, in Parks und auf Plätzen, in öffentlichen Toilettenanlagen kam es zu Mann-männlichen Begegnungen. Die patriachalen Verhältnisse diskriminierten diese Lebensweisen, jedoch wurde sie, anders als in Deutschland, nicht strafrechtlich verfolgt. Entgegen so mancher linker Mythen, stellte das Engagement Alexandra Kollontais für die sexuelle Befreiung in der Folge der Oktoberrevolution nur eine Randerscheinung dar. Die Bolschewiki sahen in der Homosexualität einen „nicht zu tolerierendes Makel.“ Sie gingen mit Razzien gegen Treffpunkte vor und so war es nur konsequent, dass 1933/1934 „Sodomie“ zum Straftatbestand erklärt wurde. Sie galt als westlich, dekadent und Ausdruck kapitalistischer Verhältnisse. In der russischen Literatur kam Homosexualität zumeist nur am Rande oder kodiert vor, erläutert Ullrich Schmid in seinem Beitrag. Eine Ausnahme bildete der Roman „Kryl`ja“ von Michael Kuzmann, der 1906 ein Boheme-Ideal einer homosexuellen Identität besang. Im Kontext der repressiven russischen Sexualpolitik wagten LiteratInnen daran kaum noch anknüpfen. Diese Zeit wog nach und so ist Homosexualität in der russischen Literatur weiterhin eine Randerscheinung.

Der mittlerweile verstorbene Igor` Kon zeichnet anhand empirischer Erhebung seit 1990 die erschreckend negative Einstellung der Bevölkerung gegenüber Lesben und Schwulen nach und konzediert eine ideologische Polarisierung, bei der sexuelle Minderheiten zur „unfreiwilligen Geisel einer neuen Konfrontation zwischen Russland und dem Westen geworden“ sind. Wenn der Grad der Homophobie der Lackmustest für eine Demokratie ist, so färbt sich das Lackmuspapier im Fall Russland schamrot, so Kon.

Erhellend sind die Beiträge von Natalija Zorkaja und Nikolay Mitrokhin zur Russisch orthodoxen Kirche (ROK). Sie belegen, dass die ROK ihre zumeist ablehnende Haltung nur selten theologisch dafür umso häufiger politisch begründet. Das Putinregime stützt sich in seiner Begründung des sogenannten „Anti-Homo-Propagandagesetz“ auf die Positionen der ROK, auch weil es sonst kaum eine akzeptable zivilgesellschaftliche Gruppe gibt, auf die es sich stützen könnte. Natürlich gibt es innerhalb ROK auch Modernisierer und – oh, wer hätte es gedacht- innerhalb dieses Männerbundes auch unzählige versteckte Schwule. Doch es fehlt der ROK an einer theologischen Debatte, wie sie andere Religionsgemeinschaften ausbildeten, da die Sowjetdiktatur diese rigoros unterband. So klammert sich die ROK an die konservativen Positionen des Putinregimes und umgekehrt. Das Interview mit der russischstämmigen Berliner Aktivistin Zlata Bossina des Vereins queertera lässt düsteres erahnen. Sie berichtet von erschreckenden Fällen von Verfolgung und gar zwei Morden in der Folge des "Anti-Homo-Propagandagesetzes."

Tschechien ist anders gelagert, wie Franz Schindler darlegt. Bereits 1921 gab es in Prag den ersten sexualwissenschaftliche Lehrstuhl weltweit, der einen regen Austausch zum Berliner Privatinstitut des Sexualwissenschaftlers Magnus Hirschfeld pflegte. Tschechien bzw. die Tschechoslowakei nahm eine sehr säkulare Entwicklung, und es bildete sich auch in der Zeit des Staatssozialismus eine sexuelle Liberalität heraus. Während der Zeit des großen Wandels, dem Fall des eisernen Vorhangs, spielte die Kirchen eben nicht die Rolle, wie z.B. in Polen. So verwundert es nicht, dass Tschechien, als erstes osteuropäisches Land, gleichgeschlechtliche Partnerschaft ermöglichte. Im Parlament stimmte überraschender Weise auch die Kommunistische Partei geschlossen für das Gesetz.

Thomasz Kitlinski und Pawel Leszkowicz vermitteln Hoffnung. Polen galt unter der Ära der Kaczyński-Brüder als das homophobe Land Osteuropas par excellence. Doch nach dem Abgang der Brüder hat sich die Situation in Polen verändert. Zwar kann man nicht von einer ausgesprochenen Homofreundlichkeit sprechen, doch die krassen Zeiten sind vorbei und es hat sich in den letzten Jahren eine bedeutsame und sehr rege queere Kunst- und Kulturszene ausgebildet.

Diese wissenschaftliche Publikation ist nicht nur lesenswert, sie ist notwendig. Sie hilft vereinfachte West (=Freiheit)/Ost (=Unfreiheit)-Schemata aufzubrechen und zeigt, dass sich Befreiungsmodelle und Ausdrucksformen (wie Gay-Prides) nicht einfach exportieren lassen. Vor gerade einmal 20 Jahren wurde in Deutschland der Paragraph 175 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Wir sollten uns vor einem überheblichen Zeigefinger gen Osten hüten, stattdessen zuhören und unsere Brüder und Schwestern in ihrem eigenen und spezifischen Kampf fördern, wenn und so wie sie es wünschen.

Bodo Niendel, stell. Vorsitzender der Initiative Queer Nations e.V., Referent für queer-Politik der Bundestagsfraktion DIE LINKE und wiss. Mitarbeiter von Harald Petzold, MdB

Veranstaltungshinweis:

Queer Lecture: Die sexuelle Vielfalt und ihre Feinde in Osteuropa

Es diskutieren: Zlata Bossina (quarteera, e.V., Berlin), Tomasz Kitliński (Sozialwissenschaftler, Brighton/Lublin) und Volker Weichsel (Redakteur „Osteuropa“, Berlin)

Moderation: Bodo Niendel (Politikwissenschaftler, Autor) und Jan Feddersen (Soziologe, Journalist und Autor). Vortrag und Diskussion mit Tomasz Kitliński in englischer Sprache.

5. Februar 19:00 Uhr im taz-Cafe, Rudi-Dutschke-Straße 23, 10969 Berlin-Kreuzberg

Eine Veranstaltung der Initiative Queer Nations e.V. und Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde,e.V. in Kooperation mit der taz