Die Zukunft der Abrüstung

Jan van Aken

Ehrlich gesagt könnte das Nachdenken über Abrüstung mich in tiefste Depressionen stürzen. Wohin ich auch sehe, schlägt mir massive Aufrüstung entgegen, und von Abrüstung ist weit und breit nichts zu sehen: hemmungslose Waffenexporte, die Entwicklung neuer Waffensysteme, ein völlig festgefahrener Abrüstungsprozess bei den Vereinten Nationen, und jetzt auch noch die Diskussion um noch höhere Militärausgaben der NATO.

Wie konnte es dazu kommen und was ist aus dem großen Abrüstungsschwung der 1990er Jahre geworden?

Das waren Zeiten. Wandzeitung aus der Vergangenheit der Abrüstung

Dafür zunächst einmal ein Blick auf die Rahmenbedingungen von Abrüstung. Historisch gab es genau einen einzigen Grund, warum Weltmächte Waffensysteme abgerüstet haben: Weil sie sie nicht mehr brauchten. Oder genauer: Weil ihre – politischen oder finanziellen – Kosten ihren (vermeintlichen) Gebrauchswert überstiegen. Zwei Beispiele:

Die Biowaffen-Konvention von 1972, die ein komplettes Entwicklungs-, Produktions- und Lagerungsverbot von Biowaffen weltweit vorsieht, wurde vom damaligen US-Präsidenten Nixon auf den Weg gebracht. Nicht, weil er ein Friedensengel war, sondern weil es die Analyse der US-Administration war, dass biologische Waffen für die US-Streitkräfte (die sie in Massen produziert und gelagert hatten) im Zeitalter der nuklearen Abschreckung weder taktisch noch strategisch von Nutzen waren, andererseits aber von kleineren Staaten so leicht herzustellen wären, dass sie eine echte Bedrohung für die USA werden könnten. Ein weltweites Biowaffen-Verbot würde einerseits eine potenzielle Bedrohung der USA reduzieren, ohne die Kampffähigkeit der USA in irgendeiner Weise einzuschränken. So und nur so konnte die biologische Abrüstung auf den Weg gebracht werden.

Ähnlich die nukleare Abrüstung in Zeiten des Kalten Krieges – das tausendfache Overkill-Potential in Ost und West machte militärisch wenig Sinn, verursachte aber massive Kosten. Ein Großteil der Atomraketen konnte von USA und UdSSR problemlos vernichtet werden, ohne eine sicherheitspolitische Schwächung befürchten zu müssen.

Diese Situation veränderte sich erst in den 1990er Jahren sichtbar. Bis dahin galt die Sicherheitspolitik als alleinige – und zwar zentrale – Domäne der Staatsgewalt, in der die Zivilgesellschaft nun so gar nichts zu suchen hatte. Bis heute sind internationale Abrüstungsverhandlungen in der Regel nicht offen für zivilgesellschaftliche TeilnehmerInnen. Ich selbst erinnere mich noch, einsam auf den Fluren des Genfer UN-Gebäudes vor den verschlossenen Türen der Biowaffen-Verhandlungen gesessen zu haben – während im Raum gegenüber bei Umweltverhandlungen hunderte von NGOs mit dabei waren und sich heftig einmischen konnten.

Und dann kam die Landminenkampagne. Ein Abrüstungsprozess, der maßgeblich von der Zivilgesellschaft initiiert worden war, der den öffentlichen Druck auf Regierungen so stark erhöhen konnte, dass sie am Ende gezwungen waren, sicherheitspolitische Zugeständnisse (in Form eines Landminenverbotes) zu machen. Das hat funktioniert, ein zweites Mal bei den Streubomben und ein halbes Mal beim Arms Trade Treaty, und es funktioniert bis heute – oder besser: könnte funktionieren, wenn wir denn in der Lage wären, eine ähnlich starke Kampagne zu einem neuen Abrüstungsprozess auf den Weg zu bringen.

Das wäre auch in der jetzigen historischen Situation wahrscheinlich der einzige Weg, neuen Schwung in die Abrüstung zu bringen. Oder, um dieser Ausgabe des prager frühling gerecht zu werden: Der Abrüstung zu einer neuen Zukunft zu verhelfen. Denn aus sicherheitspolitischem Eigeninteresse der Staaten (wie bei den biologischen Waffen zum Beispiel) wird sich in absehbarer Zukunft wohl noch weniger tun als in der Vergangenheit. Es gibt momentan keine Weltfriedensordnung, kein etabliertes Gleichgewicht oder Ungleichgewicht von Kräften, keinen Sicherheitsrahmen, in dem mögliche künftige militärische Konflikte absehbar, berechenbar wären. Neue Regionalmächte streben zu mehr militärischem Potential und verschieben damit die Landkarte. Deutschland macht unter Gauck und von der Leyen immer wieder deutlich, dass es sich selbst eine andere Rolle in der Welt der bewaffneten Auseinandersetzungen zudenkt. In einer solchen Situation wird kaum ein Land – zumindest keine der großen Mächte – auf irgendein Waffensystem verzichten, da künftige Bedrohungsszenarien oder militärische Lagen gar nicht abschätzbar sind, ganz anders als noch zu Zeiten des Kalten Krieges.

Von dieser Regel kann es jedoch mindestens eine Ausnahme geben: Für künftige Waffensysteme. So lässt sich beispielsweise die aktuelle Debatte um eine Ächtung vollautonomer Waffensysteme erklären, die ja auch von Staaten geführt wird, bevor es hier einen signifikanten öffentlichen Druck gibt. Solange ein Staat noch nicht über eine Waffe verfügt, wird sie natürlich leichter zur Verhandlungsmasse – zumal kein Staat absehen kann, wer technologisch die Nase vorn haben wird und deshalb ein generelles Verbot auch immer Selbstschutz sein könnte.

Hier sehe ich die Zukunft der Abrüstung: technologisch in die Zukunft schauen, präventiv internationale Verbote auf den Weg bringen, und als Zivilgesellschaft genau diesen Schwung nutzen, um weitere Abrüstungsschritte auf den Weg zu bringen. Auf die autonomen Waffensysteme gemünzt heißt das: Diese Debatte nutzen, um auch eine Verbot bzw. eine Ächtung von Drohnen und anderen unbemannten Waffensystemen durchzusetzen, hier lässt sich der öffentlichen Druck leichter entwickeln.

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland keine Waffen mehr exportieren sollte. Jeder Rüstungsexport ist gleichbedeutend mit der Aufrüstung eines anderen Landes. Wer Abrüstung möchte, darf keine Aufrüstung betreiben, deshalb würde uns ein komplettes Exportverbot heute sehr viel Abrüstungsarbeit für die Zukunft ersparen.

Jan van Aken ist Biologe und hat als Biowaffeninspektor bei den Vereinten Nationen und als als Gentechnik-Experte bei Greenpeace International gearbeitet. Er ist Abgeordneter im deutschen Bundestag und außenpolitischer Sprecher der LINKSFRAKTION.