Abschied vom Ernährermodell

Hin zu einer linken, queer-feministischen Familienpolitik. Teil I: Das Elterngeld

Caren Lay

Das traditionelle Ernährermodell war lange Zeit – ausgesprochen oder unausgesprochen Leitbild bundesdeutscher Familienpolitik. Die schöne heile Welt der 50er Jahre Westdeutschlands mit dem Vater als Familienvorstand und Ernährer, der seine (Haus-) Frau und seine Kinder ernährt, ist die Grundidee hinter vielen familien-, sozial- und steuerpolitischen Regelungen. Der anhaltende Mangel von Kinderkrippen oder die in in weiten Teilen des Landes verbreiteten Kindergärten, die keine Mittagsbetreuung und kein Mittagessen anbieten , setzen zum Beispiel historisch voraus und schreiben weiter fort, dass Frauen als Hausfrauen und Mütter sich um die Kleinen kümmern. Umgekehrt erhält dann in dieser Tradition der Ehemann und Ernährer steuerliche Vergünstigungen in Form des Ehegattensplittings und „seine“ Frau eine Art Taschengeld während der Kindererziehung, ansonsten ist sie auf die finanzielle Unterstützung ihres Mannes angewiesen. Selbst wenn es inzwischen auch eine umgekehrte Rollenverteilung gibt, bleibt diese doch die Ausnahme. In jedem Fall bleibt das Grundprinzip bis heute in vielen Bereichen bestehen.

Deutschland, Land ohne Väter

Natürlich ist dieses Leitbild zutiefst patriarchal, heteronormativ und westdeutsch und entspricht schon lange nicht mehr veränderten Ansprüchen von Frauen und Männern und pluralen Lebensformen von nicht-verheirateten Hetero-Paaren, allein Erziehenden, schwulen oder lesbischen Elternpaaren oder vielfältigen Formen von Co-Elternschaft. Ein neues Leitbild muss also her: Ich schlage vor, die Abkehr vom Ernährermodell durch eine eigenständige Einkommenssicherung jedes Erwachsenen, geteilte Erziehungsverantwortung, Berufstätigkeit von Müttern, die Gleichbehandlung aller Lebensweisen und die Idee, dass jedes Kind das Gleiche wert ist zum Kern einer linken, queer-feministischen Familienpolitik zu machen. Ein Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für jedes Kind, einschließlich einer gesunden, kostenfreien Mittagsversorgung sind inzwischen Konsens. Strittiger sind andere Punkte. In diesem Artikel will ich mich auf die aktuelle Debatte zur Reform des Elterngeldes konzentrieren.

Das Elterngeld hat das Vorgängermodell des Erziehungsgeldes abgelöst, eine Art Taschengeld für den erziehenden Elternteil (also im Regelfall die Mutter), mit dem eine eigene Existenzsicherung nicht zu machen war. Dieses Erziehungsgeld entsprach in seiner Idee dem Betreuungsgeld, das von Linken und FeministInnen einhellig als Herdprämie abgelehnt wird. Die Bezugsdauer des Elterngeldes ist im Vergleich zu seinem Vorläufer Erziehungsgeld kürzer und es ist einkommensabhängig – wer mehr verdient hat, bekommt auch mehr.

Viele halten es daher für eine Form des „Mittelschichtsfeminismus“ und lehnen das Elterngeld, zumindest seine Einkommensabhängigkeit, ab. Das finde ich falsch und stelle die These auf, dass nicht die Einkommensabhängigkeit, sondern die mangelnde Mindestsicherung Kern einer linken und feministischen Kritik sein sollte. Denn Einkommensabhängigkeit ist auch bei anderen Sozialleistungen üblich, die ausbleibende Lohnzahlung ersetzen sollen. Deswegen ist z.B. sowohl die Höhe des Arbeitslosengeldes I wie auch die Rentenhöhe vom vorherigen Verdienst abhängig. Das Elterngeld folgt dieser Idee der Lebensstandardsicherung und der Lohnersatzleistung, auch wenn es aus Steuermitteln und nicht aus einer Sozialkasse bezahlt wird. Es hat also nicht die Bezahlung für die Erziehungsleistung zum Grundgedanken – dann müsste es in der Tat für alle gleich sein – sondern die berufstätige Mutter bzw. berufstätige Eltern zum Leitbild. Das finde ich richtig und zeitgemäß. Und was ist eigentlich so schlimm daran, dass Frauen nicht von der Realisierung ihres Kinderwunsches dadurch abgehalten werden wollen, dass sie während der Erziehung des Kleinkindes auf Lohn und Lebensstandard verzichten müssen, und auch keine Lust haben, in Abhängigkeit des Vaters, der Partnerin, der WG zu fallen? Eigenständige Existenzsicherung von Müttern bzw. Erziehenden statt familiärer Abhängigkeiten finde ich richtig. Sie gilt auch für Frauen mit mittleren und höheren Einkommen. Schließlich haben wir FeministInnen Jahrzehnte, Jahrhunderte lang dafür gekämpft, dass Frauen erwerbstätig sein dürfen, Jobs bekommen, auch gute Jobs, nicht diskriminiert werden beim Zugang zum Arbeitsmarkt und bei Löhnen und Gehältern – ein Kampf, der noch lange nicht zu Ende ist. Außerdem ist die Höhe des Elterngeldes auch jetzt schon nach oben gedeckelt: Es beträgt maximal 1800 Euro, d.h. eine vorheriges Nettoeinkommen von über 2700 Euro wird nicht mehr angerechnet. Für Reiche entfällt der Elterngeldanspruch sowieso komplett.

Nicht die Einkommensabhängigkeit des Elterngeldes ist daher das Problem, sondern die Tatsache, dass es Frauen und Männern ohne oder mit einem geringen Einkommen und damit nicht zuletzt auch deren Kinder in die Armut und Prekarität treibt. Der Mindestsatz beträgt gerade einmal 300 Euro. Davon kann man in der Tat nicht leben - ob mit oder ohne Kind. Hier gilt das Gleiche wie bei Mindestsicherung oder Mindestrente – es muss im Prinzip in seiner Höhe existenzsichernd und armutsfest sein – in der realpolitischen Praxis müsste es selbst von der GroKo schleunigst angehoben und v.a. nicht auf Hartz IV angerechnet werden.

Und selbstverständlich muss der Zugang zum Elterngeld unabhängig von der Lebensform sein, also davon ob man hetero oder homo, mit oder ohne Trauschein, mit deutscher oder anderer Staatsangehörigkeit Verantwortung für ein Kind übernehmen will. Bleiben noch zwei weitere Argumente, die bei der Kritik des Elterngeldes ebenfalls häufig diskutiert werden: Die eine ist, warum das Elterngeld nicht bzw. nicht ausreichend dazu beigetragen hat, geteilte Erziehungsverantwortung zwischen Männern und Frauen zu befördern. In der Tat: Nur 28,8 % der Väter aller 2012 geborenen Kinder nahmen Elterngeld in Anspruch und davon im Schnitt auch nur 3,2 Monate. 77,9 % der Väter im Erziehungsurlaub nahmen lediglich die Mindestbezugsdauer – verräterisch „Vätermonate“ genannt – von 2 Monaten in Anspruch. Eine sicherlich nicht-repräsentative aber doch recht umfangreiche Beobachtung im eigenen Bekanntenkreis bringt mich zudem zur Vermutung dass ein nicht unerheblicher Teil dieser „Vätermonate“ nicht im Alltag, sondern gemeinsam mit der Familie im Urlaub verbracht werden. Ein gemeinsamer Urlaub sei wirklich allen gegönnt, nur: ein Fanal zu einer geteilten und geschlechtergerechten Erziehungsverantwortung sieht anders aus. Die vollen 12 Monate nahmen gerade einmal 6 Prozent der gemeinsam erziehenden Väter in Anspruch. Nur 27 alleinerziehende Väter nahmen sich deutschlandweit 14 Monate lang Elternzeit. Ihnen stehen 13258 Mütter gegenüber, die Gleiches taten.

Warum ist das so? Sicherlich spielt es eine Rolle, dass Männer im Schnitt immernoch deutlich mehr verdienen als Frauen und dementsprechend der Verdienstausfall bei heterosexuellen Familien größer wäre, wenn Frauen in Elternzeit gehen. Eine sicherlich teure, aber gleichstellungspolitisch richtige Forderung wäre es, das Elterngeld anzuheben. In Deutschland beträgt es 65-67 % des Nettoeinkommens, Dänemark z.B. je nach Bezugsdauer 90-100 %, in Schweden 80 %. Hinzu kommt, dass die Anreize für eine geteilte Erziehungsverantwortung beim bisherigen Elterngeld nicht groß genug sind. Ein Sorgeberechtigter erhält 2 Monate mehr, wenn der andere Elternteil auch zwei nimmt – die sog. „Vätermonate“. Das geplante Elterngeld Plus, das ermöglichen soll, dass sich der Anspruchszeitraum für den Elterngeldbezug verdoppelt, wenn gleichzeitig in Teilzeit gearbeitet wird, und der einen „Partnerbonus“ von 4 weiteren Monaten vorsieht, wenn beide Sorgeberechtigte gleichzeitig in Teilzeit arbeiten und Elterngeld beziehen, geht daher in die richtige Richtung und entspricht im Kern einer Forderung, die DIE LINKE schon lange aufgemacht hat.

Ich vermute allerdings, dass es trotz dieser Regelung nicht zu einem rasanten Anstieg erziehender Väter kommen wird. Denn die mangelnde Beteiligung von Männern an derselben hat weniger ökonomische, sondern kulturelle Gründe. Vielleicht ist kein einzelnes familienpolitisches Instrument der Welt dazu in der Lage, Jahrhunderte- wenn nicht Jahrtausende alte patriarchale Strukturen binnen weniger Jahre umzuwerfen. Aus konservativen Ecken und Kreisen des Landes wird berichtet, dass es vielen Männern regelrecht peinlich ist, schon nur die beiden Vätermonate in Anspruch zu nehmen. Das wird weder vom Chef noch von den lieben Kollegen goutiert. Doch nach meiner Beobachtung ist es auch im aufgeklärten, linken Milieu nicht so viel anders. Bei der Geburt des Kindes entdecken Männer wie Frauen gerne ihre Unersetzbarkeit – Männer auf der Arbeit und Frauen bei ihren Kindern. Es sind dann Männer und nicht Frauen, die ihren Job plötzlich so verantwortungsvoll finden, dass sie ihm nicht fernbleiben können. Frauen wiederum denken, es sei dem Kindeswohl abträglich, wenn sie den Kleinen keine Rund-um-die-Uhr-Betreuung bieten. Auch der aktuelle Trend zum ganzjährigen Stillen wird gerne als Begründung genannt. Viele Frauen sagen auch, sie hätten einfach Lust auf die Zeit mit dem Kind und keinen Bock auf Erwerbsarbeit, was natürlich zu respektieren ist. Erstaunlich nur, dass es fast ausschließlich Frauen sind, die den Widerstand gegen den Lohnarbeitszwang in der Elternzeit zelebrieren.

Kurzum: Bei der Familiengründung fallen die meisten heterosexuellen Elternpaare wieder in die alte Rollenverteilung zurück: Männer in die des Ernährers und Frauen in die der Mutter.Schlimm genug also, dass viel zu wenige Männer bereit sind, ein moderneres Rollenverständnis zu leben. Schlimmer noch, dass so viele Frauen es mitmachen und ihren Männern genau das ermöglichen. Die buchstäblich letzte Frage ist, warum hat das Elterngeld nicht zu mehr Geburten geführt hat. Sie wird vor allem in konservativen Kreisen gestellt. Vielleicht weil Arbeitsverträge befristet, die Mieten zu hoch, der Partner keinen Bock hat (auf Kinder oder darauf, sich gleichermaßen an der Erziehung zu beteiligen), das berufliche Fortkommen oder die individuelle Selbstverwirklichung ohne Kinder wichtiger sind etc pp. Aber es ist eigentlich auch egal. Denn die Realisierung vorhandener Kinderwünsche zu ermöglichen und vor allem die Unterstützung real vorhandener Kinder und Eltern ist für mich Maßstab linker und feministischer Politik - und eben nicht die Erhöhung irgendwelcher Geburtenziffern.

Caren Lay ist Mitglied des Deutschen Bundestages, verbraucherpolitische Sprecherin und stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE.

Rechts im Bild: Alleinerziehender in Elternzeit. Ikea machts vor, nur 27 Väter machens nach