Feminismus der Zukunft

Stefanie Lohaus

Wenn der Feminismus der Zukunft Gestalt annehmen könnte, dann wäre er eine Chimäre. Ein Fabelwesen mit drei Köpfen: Schwarz, weiß und lila. Auf dem einen prangt die Krone einer Prinzessin, auf dem anderen ein Kopftuch. Zwei weibliche Brüste und zwischen den Beinen sowohl Vulva als auch Penis. Ein linkes Emu-Bein, ein rechtes Yak-Bein und die vier Arme der indischen Göttin Kali.

In den drei Köpfen würde das Wissen aus 300 Jahren Emanzipationsgeschichte ruhen. Ach was, die ganze 20.000 Jahre zurückliegende Patriarchats- und Matriarchats- und Wer-weiß-wie-sie-wirklich-war-Geschichte. Es wäre ein weises Wesen, eines das im Einsatz für die Emanzipation für alle immer die Wahrheit spricht, nie wütend wird, alle Interessen ausbalanciert. Das Frauen liebt, Männer liebt, und alle Menschen, die irgendwo dazwischen sind sowieso. Ein Wesen, das nie auslernt, sich selbst nie zu wichtig nimmt, immer für das Gute kämpft. Das in jeder Talkshow die richtigen Dinge sagt, von allen geliebt wird. Von reaktionären Kräften und Antifeminist_innen sowieso. Ach, die gibt es ja gar nicht mehr, denn das Fabelwesen hat sie längst bekehrt. Irgendwann in der Zukunft.

Unten rechts: Die Chimäre. Weitere feministische Fabelwesen: Basilisk, Vogel Roch, Phönix, Einhorn, Skythisches Lamm (v.l.n.r.) in der Darstellung von F. J. Bertuch

Die Wahrheit ist: Dieses Wundertier wird es nicht geben. Das ist auch gut so, denn so ein Tier, so lächerlich es auch aussehen mag, würde dank seiner Überlegenheit und seiner Extravaganz irgendwann übermütig, arrogant, diktatorisch werden. Vielleicht würde die Chimäre allen, die nicht so wundervoll wären wie sie selbst, den Mund verbieten. Vielleicht würde sie Reichtümer anhäufen. Es ist besser, wenn wir nur nach ihr Streben, ohne sie zu je zu werden. Die Entwicklungen der letzten 40 Jahre Feminismus geben durchaus Anlass für Hoffnung, dass wir uns in diese Richtung bewegen. Nicht als ein Wesen, als eine Person, sondern als viele, die sich gegenseitig kritisieren und zur Räson rufen. Denn der Feminismus ist keine abgeschlossene Ideologie: Er ist dazu aufgerufen sich stetig zu verbessern und veränderten gesellschaftlichen Bedingungen anzupassen.

Der westliche Feminismus der 1970er und 1980er Jahre, bekannt unter dem Stichwort „neue Frauenbewegung“ war maßgeblich geprägt von der Enttäuschung der Frauen, dass die linken Männer des 1968er-Aufbruchs sie nur als Flugblattkopierhilfen und Kaffeekocherinnen sahen. Sie forderten ihren Teil der Revolution; sexuelle Selbstbestimmung, das Recht auf Entscheidung über den eigenen Körper, die Verurteilung von Gewalt. Sie erfanden Begriffe, die es vorher nicht gab, um die herrschenden Verhältnisse zu beschreiben, und schafften es mit ihrem unermüdlichen Einsatz, dass Gesetze geändert wurden.

Trotzdem änderte sich weniger, als sie erhofft hatten. Ein Beispiel wäre die Vergewaltigung in der Ehe: Lange Jahre ungeahndet, weil Frauen nach patriarchalem Verständnis ihrem Mann zu Diensten sein müssen, ist sie mittlerweile ein Straftatbestand. Trotzdem wird sie in den seltensten Fällen verurteilt. Der Grund sind Vergewaltigungsmythen, die Vorstellung davon, wie eine Vergewaltigung abläuft. Und diese Vorstellung hat wenig mit einer Beziehungstat und viel mit einem fremden Mann, der Frauen nachts im Park auflauert, zu tun. Ein Mythos wie dieser – die wenigsten sexuellen Straftaten laufen so ab – ist kulturell bedingt und führt dazu, dass unsere Gesellschaft, inklusive ihres Rechtssystems, Vergewaltigung nicht anerkennt und die Täter laufen lässt. Der Feminismus der Zukunft hat verstanden, dass eine solche Kultur sich nicht allein mit Gesetzen ändern lässt, sondern nur durch Handeln. Und durch Kritik am Handeln, kritische Praxis und Kritik an der kritischen Praxis. In der Zukunft wissen wir: Ein Gesetz zu ändern ist einfach, eine Kultur zu ändern ist langwierig und nicht ohne Widersprüche zu haben. Lupenreine Feminist_innen gibt es nicht.

Wenn ich als 1978 in Westdeutschland geborene mit westdeutschen Feministinnen der neuen Frauenbewegung spreche, erzählen diese gerne, dass es eine Zeit voller Mut und Energie war, eine Zeit des Aufbruchs, eine Zeit, in der frau glaubte „in 20 Jahren haben wir die Gleichstellung geschafft.“ Viele sprechen auch über die negative Seite der Bewegung: die vielen Vorgaben, der Neid untereinander. Wie man sich zu kleiden hatte, welcher Sex als gut und feministisch galt, wie man leben sollte. Frauen wandten sich deswegen vom Feminismus ab, sie fühlten sich von ihm bevormundet. Sie heirateten, bekamen Kinder, manche wurden glückliche Hausfrauen, weil dieser Weg im patriarchalen System für sie einfacher erschien. Oder die endlosen Debatten in den Kollektiven, weil niemand Macht haben durfte, denn der Umgang mit Macht war ungewohnt. Männlich und verpönt. Dummerweise aber gibt es keinen machtfreien Raum und Konsens bedeutet oft, dass die Einzelne ihren Willen gegen die Mehrheit durchsetzt. Der Feminismus der Zukunft ist da ein bisschen pragmatischer. Und er weiß: Ein richtiges feministisches Handeln im falschen Patriarchat ist unmöglich.

Kommen wir zum nächsten Punkt: Wie hält man eine feministische Bewegung am Leben? Ich verstehe immer noch nicht so recht, wie es dazu kommen konnte, dass die Aufbruchsstimmung dieser Zeit in den Universitäten und den Gleichstellungsbeauftragtenstellen der Behörden verpuffte. War das ein schlauer Schachzug des Patriarchats? Wir locken die Löwinnen mit Jobs und dem Versprechen etwas strukturell zu ändern in den Käfig und dann schieben wir dem Treiben einen Riegel vor. Nicht dass es an den Universitäten nicht Spannendes zu forschen gäbe. Aber ich habe so viele enttäuschte Gleichstellungsbeauftragte und Professor_innen getroffen, die sich verwundert die Augen rieben, weil die jungen Frauen sich so gar nicht für ihre Arbeit interessierten, dass ich mich schon frage, ob die schnelle Institutionalisierung des Feminismus nicht zu dessen zunehmender Bedeutungslosigkeit beigetragen hat. Ich wäre zumindest selbst nie auf die Idee gekommen, mich an die Gleichstellungsbeauftragte meiner Uni zu wenden, wenn mir jemand an den Po grabscht.

Ist sie wirklich verschwunden? Aufbruchstimmung der neuen Frauenbewegung

Vielleicht liegt es aber auch daran, dass sich der Feminismus zwar immer an alle Frauen richten wollte, das aber de facto nie eingelöst hat. Feminist_innen waren – und sind es häufig immer noch – meist privilegierte Akademikerinnen, die sich um die Lösung ihrer eigenen Probleme kümmern. Frauenquoten für Führungspositionen zum Beispiel.

Erst in der jüngsten Vergangenheit sind wir an einem Punkt gelangt, an dem Menschen, die man selten zu Wort kommen hat, vehement und ungefiltert hörbar werden können. Dank Twitter, Facebook und diversen Blogs kann ich nun von den Gedanken, Erfahrungen und Meinungen von verschiedensten Frauen* lesen und zwar unredigiert und auf die Art und Weise, wie sie es selbst gerne hätten. Betroffene von sexueller Gewalt, Sexarbeiter_innen, Muslimas, Trans_frauen, Queers haben Stimmen und Geschichten, die ich täglich in mein Zimmer lassen kann, durch ein paar Klicks am Rechner. Wann gab es das jemals in der Geschichte? Und auch wenn diese Hör- und Sichtbarkeit viel Hass und Gegenwind hervorruft: Es gibt sie und sie hat politische Auswirkungen.

Gleichstellung, das habe ich auch in der Auseinandersetzung mit den Positionen dieser Menschen gelernt, reicht einfach nicht aus – stattdessen müssen wir wieder Gerechtigkeit in den Mittelpunkt unserer Politik stellen. Und die erreichen wird nicht, in dem wir uns um Frauenquoten bemühen, sondern in dem wir zum Beispiel die Minijobs abschaffen, die für viele Frauen den direkten Weg in die Altersarmut bedeuten. In dem wir uns solidarisch mit gläubigen Muslimas zeigen. In dem wir uns mit Sexarbeiter_innen, die um ihre Rechte kämpfen, verbünden. Das alles beeinflusst mich und mein Denken. Der Feminismus, dem die Zukunft gehört, ist ein Feminismus der Gerechtigkeit. Und er gehört uns allen.

Stefanie Lohaus wuchs in Dinslaken, einer hellgrauen Kleinstadt im nördlichen Ruhrgebiet, auf und studierte später Angewandte Kulturwissenschaften in Lüneburg. Zusammen mit Chris Köver und Sonja Eismann hob sie vor vier Jahren das Missy Magazin aus der Taufe.