19.08.2015

„Ohne Rast, ohne Eile“

Der zweite Langfilm der KameradistInnen handelt vom Kampf gegen Landgrabbing in Argentinien

Bewaffnete Männer stellen einen Zaun auf. Er durchkreuzt die Wege der Dorfbewohner. Der Schulweg der Kinder ist abgeschnitten, Bauern können die Tiere nicht mehr auf die Weiden treiben.

Bewohner des Dorfes diskutieren mit den Männern, versuchen sie aufzuhalten. Als sie schließlich zurück in ihre Häuser gehen, folgen die Bewaffneten. Schüsse fallen, einer der Dorfbewohner, Cristian Ferreyra stirbt, sein Freund Darío Godoy wird schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert.

Geschichten wie diese sind Teil einer brutalen Realität im Norden Argentiniens. Agrarkonzerne und Großgrundbesitzer eignen sich das seit Generationen von indigenen Gemeinden bewirtschaftete Land an, um Futtersoja für europäische und nordamerikanische Rinder zu produzieren.

„Ohne Rast. Ohne Eile“ der Dokumentarfilm-Assoziation „KameradistInnen“ ist ein Portrait der Region Santiago del Estero und ihrer Bewohner, die sich der gewaltsamen Landnahme erwehren. Die Stärke des Films ist, dass er der Faszination von Gewalt widersteht. Zwar ist der Mord an Cristian Ferreyra der Ausgangspunkt der Erzählung. Die KameradistInnen verzichten aber darauf, Brutalität in grellen Bildern auszumalen, um beim Publikum Empörung zu erzeugen. Sie zeigen keine heroischen Helden und keine Opfer. Stattdessen sieht man Menschen während ihrer alltäglichen Verrichtungen. Menschen, die sich widersetzen, indem sie über die Zukunft nachdenken und sich ihrer Geschichte bewusst werden. Er zeigt Kleinbauern, die im anderthalbtausend Kilometer entfernten Buenos Aires laut und wütend vor dem Landwirtschaftsministerium demonstrieren, aber auch ihren anarchischen Eigensinn im Alltag, wenn z.B. eine amtliche Reklametafel für den Sojaanbau abmontiert und als Dach für einen Hühnerstall zweckentfremdet wird. Man habe sie ja mit den eigenen Steuern ohnehin bezahlt.

„Ohne Rast. Ohne Eile“ zeigt Menschen, die eine Landwirtschaftsschule aufbauen, um das Wissen über die ökologische Produktion von Lebensmitteln weiterzugeben und eine indigene Universität planen, die es den Kleinbauern erlaubt, neben ihrer Arbeit, Abschlüsse zu erwerben. Projekte, die riesig groß erscheinen, aber mit bemerkenswerter Ausdauer und einem bemerkenswerten Optimismus verfolgt werden.

„Ohne Rast. Ohne Eile“ ist kein simpler 45-Minuten-Erklärfilm. Die Kameradisten verzichten gemäß ihrer Philosophie auf Off-Kommentare und „Experteninterviews“. Es werden meist Einzelne interviewt. Wer sie sind, erfahren ZuschauerInnen erst im Abspann. Das ist nicht nur vorteilhaft. Manchmal würde man gern während des Films erfahren, wer die Gezeigten sind und wie das „Wir“ von dem viele der ProtagonistInnen im Film reden und das vor allem die Kleinbauernbewegung Movimiento Campesino Santiago del Estero-Via Campesina (MoCaSe-Via Campesina) meint, entsteht und was es ausmacht. Auch springt manchmal das Kameraauge etwas eilig von Ort zu Ort, so dass man Mühe hat, zu folgen.

Mit „Ohne Rast. Ohne Eile“ ist den KameradistInnen dennoch eine empfehlenswerte Dokumentation gelungen, die einen nicht mit fertigen Antworten, sondern mit vielen Fragen zurücklässt:

Berliner Kinopremiere 3.9.2015 im ACUD, Veteranenstraße 21, Berlin. Weitere Termine hier[1].

Links:

  1. http://www.kameradisten.org/kinos-festivals/