13.04.2017

Homo-Propaganda

Rezension: Gabriel Wolkenfeld: Wir Propagandisten, Hamburg, Männerschwarm-Verlag, 2015, 19 €

Bodo Niendel

Dieses autobiographisch geprägte Debüt von Gabriel Wolkenfeld beschreibt den einjährigen Aufenthalt eines jungen deutschen schwulen Slawisten im russischen Jekaterinburg. Er lernt und saugt die Eindrücke auf. Widersprüche. Postkommunistische Gesellschaft. Widererstarken der orthodoxen Kirche. Wirtschaftliche Erholung nach der Periode des Ausverkaufs. Mit einer erfrischenden Naivität versucht der Protagonist sein Leben in der neuen russischen Teilzeitheimat zu gestalten. Hetero- und nicht-heterosexuelle Freundinnen und Freunde lassen ihn schnell Anschluss finden. Mit ihnen werden auch die örtlichen Homolokalitäten besucht. Eine Affäre und ein bisschen Sex sind auch dabei. Der Roman plätschert vor sich hin, bis das Anti-Homo-Propagandagesetz erlassen wird — die Handlung spielt im Jahr 2013. Dieses Gesetz verbietet die „Propaganda“ von Homosexualität und wurde mit dem Schutz der Kinder begründet. Auch innerhalb des sich zuvor liberal gebenden Freundeskreises verfangen nun Vorurteil und Urteil über das Andere. Der leidige Vorwurf, Homosexualität und Pädophilie stünden in einem Zusammenhang, verfehlt seine Wirkung nicht, ebenso wie das Bestehen auf einen eigenen nichtwestlichen Entwicklungsweg. Die Teilzeitheimat wird nun zum Aufenthalt in der Höhle des Löwen. Zuhause selbstbewusst schwul und nun von kulturellen und staatlichen Normen umgeben, die das selbstbewusste Auftreten nicht stets aber dennoch beharrlich unterlaufen. Die Nischen bleiben. Erzählerisch durchaus konservativ und oft berechenbar, gelingt dem Autor nach etwa der Hälfte des Romans die Kurve und die Figuren gewinnen an Kontur. Gerade weil die Handlung des Romans im russischen Alltagsleben spielt, gelingt dem Autor ein Einblick in die russische Gesellschaft, der spannend und differenziert ist. Das Fehlen einer lebendigen Demokratie und Zivilgesellschaft empfinden viele Menschen in Russland eben nicht als Verlust. Überheblichkeit ist Wolkenfelds Slawisten fern. Und doch empfindet er, als er nach Deutschland zurückkehrt eines als Gewinn: Freiheit.

Bodo Niendel, Referent für Queerpolitik der Bundestagsfraktion DIE LINKE.