29.05.2017

Bombe in Buchform

Rezension: Thomas Grumke, Rudolf van Hüllen: Der Verfassungsschutz. Grundlagen. Gegenwart. Perspektiven?, Opladen 2016, 248 Seiten, 24,90 EUR

Stefan Gerbing

Rudolf van Hüllen, früherer Referatsleiter beim Bundesamt für Verfassungsschutz und Thomas Grumke, ehemaliger Referent beim Verfassungsschutz NRW wollen mit ihrem Band „Verfassungsschutz: Grundlagen. Gegenwart. Perspektiven?” Wissenslücken über das Funktionieren der Geheimdiensten schließen und „Verbesserungsbedarf“ aufzeigen. Entsprechend gliedert sich ihr Buch in drei Hauptkapitel. Der erste Abschnitt beansprucht rechtliche und organisatorische Grundlagen des Verfassungsschutzes zu beschreiben, das zweite soll die Gegenwart des Verfassungsschutzes seit 1990 darstellen, das dritte benennt Reformvorschläge für einen „zukunftsfähigen Verfassungsschutz“.

Gleich vorweg, die Autoren scheitern kläglich an ihrem Anspruch. Ihre Analysefähigkeit leidet unter dem Hang zu Polemik und selbstgerechter Wehklage. Für Grumke und Van Hüllen sind die Geheimdienste vor allem Opfer. Sie würden von skandalhungrigen Journalisten verunglimpft, von Datenschützern an der Arbeit gehindert, von als Bürgerrechtlern getarnten „intellektuellen Extremisten” verteufelt, von ahnungslosen und Grundrechte freihändig erfindenden Richtern geknebelt und wegen des Laufbahnrechts mit unfähigen „Verwaltungsdrohnen“ durchsetzt.

Diese Opferhaltung steigert sich gleich im ersten Hauptkapitel vom Grotesken ins Unerträgliche. Die Autoren behaupten allen Ernstes, Geheimdienstmitarbeiter seien als Berufsgruppe kollektiv von „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ betroffen. Schließlich würden sie im medialen Diskurs als „Dunkelmänner” und „Schnüffler” stereotypisiert und mit entsprechenden körperlichen Merkmalen karikiert. Mit Bezug auf eine Reportage, in der eine Anhörung im NSU-Untersuchungsausschuss geschildert wird, versteigen sich Grumke und Van Hüllen zu der Behauptung, hier würden „klassische Muster von gewöhnlichem Rassismus” reproduziert. Als Beleg dient ihnen, dass der Journalist Dirk Laabs in dieser Reportage das Äußere von Thomas Sippel, früherer Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes in nicht übermäßig vorteilhaften Begriffen beschreibt.

Sonst fällt den Autoren zum NSU bemerkenswert wenig ein. Und das obwohl der Ansehensverlust der Dienste bis weit ins bürgerliche Lager hinein, der Anlass für ihren Text ist. Meral Sahin, Opfer des Keupstraßen-Attentats, bezeichnete den Umgang der „Sicherheitsbehörden“ mit den NSU-Verbrechen als „die zweite Bombe“. Mit diesem unsäglichen Affront gegenüber allen tatsächlichen Opfern rassistischer Gewalt zünden die Autoren nun noch eine „dritte Bombe“.

Ansonsten bemühen sich die Autoren wortreich „Legenden“ und „Verschwörungstheorien“ über die Arbeit der Geheimdienste zu widerlegen. Nur sind die von ihnen zitierten Beispiele meist eben durchaus echte Skandale.

Das Celler Loch, eine Geheimdienstaktion bei der u.a. ein Bombenanschlag auf eine Justizvollzugsanstalt verübt wurde, ist für die beiden Ex-Mitarbeiter eine zum Skandal aufgeblasene Bagatelle. Warum es einen Untersuchungsausschuss gab und ein Innenminister zumindest mittelbar über die Affäre stürzte, können Grumke und van Hüllen nicht nachvollziehen. Die beschädigte Gefängnismauer sei schließlich Staatseigentum gewesen, somit habe der Staat auch das Recht durch seinen Geheimdienst ein Loch in die Mauer zu sprengen.

Den Mord an Ulrich Schmücker (den die Verfasser fälschlich im RAF-Umfeld verorten) ordnen die Verfasser in die Kategorie „Dubiosa“ ein. Ein bemerkenswerter Euphemismus für diesen Mord im Umfeld der Bewegung der 2. Juni. Der Verfassungsschutz hätte diesen nicht nur mutmaßlich verhindern können, er behinderte zudem aktiv die Strafverfolgung, indem er Spuren verwischte. Nach der Tötung des Studenten Schmücker verschwand die Tatwaffe, auf der sich die Fingerabdrücke eines V-Mannes befanden, für fünfzehn Jahre in einem Behördensafe des Verfassungsschutzes. Der oder die TäterInnen blieben straffrei, weil sich das Tatgeschehen nicht aufklären ließ. Dass dies dem Handeln des Verfassungsschutzes zu verdanken ist, haben Gerichte in mehreren Urteilen herausgestellt. Diese nicht ganz unwichtigen Details verschweigen die Autoren.

Damit erübrigen sich die nicht ganz trivialen Fragen, wie Gefahrenabwehr und Strafverfolgung schwerster Verbrechen mit dem Geheim- und Quellenschutzinteresse der Dienste zusammengehen können. Kann es überhaupt eine wirksame Überprüfung geheimdienstlicher Tätigkeit durch Legislative und Judikative geben? Wie kann verhindert werden, dass wie im NSU-Komplex V-Leute vor Strafverfolgung geschützt und zu staatlich finanzierten Vollzeitaktivisten werden?

Statt Antworten produzieren Grumke und Van Hüllen Leersätze wie „Das System ist kompliziert und bewährt sich vor allem durch Faktoren, die man nicht in abstrakte Rechtsnormen fassen kann.“ Deshalb sei „nicht die bürokratische Überregulierung gefragt, sondern ein gesetzliches Minimalwerk mit hinreichend vielen Generalklauseln.“ Konkreter wird es nicht, an keiner Stelle. Das muss beunruhigen, schließlich arbeiten die Autoren bei Ihren Reformvorschlägen für einen „zukunftsfähigen Verfassungenschutz“ nicht mit dem Skalpell, sondern mit der Axt. Das ohnehin aufgeweichte Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten wollen sie gänzlich abschaffen, den als „Täterschutz“ verunglimpften Datenschutz zurückdrängen sowie den besonderen Schutz von Anwälten, Ärzten und Journalisten vor geheimdienstlicher Überwachung aufheben. Der Verdacht drängt sich, dass unter dem Deckmantel von Entbürokratisierung zwei Vertreter der Exekutive die Bindung staatlichen Handelns an positives Recht zu Gunsten eines „Maßnahmestaates“ mehr als lockern wollen. Dazu passt, dass der Begriff des „Rechtspositivismus“ im gesamten Buch durchgängig pejorativ verwendet wird.

Wenn man der Lektüre etwas Positives abgewinnen möchte, so kann man zumindest feststellen, dass die Autoren ihre Absichten nicht verschleiern. Wer erfahren möchte wie ausgeprägt die Parlamentsverachtung und die Geringschätzung der Gerichtsbarkeit in Teilen der Exekutive ausgeprägt ist, dem sei dieses Buch wärmstens empfohlen. … als Quelle.

Dass Van Hüllen als externes Mitglied ausgerechnet in die Enquetekommission „Konsequenzen aus der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU)“ des Landtages von Baden-Württemberg berufen wurde und Thomas Grumke als Professor an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW Polizisten ausbildet, darüber hinaus als ehemaliger Stipendiat regelmäßiger Gast auf Podien der Friedrich-Ebert-Stiftung ist, vermag hingegen zu beunruhigen.

Thomas Grumke, Rudolf van Hüllen: Der Verfassungsschutz. Grundlagen. Gegenwart. Perspektiven?, Opladen 2016, 248 Seiten, 24,90 EUR