Gretchenfrage: Wer ist Deine Lieblingsklassenfeind*in?

Andrea Ypsilanti, Thies Gleiss, Alexander Neu

Braucht Klassenpolitik Klassenfeinde bzw. Klassenfeind*innen? Ergibt sich das Verhältnis schon aus dem gesellschaftlichen Antagonismus oder muss man sich seine Klassenfeind*innen suchen? Wir haben unsere Freund*innen gefragt: Wer ist Deine Lieblingsklassenfeind*in?

Thies Gleiss

Thies Gleiss

Mir ist der Begriff „Klassenfeind“ völlig fremd. Ich habe deshalb mal bei Wikipedia[1] nachgeschlagen und folgendes gefunden: „Der Begriff taucht im Werk von Marx und Engels nicht auf.“ Zu Begriffen, die nicht im Werk von Marx und Engels auftauchen, äußere ich mich aber nur in Anwesenheit meines Anwalts

Thies Gleiss ist Mitglied des ADFC und im Parteivorstand von DIE LINKE.

Bini

Bini Adamczak

Spätestens seit Trump taucht die Frage auf, ob eigentlich die Linke Schuld am Rechtsruck ist: Hat sie zu viel in Identitätspolitik und zu wenig auf Klassenkampf gemacht? Die Frage ist bereits falsch gestellt. Erstens, weil viel von dem, was hier Identitätspolitik genannt wird, seinem Anspruch nach anti-identitär ist: der Antirassismus, der gegen rassistische Identifizierung kämpft, wie der Queerfeminisimus, der exakt als Kritik an Identitätspolitik entstanden ist. Zweitens, weil auch der Klassenkampf identitätspolitisch geführt werden kann: Reih dich ein in den Arbeiter-Bauernstaat, wenn du auch ein Arbeiter bist. Drittens, weil Rassismus, Sexismus usw. immer materielle gesellschaftliche Verhältnisse sind, die über ökonomische Handlungsmacht und Ressourcen mitentscheiden.

Die verschiedenen Kämpfe um Emanzipation auseinander zu dividieren ist im Interesse der Herrschaft. Sie unterscheidet sich nur nach ihren Präferenzen: Homo-Ehe plus Spardiktat ist die neoliberale Orientierung. Hetero-Ehe plus national-soziale Wirtschaftpolitik die faschistische Orientierung. Der linke Vorschlag ist besser. Er lautet Ehe für niemand und geteilten Reichtum für alle.

Bini Adamczak ist eine politische Autorin zu Themen des Kommunismus und queerer Sexualität. Jüngst erschien von ihr: Beziehungsweise Revolution. 1917, 1968 und kommende beim Suhrkamp-Verlag.

Alexander Neu

Alexander Neu

Mein Lieblingsklassenfeind sind Konzerne und Großunternehmen. Diese Unternehmensstrukten sind auf vielfältige Weise ein Problem:

Sie üben aufgrund ihrer wirtschaftlichen Bedeutung de facto politische Macht aus und verzerren den demokratischen Charakter. Sie sind weniger dem Gemeinwohl oder auch nur auf das Wohl ihrer MitarbeiterInnen orientiert, denn auf Profit und guten Aktienkursen. 

Ich stehe für eine Vergesellschaftung und/oder Verstaatlichung zumindest systemrelevanter Unternehmen, wie Pharma und Krankenhäuser. 

Alexander Neu ist Mitglied der LINKSFRAKTION im Bundestag.

Andrea Ypsilanti

Andrea Ypsilanti

Meine Lieblingsfeindin ist Die Pharmaindustrie. Geboren aus der Glut der wissenschaftlichen Aufklärung und gehärtet in der Götterschmiede des industriellen Kapitalismus, haben sich die „forschenden“ Pharmaunternehmen nichts Geringeres als die vollständige Durchdringung der Heilsgeheimnisse auf die Fahne geschrieben. Der ohnmächtigen Leidensdeutung der religiösen Heilanstalten setzten sie einst die strenge Gewissheit der modernen Medizin entgegen. Anstatt auf das Jenseits oder die Revolution zu warten, versorgt uns die Pharmabranche im Hier und Jetzt ganzjährlich mit neuen Produkten, die allesamt die Namen von griechischen Helden und römischen Gottheiten tragen. Bei allem tätigen Humanismus ist jedoch Gleichmacherei den Pharmaunternehmen völlig fremd, denn sie bieten für jedes Krankheitsbild und für jeden Gesundheitsgrad den passenden Wirkstoff sowie für jeden Geldbeutel die passende Verpackung. Den universellen Anspruch der pharmazeutischen Industrie, nicht bloß dem Menschen zu dienen, sondern dem Leben insgesamt, bemerkt man nicht zuletzt an dem Ehrgeiz, mit welchem sie in den Ernährungssektor eindringt, indem sie die Massentierhaltung ebenso ermöglicht wie ihre etwas unbeliebte Schwester die chemische Industrie unsere moderne Agrarwirtschaft. Doch auch für das eigene Wohlbefinden finden ihre disziplinierten Verbände für jeden Markt, jedes Gesundheitssystem und jedes politische Gemeinwesen stets das wirksamste Rezept. Ja, die Erhaltung des Lebens und die Selbsterhaltung der Pharmakonzerne sind nicht voneinander zu trennen und für beides braucht sie unseren Glauben an den Fortschritt, unsere Hoffnung in ihre guten Absichten und die fürsorgliche Pflege des Staates. Keine Verwunderung also darüber, dass sie bisweilen mehr Geld für PR und Werbung als für Forschung ausgibt. Sie braucht nämlich eine starke Abwehr gegen die naturmedizinischen Quacksalber, sie muss sich behaupten gegen die häretischen Generikahersteller, und gegen alle Versuche ihre Quersubventionierung durch die Krankenkassen zu beschneiden. Keine Bauchschmerzen also über die falschen Pandemiewarnungen, über Unterwanderung der staatlichen Kontrollbehörden und über die Manipulation der wissenschaftlichen Forschung, denn die Gesundheit der Pharmaindustrie ist auch unser aller Heil.

Andrea Ypsilanti ist Mitbegründerin des Institutes Solidarische Moderne und Verfasserin von „Und morgen regieren wir uns selbst — Eine Streitschrift.“[2]

Links:

  1. https://de.wikipedia.org/wiki/Klassenfeind
  2. https://www.prager-fruehling-magazin.de/de/article/: https:/www.westendverlag.de/buch/und-morgen-regieren-wir-uns-selbst/