15.01.2019

Aufstand von rechts

Warum sich Linke an xenophoben Mobilisierungen nicht beteiligen sollten

Colin Crouch

Seit 2008 träumt die Linke im globalen Norden von einem Aufstand der Bevölkerung gegen die neoliberalen Eliten, die uns die Finanzkrise eingebrockt haben. Nun ist dieser Aufstand da. Aber er wurde fast vollständig von der extremen Rechten übernommen. Diese schürt Feindseligkeit gegen Migrant*innen, gegen die EU und gegen internationale Kooperation im Allgemeinen.

Während die Linke überwiegend versucht die verbreitete Wut auf Klassenfragen zu lenken, fragen sich andere, ob sie nicht ein wenig von den hochgradig mobilisierungsfähigen Narrativen der Rechten profitieren können: Migranten drücken die Löhne; die EU ist ein kapitalistischer Verein; Handel mit China zerstört Industriearbeitsplätze.

Die Spitze von Labour unterstützt mittlerweile den Brexit. In Deutschland wurde eine neue Bewegung namens #aufstehen gegründet, um gegen die EU und gegen Migration gerichtete Stimmungen zu vertreten. Ähnliches braut sich in Dänemark, Italien und andernorts zusammen.

Die Antwort ist „Nein!“ — aus vier Gründen

Erstens: Xenophobie sollte für eine Linke moralisch inakzeptabel sein. Die Wahrheit ist natürlich komplizierter. Viele, wenn nicht die meisten moralischen Grundsätze sind in Identitätskonzepten von Gemeinschaften verankert. Deren Normen angemessenen Verhaltens dienen als Kennzeichen von Gruppenzugehörigkeit und beinhalten immer auch klare Definitionen von „innen“ und „außen“. Auch die Solidarität der Arbeiterbewegung baute auf klaren Identitäten auf. Bergarbeiter waren Bergarbeiter und nicht Mitglieder einer weiter gedachten Arbeiterklasse. Bergarbeiter aus Yorkshire gaben allerdings auch niemals besonders viel auf Bergarbeiter aus Leicestershire. Ein letztes Mal war dies während der Bergarbeiterstreiks 1984-85 zu besichtigen.

Die historische Errungenschaft von Labour und den sozialdemokratischen Parteien war es aber diese partikularistischen Solidaritäten zu größeren zusammenzuschweißen — nicht in dem sie diese zerstörten, sondern indem sie diese in eine größere klassenbasierte universalistische Moralität einbetteten. Für den größeren Teil des 20. Jahrhunderts bedeutete „universalistisch“ so viel wie „nationalstaatlich“. Der Grund hierfür war eine Mischung aus Pragmatismus (Der Nationalstaat war schließlich die Ebene auf der Demokratisierung am wirkungsvollsten errungen werden konnte) und der Anrufungen einer Solidarität, die auf Blut und Boden basierte.

Die universalistische und egalitäre Moralität der Linken betonte ersteres, die auf Ausschluss bedachte Rechte betonte letzteres. Aus diesem Grund wurde die Rechte die Hauptprofiteurin des Unbehagens an der Globalisierung. Um an diesem Gewinn Teil zu haben, müsste die Linke ihre universalistische und egalitäre Moral für eine exklusive aufgeben, ein Betrug an ihren edelsten Prinzipien.

Die Behauptung, dass Polinnen und Polen auf lokalen Arbeitsmärkten die Löhne britischer Arbeiter*innen drücken ist keine sozialistische Kritik des Kapitalismus, sondern ein zynisches Blinken nach rechts. Polnische Arbeiter*innen sind so angreifbar, wie der Kapitalismus als abstraktes Verhältnis ungreifbar ist. Der Hass auf sie fällt deshalb leichter.

Hassgewalt

Zweitens, legitimiert die Linke die Themensetzung der Rechten, wenn sie diese übernimmt. Sie reißt damit zudem die Grenzen einer wahrhaft universalistischen Moralität ein, welche die Rechten über Jahre in Schach gehalten hat — ohne dass sie dabei den Rechten auch nur ein Stück ihrer Mobilisierungsfähigkeit nehmen würde. Es ist kein Zufall, dass Wellen der Gewalt gegen Minderheiten auf die Brexitabstimmung, die Wahl Donald Trumps und den Einzug der Lega ins italienische Parlament folgten. Die Debatten im Umfeld dieser Ereignisse haben die Herabwürdigung von Migrant*innen und Ausländer*innen in einer Weise normalisiert, die über Jahrzehnte als schändliche Wiederkehr dessen galten, wofür Adolf Hitler einst stand. Hass ist das stärkste Gefühl, das Menschen haben und er ist politisches Kerngeschäft der extremen Rechten. Er muss außerhalb des akzeptierten Diskurses gehalten werden.

Drittens, können die einzelnen Nationalstaaten nicht die globalisierte Ökonomie regulieren. Es gibt drei Möglichkeiten dies zu tun. Man kann sich mit damit abfinden und glauben, dass die globale Wirtschaft am besten dem regulatorischen Zugriff entzogen ist. Das ist die Position der extremen neoliberalen Rechten, die ihr Gewicht in einem Akt des Zynismus in die Waagschale der nationalistischen Rechten werfen, da diese ökonomisch so zahnlos sind, dass sie sich auf reine Symbolpolitik beschränken müssen.

Eine zweite Möglichkeit ist den Nationalstaat durch protektionistische Maßnahmen abzuschotten. Das ist der Ansatz der anti-globalen nationalistischen Rechten und Linken gleichermaßen. Das stellt eine Welt eingeschränkten Handels, kleinerer und ärmerer Ökonomien und gebremster Innovation mit potentiell feindlichen Beziehungen zwischen den Staaten her.

Und schließlich ließen sich Koalitionen zwischen Staaten und internationalen Organisationen anstreben, welche den globalen Markt regulieren können. Das ist der Ansatz gemäßigter Liberaler und der Sozialdemokratie. Diese Strategie ist schwierig umzusetzen, da solche Vereinbarungen einer Reihe von Ländern bedürfen. Aber sie ist der einzige Weg die Vorteile globalen Handels mit guten Standards und der Bewahrung einer grundlegenden sozialdemokratischen Strategie — nämlich den Kapitalismus für sozial Belange in die Pflicht zu nehmen — miteinander zu verbinden. Der Versuch auf den rassistischen Zug aufzuspringen, hindert die Linke daran die Unterstützung der öffentlichen Meinung zu gewinnen, auf die sie für die nächste Etappe einer universalistischen Bewegung angewiesen ist.

Die tolerante Jugend

Schließlich werden auch nicht alle von einer rassistischen Agenda angezogen. Diese erreicht lediglich ein Drittel der Wähler. Jahrzehnte der Verurteilung von Rassismus in vielen Ländern haben durchaus gewirkt. Zudem verabscheuen viele den Hass und ziehen Werte der Toleranz und Akzeptanz vor. Diese Menschen, oft die jüngsten, gebildetsten und zukunftsorientierten werden zunehmend zu einer Wählerbasis der Linken. Sie werden die Träger linker universalistischer Werte sein und diese auf eine post-nationale Ebene tragen. Eine Linke, die sie vergrault, vergrault ihre eigene Zukunft.

Es ist bei Kommentatoren verschiedener Couleur in Mode gekommen, gegen die „liberalen Eliten“ zu schimpfen — mit einer Verhöhnung, die sich zunehmend auf das Adjektiv „liberal“ bezieht. Dabei sind es die illiberalen und anti-liberalen Eliten, gegen die wir uns richten müssen. Ihre Macht wächst, während der Rassismus sich in Europa, den USA und andernorts ausbreitet. Die Kräfte links und in der Mitte werden gebraucht um sie zu bekämpfen.