15.01.2009

Undogmatische Marxisten

Zum Jahrestag der Gründung der KPD(O) 1928/29

Christian Wienert
Christian Wienert, Die Linke.SDS Potsdam

Spaltungserscheinungen aufgrund unüberbrückbarer Widersprüche in politischer Theorie und Praxis sind und waren in der politischen Linken nicht außergewöhnlich. Eine diesbezüglich höchst interessante Spaltung ereilte die stalinisierte KPD Thälmanns der späten zwanziger Jahre, als sich „rechte“ Parteimitglieder unter Führung der früheren Parteivorsitzenden Heinrich Brandler und August Thalheimer zu einer zunächst innerparteilichen Plattform zusammenschlossen, der KPD(Opposition).
Vor rund 80 Jahren, am 17. November 1928, erschien die erste Ausgabe des von der KPD(O) herausgegebenen Mitteilungsblattes „Gegen den Strom“, welches Wolfgang Abendroth später als die „beste marxistische Zeitschrift der späten Weimarer Republik“ bezeichnete. In ihr be-gründeten die Genossen aus Breslau, dem Ursprung der Opposition, ihren Schritt.

„Der Entschluss ist uns nicht leichtgefallen. Wir greifen zu diesem außergewöhnlichen Mittel in einer kommunistischen Partei, nachdem alle anderen Mittel erschöpft waren, nachdem wir mit äußerster Anspannung unserer Geduld vergebens versucht haben, die Par-teiinstanzen zur Wahrung der primitivsten Parteidemokratie anzuhalten.“

Schwere Anklagen richteten die Genossen an die Parteiführung und deren politische Linie. Die Rede war u.a. von „bürokratischer Entartung des Parteiapparats“, „ideeller und leider auch materieller Korruption“, „Willkürwirtschaft“ und „Unterdrückung der selbstständigen Regung und Willensbildung der Mitgliedschaft“. Sie entschieden sich für die Opposition, weil für sie das Interesse der Partei, das mit den Interessen der Revolution zusammenfiele, höher stünde als eine Parteiführung, die die Grundlagen einer wirklichen kommunistischen Politik zerstörte.

Stalinisierung und ultralinke Wende
Die Kritik kam nicht über Nacht. Schon kurz nach der Gründung der KPD gab es in der Partei Genossen, die der zunehmenden Beeinflussung durch die Kommunistische Internationale und die KPR kritisch gegenüber standen. Die Treue zu Sowjetrussland und die ungebrochene Bewunderung für die Revolution in Russland führten zu einem Großteil unkritischer Parteimitglieder, die Andersdenkende schnell als Feinde des Kommunismus brandmarkten. Bis zum Oktober 1923, als die Arbeiterregierungen in Sachsen und Thüringen nach dem missglückten Aufstandsversuch in Hamburg aufgelöst wurden, war die KPD eine mehr oder weniger selbstständige Partei, die trotz aller Hochachtung für die Oktoberrevolution ein distanziertes, aber solidarisches Verhältnis zu Sowjetrussland besaß. Mit der neuen Führung um Ruth Fischer und vor allem der um Ernst Thälmann war diese Zeit vorbei. Spätestens ab 1927 zeigten sich Anzeichen einer ultralinken Wende in der Partei. Thälmann kooperierte eng mit Stalin und die Gleichschaltung der Kommunistischen Parteien mit der KPdSU wurden vorangetrieben.
Thalheimer und Brandler, die mittlerweile im „Ehrenexil“ in der Sowjetunion lebten, versuchten von Moskau aus auf die Entwicklungen in der KPD Einfluss zu nehmen. Sie plädierten weiterhin für Eigenständigkeit und definierten die ultralinke Strategie als nicht marxistisch. In der Parteiführung sprach man daraufhin von der „rechten Gefahr“ und versuchte Thalheimer und Brandler politisch auszuschalten. Doch beide forderten immer vehementer ihre Rückkehr nach Deutschland und konnten dies nach vierjährigem Exil 1928 durchsetzen. Im Spätsommer desselben Jahres erreichten die Gegner der Parteiführung die Absetzung Ernst Thälmanns, der in einen Korruptionsskandal verwickelt war. Im Oktober beschloss das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationalen in Moskau jedoch, Thälmann wieder einzusetzen und den ZK-Beschluss aufzuheben. Thalheimer und Brandler begannen, Gleichgesinnte um sich zu sammeln, die sich nicht der Direktive aus Moskau unterwerfen wollten.

Gründung der KPD (O)
Entgegen dem stalinistischen Verständnis einer monolithischen Kommunistischen Partei wur-de die KPD(O) zunächst als innerparteiliche Plattform und nach Ausschluss ihrer Mitglieder aus der KPD bald darauf als eigenständige Partei gegründet. Gründungsmotive waren die Ab-lehnung der Partei-Führung, der innerparteilichen Bürokratie und der politischen Linie der KPD.
Bezüglich des Parteiapparats klagte die Opposition:

„Die Revolution vorbereiten, führen und durchführen kann nur eine Partei deren Mitglieder politisch selbstständig sind, in denen der Geist der revolutionären Initiative und der Kritik lebendig ist.“

In mehreren Punkten kritisierte die Opposition die politische Linie de Parteiführung. Deren „Gerassel mit revolutionären Phrasen“ machte solange keinen Sinn, wie es nicht „organisch mit Tageskämpfen verbunden wird“, klagten die Genossen aus Breslau. Die sogenannten „re-volutionären Übergangslosungen“, die den täglichen sozialen Kämpfen revolutionäre Per-spektiven gaben und sie auf die proletarische Diktatur hin ausrichteten, wurden nämlich von der KPD-Führung abgelehnt.
Eng damit verbunden war die Kritik am „kommunistischen Abenteurertum“ der Partei in der Gewerkschaftspolitik, die auf Konfrontation mit den reformistisch geführten Arbeitern ausge-richtet wäre und die Gewerkschaften mitsamt ihren Mitglieder in Gegnerschaft zur KPD brächten.
Die Hauptkritik der KPD(O) an der Mutterpartei betraf die Behinderung einer Einheitsfront gegen den Faschismus. Dies gipfelte gar in einem von der NSDAP initiierten und von der KPD unterstützten Volksentscheid gegen die SPD-Regierung in Preußen 1930 und einer ge-meinsamen Streikfront von Nationalsozialisten und Kommunisten während des Berliner Ver-kehrsarbeiterstreiks von 1932. Das Festhalten an der Sinowjewschen „Sozialfaschismustheo-rie“ gegen die SPD, die freilich ebenfalls Schuld am Nichtzustandekommen der Einheitsfront traf, war nach Meinung der KPD(O) ein fataler Fehler der Mutterpartei.
Das Ziel der KPD, wie auch der KPD(O), war die Beseitigung der bürgerlich-parlamentarischen Republik und die Errichtung einer Räterepublik. Während die KPD(O) jedoch zunächst für die Verteidigung der Weimarer Republik gegen den Faschismus plädierte, verkannte die KPD, dass die bürgerlich-parlamentarische Republik der bessere Kampfboden für Kommunisten gewesen wäre als der Faschismus. Von Anfang an machte die Opposition die KPD auf Bedrohung durch den Faschismus aufmerksam. August Thalheimer, der bereits in der KPD zu den führenden Theoretikern gehörte, entwickelte dazu eine brillante marxistische Analyse des Faschismus.

Thalheimers Faschismusanalyse
Ausgangspunkt dafür war Karl Marx’ Analyse des Bonapartismus im Frankreich des 19. Jh. Wie dieser war, laut Thalheimer, auch der Faschismus eine Form der offenen Diktatur des Kapitals mit einer verselbstständigten Exekutivgewalt. Während der Bonapartismus die offe-ne Diktatur des Kapitals in Zeiten der freien Konkurrenz war, so bildete der Faschismus die offene Diktatur des Kapitals im Zeitalter des Monopolkapitalismus (Imperialismus). Sie stell-ten beide die finale Form der bürgerlichen Herrschaft dar, wären aber keine einmaligen Er-eignisse, sondern könnten jederzeit wieder auftreten, solange die Arbeiterklasse nicht die Fä-higkeit besäße, die Macht endgültig an sich zu reißen und den Zyklus zu beenden. Thalheimer warnte vor der drohenden Gefahr des Faschismus, indem er klarstellte, dass in allen kapitalis-tischen Ländern die Bestrebungen dahin gingen, das parlamentarische System auszuhöhlen, um stärkere Garantien für die Bourgeoisie zu schaffen. Allerdings würde nicht gesetzmäßig (gewissermaßen als fließender Übergang) der Faschismus folgen, denn die Herstellung der offenen Diktatur wäre nur durch einen Putsch bzw. einen Staatsstreich möglich. Nur durch diesen „Sprung“ könnte das parlamentarische System vollständig beseitigt werden. Thalheimer sagte ausdrücklich, dass die Regierung Papen-Schleicher nur noch ein kurzer Zwischenakt zur offenen direkten faschistischen Diktatur wäre, wenn nicht die Arbeiterklasse in letzter Stunde entscheidend eingreife.
Doch die dafür notwendige Einheitsfront von Kommunisten und Sozialdemokraten kam nicht zustande. Die Opposition war bis zur Illegalität eine kleine und für die deutsche Politik unbe-deutende Partei. Erfolge bei größeren Wahlen blieben aus. Zu Reichstagswahlen trat die Op-position gar nicht erst an, sondern unterstützte die KPD.
Die Stalinisierung und blinde Moskautreue der KPD sollte sich später als Fehler erweisen. Doch die Einsicht kam zu spät. Stattdessen wurde die „Rechtsabweichung“ in der KPD als Gefahr für die kommunistische Bewegung dämonisiert, während die tatsächliche Bedrohung in dem Sektierertum der Ultralinken auf Kosten des Pluralismus und der innerparteilichen Demokratie lag.
Kurze Zeit später saßen rechte und linke Kommunisten sowie Sozialdemokraten Seite an Sei-te in den faschistischen Konzentrationslagern. Wie kleinlich wirken dagegen die vorherigen Auseinandersetzungen innerhalb der sozialistischen Bewegung.

Zum Autor:
Christian Wienert hat Geschichte studiert, war stellv. Kreisvorsitzender der LINKEN Potsdam und engagiert sich in der dortigen Hochschulgruppe DIE LINKE.SDS.