19.03.2009

Sagen, was ist

Linke Aufgaben in Zeiten der Krise

Katja Kipping
Katja Kipping

Eine Frage, die aktuell in den Medien rauf und runter behandelt wird, lautet: Warum profitiert DIE LINKE nicht von der Krise? Nun, so kann man einen Erfolg auch klein reden. Natürlich profitiert DIE LINKE von der Krise – und zwar inhaltlich. Als wir mehr Geld für Kinder in Hartz-IV-Familien forderten, da wurden wir als Geldverschwender beschimpft. Inzwischen hat die Bundesregierung ein Schulpaket von jährlich 100 Euro für Kinder in Hartz-IV-Familien verabschiedet. Bis vor kurzem wurden unsere Anträge auf Begrenzung der Managergehälter abgelehnt. Inzwischen haben auch CDU und SPD das Thema für sich entdeckt. Bisher bekam so mancher, der sagte, der Kapitalismus sei nicht das Ende der Geschichte, den Verfassungsschutz auf den Hals gehetzt. Jahrzehntelang galt es bei den Eliten in Politik und Medien als unvorstellbar, dass es andere Formen der Verfügungsgewalt über Produktionsmittel als private Konzerne gibt. Inzwischen hat die Bundesregierung ein Enteignungsgesetz beschlossen. Es ist also so einiges in Gang gekommen in der gesellschaftlichen Debatte – auch dank der LINKEN. Doch das ist kein Grund nachlässig zu werden. Davon zeugt allein der Umstand, dass ausgerechnet die FDP in den Wahlumfragen hinzugewinnt. Was jetzt gefragt ist, ist gründliche Analyse und eine Verständigung über linke Herausforderungen und Aufgaben, denen sich DIE LINKE jetzt stellen muss. Dafür werden im Folgenden sechs Vorschläge unterbreitet.

1. Krise des real existierenden Kapitalismus

Immer noch lautet das dominante Deutungsmuster, die Krise habe ihre Ursache in der Gier und der Maßlosigkeit einiger weniger. Diesem Deutungsmuster müssen wir unsere eigene, alternative Erzählung entgegensetzen und sagen, was ist. Bei dieser Krise, von der wir momentan nur die Spitze des Eisberges erleben, handelt es sich nicht einfach um eine Finanzkrise, sondern um eine Krise des real existierenden Kapitalismus. Der finanzmarktgetriebene Kapitalismus ist nun einmal auf eine ständige Expansion angewiesen. Da es für diese beständige Expansion aber schon längst keine produktive Grundlage mehr gibt, (Ganz zu schweigen davon, dass der kapitalistische Komparativ des „Schneller-höher-weiter-mehr-Profit“ die Grenzen des ökologisch Vertretbaren längst überschritten hat.) muss er in einer virtuellen Geldluftblase enden. Dass diese irgendwann platzen würde, war abzusehen.

2. Handeln der Herrschenden – Handeln von ziellos Gehetzten

Immer noch bekommt die Bundesregierung für ihr angebliches Krisenmanagement in der Öffentlichkeit gute Haltungsnoten. Doch allein die Personalie Hans Tietmeyer zeigt, wie es tatsächlich um die vermeintliche Krisenkompetenz der Bundesregierung aussieht. Da verkündete doch die Bundeskanzlerin im Bundestag, sie wolle Herrn Tietmeyer, den früheren Präsidenten der Deutschen Bundesbank, als obersten Krisenberater einsetzen. Nur zur Erinnerung: Tietmeyer war einer der führenden Architekten des globalen Finanzcasinos. Er war es, der auf dem Weltwirtschaftsforum voll Freude verkündete, nun stehe die Politik unter der Führung der Finanzmärkte.

Wer so handelt, macht Brandstifter zur Feuerwehr. Jeder Bürgermeister, der einen stadtbekannten Pyromanen zum Chef der Freiwilligen Feuerwehr ernennen würde, müsste mit einem Amtsenthebungsverfahren rechnen. Doch die Bundesregierung verfährt genau nach diesem Prinzip: Diejenigen, die die Krise verursacht haben, bestimmen die Krisenbewältigung.

Somit wird das Handeln der Herrschenden zum Handeln ziellos Gehetzter. Kein noch so schön verpacktes Konjunkturpaket, kein noch so großer Rettungsschirm für Banken hat bisher die Talfahrt aufhalten können. Wer sich scheut, an die Wurzeln des Problems zu gehen, dem bleibt letztlich nur wirkungslose Symbolpolitik und das Abwälzen der Kosten auf andere – bevorzugt auf RentnerInnen, Beschäftigte und Erwerbslose.

3. Aufpassen, wer die Zeche zahlt

Noch schreiben wir die Zeitrechnung vor der Bundestagswahl. Insofern sind größere soziale Grausamkeiten noch nicht spruchreif. Aber schon gibt es die ersten Vorboten: jugendliche Heißspunde, die angesichts der Krise Rentnerinnen und Rentner zum Verzicht auffordern. Dabei war es gerade die Kürzung der Gesetzlichen Rentenversicherung, die zunehmend mehr Menschen dazu brachte, Geld in privaten Fonds anzulegen, um zusätzlich fürs Alter anzusparen. Diese Fonds mussten Rendite einspielen und erhöhten so den Druck aufs globale Finanzcasino. Wer also heute noch Kürzungen bei der Rente fordert, der zeigt, dass er nichts aber auch gar nichts aus der Krise gelernt hat.

Neben dem Angriff auf die Rente droht spätestens nach den Bundestagswahlen 2009 ein Angriff auf soziale Leistungen. Um dafür den Boden zu bereiten, fangen heute schon Politiker an, Ressentiments gegen Erwerbslose zu schüren. Die Äußerung des Vorsitzenden der Jungen Union Philipp Missfelder, die Erhöhung des Hartz IV-Regelsatzes sei ein Anschub für die Tabak- und Spirituosenindustrie, treibt da nur auf die Spitze, was andere subtiler bedienen. Wenn immer es im Bundestag oder in Talkshows auch nur um kleine Verbesserungen im Bereich Hartz IV geht, erinnern die etablierten Politiker und Politikerinnen an den Beschäftigten, der von früh bis abends arbeitet und trotzdem wenig in der Tasche hat. Als ob der Frisör oder die Facharbeiterin auch nur einen Cent mehr in der Tasche hätten, nur weil es Erwerbslosen noch schlechter geht! Wenn Beschäftigte zu wenig Geld bekommen, dann liegt das daran, dass es noch keinen flächendeckenden Mindestlohn gibt bzw. daran, dass sie mit ihrer Arbeit den Mehrwert und die Profite mit erwirtschaften müssen – aber ganz bestimmt nicht daran, dass wir aus dem allgemeinen Steueraufkommen jedem gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Im Grunde lässt sich hier nur ein alt bekannter Trick der Herrschenden beobachten: Diejenigen, die wenig haben, werden gegen diejenigen ausgespielt, die noch weniger haben. Dieses Manöver müssen wir als das bezeichnen, was es ist: Klassenkampf von oben.

4. Antizyklisch Reformschritte – aber richtig

Die Hetze gegen Erwerbslose mag am Stammtisch ihre Wirkung nicht verfehlen, aber sie verfehlt eins komplett, die Lösung der Ursachen des Problems. Denn wenn es eine Reformstrategie gibt, die die Krise wirkungsvoll abfedern kann, dann ist es die antizyklische Finanzpolitik. Soll heißen: Gerade jetzt in Zeiten der Krise brauchen die Menschen mehr Geld. Dies hat inzwischen auch die Bundesregierung erkannt. Nur leider profitieren von ihren Konjunkturpaketen vor allem die Vermögenden. Hartz-IV-Betroffenen und Geringverdienenden kommen gerade mal läppische zwei Prozent des zweiten Konjunkturpakets zu Gute. Wer jedoch die Wirtschaft ankurbeln möchte, der muss dafür sorgen, dass diejenigen, die ein geringes bis mittleres Einkommen haben, mehr Geld haben. Studien zum Sparverhalten belegen eindeutig, wenn ein Vermögender mehr Geld bekommt, legt er es in der Regel an. Einkommensärmere Menschen hingegen geben das Geld schon deshalb aus, weil sie einen großen Nachholbedarf haben. Ein wirksames Konjunkturpaket müsste also bei den Menschen mit niedrigen Einkommen und Renten sowie bei Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, ansetzen. Linkskeynesianische Lösungen, wie ein Zukunftsinvestitionsprogramm und die Erhöhung der Sozialleistungen, können die Auswirkungen der Krise abmildern und sind insofern zu befördern. Jedoch, stehen bleiben sollte linke Politik dabei nicht. Zu linker Politik gehört darüber hinaus immer auch der Kampf um die Verfügungsgewalt über Produktionsbedingungen sowie über das eigene Leben.

5. Eigentumsfrage stellen

Insofern ist DIE LINKE gut beraten, die Eigentumsfrage selbstbewusst zu stellen. (übrigens nicht nur in Zeiten der Krise.) Schließlich ist die Demokratie nur eine Halbe, solange der Bereich der Wirtschaft der demokratischen Kontrolle entzogen ist. Allerdings stellt eine rein formale Verstaatlichung, die letztlich nur bedeutet, dass statt einiger ManagerInnen nun einige MinisterialbeamtInnen das Sagen im Aufsichtsrat haben, nicht wirklich eine Verbesserung dar. Maßstab für demokratische Sozialistinnen und Sozialisten sollte bei der Eigentumsfrage immer sein, inwieweit sich die Verfügungsgewalt über die Produktionsbedingungen für die davon Betroffenen verbessert.

Sicherlich, es gibt Schlüsselbereiche wie die Stromnetze, wo Verstaatlichung die sinnvollste Lösung auch im Hinblick auf Effizienz und demokratische Kontrollierbarkeit darstellt. Doch wenn es um wirklich gesellschaftliche Verfügungsgewalt geht, sind für viele Bereiche zwei andere Wege vielsprechender: Erstens im Sinne der Wirtschaftsdemokratie die Ausweitung der Mitbestimmung –letztlich auch darüber, wie und was produziert wird. So sollten zukünftig nicht die Aktionäre über Betriebsverlagerungen entscheiden können. Vielmehr muss den Beschäftigten und der örtlichen Bevölkerung die Option eingeräumt werden, den gefährdeten Betrieb samt aller Produktionsmittel entweder als Genossenschaft oder als öffentlichen Betrieb zu übernehmen. Sollten sich die Beschäftigten in einer Urabstimmung für diese Option entscheiden, dann muss die gesamte Betriebsanlage einschließlich aller Produktionsmittel, aller Kundendateien und vor allem aller bereits geschlossenen Verträge und Lizenzen vor Ort erhalten bleiben. Zweitens gilt es, Formen des solidarischen Wirtschaftens, wie Kooperative und Genossenschaften, zu fördern. Diese alternativen Wirtschaftsformen verkörpern den lebendigen Zweifel an der These vom Ende der Geschichte. Sie zeigen praktisch, dass alternative Formen des Wirtschaftens und Konsumierens möglich sind.

6. Volksentscheid über Zukunft der Banken

Aktuell stellt sich im öffentlichen Diskurs die Eigentumsfrage vor allem bei den vom Bankrott bedrohten Banken. Nun wird der demokratische Sozialismus wohl kaum mit der Verstaatlichung einer Bank, bei der außer Schulden nichts mehr zu holen ist, beginnen. Allein der Umstand, dass die Bundesregierung die Verstaatlichung der Hypo-Real-Estate Bank im Notfall beschlossen hat, deutet an, dass bei den Banken der Ruf nach simpler Verstaatlichung nicht automatisch eine linke Antwort darstellt. Die Frage nach der Zukunft der Banken wäre doch ein guter Anlass, endlich bundesweit die Volksabstimmung einzuführen und die Bevölkerung, den Souverän in einer Demokratie, über die zukünftige Eigentumsform der Banken entscheiden zu lassen. Solch eine Abstimmung würde natürlich die Debatte um verschiedene Eigentumsformen befördern. In diesen Debatten könnten wir als LINKE uns für die Vergesellschaftung, also für die „Versparkassenisierung“ der Banken einsetzen. Schließlich haben sich die Sparkassen gerade in der Krise auch als Fels in der Brandung bewiesen.

Wenn DIE LINKE heute eine Volksabstimmung über die zukünftige Eigentumsform der Banken fordert, dann greift sie eine alte, aber hochaktuelle Idee von Rosa Luxemburg auf: „Der einzige Weg zur Praxis des Sozialismus: die Schule des öffentlichen Lebens selbst, uneingeschränkte breiteste Demokratie, öffentliche Meinung.“