…sonst können wir einpacken

Juli Zeh über den Hauptwohnsitz der schreibenden Zunft und den Stellenwert von Datenschutz

prager frühling: Sie sind Juristin, Schriftstellerin und engagieren sich politisch. Kommt es zu Interaktionen oder führen Sie einfach ein Doppelleben?
Juli Zeh: Es gibt viele Überschneidungen. Oft nutze ich meinen Beruf als Schriftstellerin, um Essays zu Themen zu schreiben, welche von meiner völkerrechtlichen Laufbahn inspiriert sind. Mit völkerrechtlicher Neugier bin ich vor einigen Jahren nach Bosnien gereist – und habe danach ein literarisches Buch über Bosnien geschrieben. Vor allem aber hat die juristische Ausbildung mein Sprachgefühl geschärft. Juristen legen jedes Wort auf die Goldwaage. Das muss ein Schriftsteller auch. Das Schreiben drückt einfach mein ganzes Wesen aus, und dazu gehört auch das politische und juristische Denken.

pf: Stefan Zweig sagte einst, die Momente, in denen sich Worte zu Literatur verdichten, entzögen sich der Nacherzählbarkeit.
Zeh: Stefan Zweig hat Recht. Beim Reden über das Schreiben gibt es immer nur Versuche metaphorischer Annäherung. Ich will trotzdem versuchen, eine Facette zu greifen: Für mich ist das Schreiben – und ich spreche jetzt von Romanen – Ausdruck eines kindlichen Spiels mit der Phantasie. Für mich ist die menschliche Betätigung in der äußeren Welt nicht wichtiger, anstrengender oder echter als die Betätigung in der inneren Welt, das Wandern durch Gedankenräume, Bilderwelten, Ideenwälder, die auf wundersame Weise der eigenen Persönlichkeit entstammen. Beim Schreiben gelingen diese Wanderungen auf komplexere, aufregendere Weise, als wenn ich einfach nur vor mich hin träumen würde.

pf: Sie klagen gegen den Ex-Innenminister Schily. Eine juristische Fingerspielerei?
Zeh: Der Datenschutz ist mir ein höchstpersönliches Anliegen – quasi ein Akt der Selbstverteidigung. Würde ein Privatmensch versuchen, meine E-Mails zu lesen oder an meine Fingerabdrücke heranzukommen, würde ich ihm ganz spontan eine runterhauen. Um dem Staat „eine herunterzuhauen“, muss man verschlungene Wege gehen.

pf: Was erwidern Sie Menschen, die meinen, wer nichts zu verbergen habe, habe nichts zu befürchten?
Zeh: Ihnen muss ich leider sagen, dass sie sich perfekt zu Untertanen in einem totalitären System eignen würden. Die Erfahrung mit der Stasi liegt erst kurz zurück. Wer wissen will, was es bedeutet, vom Staat kontrolliert zu werden, muss nur einen ehemaligen DDR-Bürger fragen, der mit diesen Problemen zu tun hatte. Wer glaubt, es ginge im Leben nur darum, ein “good guy“ oder ein „bad guy“ zu sein, und der Staat habe zu entscheiden, wer die „bad guys“ sind, während alle anderen mit selbstzufriedenem Lächeln denken: Mir geht’s gut, weil ich alles richtig mache – der hat nichts verstanden von Demokratie, von der menschlichen Natur und vom Zusammenleben in Gesellschaften.

pf: In einem Ihrer Essays schreiben Sie über die schreibende Zunft: „Unseren Hauptwohnsitz würden wir niemals mit ´Auf den Barrikaden´ angeben.“ Wo liegt er dann? Im Elfenbeinturm?
Zeh: Nein, nein, dieses Gerede vom Elfenbeinturm ist absolut irreführend. Einem Schriftsteller vorzuwerfen, dass er „weltfern“ sei, ist absurd. Schriftsteller sind immer zugleich „weltfern“ und zu hundert Prozent „in der Welt“ (weil sie „bei sich“ sind) - es kommt nur darauf an, was diese „Welt“ denn sein soll. Es geht mehr um die Frage, auf welche Weise Menschen (und auch Künstler) ihre gesellschaftliche Rolle (die jeder Mensch hat) verwirklichen. Und da kann man feststellen: „Widerstand“ ist uncool geworden. Deshalb würde ich den Hauptwohnsitz der Schriftsteller eher mit „im Gesellschaftslabor“ angeben. Sie analysieren den Menschen und seine Rolle in der Welt. Was fehlt, sind Schlussfolgerungen bzw. ethische Konsequenzen.

pf: Was ist es, das die schreibende Zunft, von der Sie sagen, sie sei im schlimmsten Sinne unpolitisch, so abstößt von der Politik?
Zeh: Es ist der Gruppenzwang. Die jüngere Generation begreift sich selbst als individualistisch. Individualismus und persönliche Freiheit sind - auch nach meinem Verständnis – unsere höchsten Werte. Dummerweise ist man dann nur schlecht in der Lage, sich einer Partei anzuschließen, deren Programm man höchstens zu 10 Prozent überzeugend findet – denn mehr Übereinstimmung wird ein Individualist niemals feststellen, wenn er ein kollektiv zustande gebrachtes Themenpaket betrachtet. Ein Individualist hat Schwierigkeiten, sich mit anderen unter einer Fahne zu versammeln, um seine Interessen zu vertreten. Aber das demokratische System verlangt genau das: Interessenbündelung. Wir haben noch keine Lösung dafür, wie man die neue Mentalität in unser Staatsverständnis integrieren kann.

pf: Ist die Zeit reif für ein neues Verhältnis zwischen Kunst und Politik – frei von Kolonisierungsversuchen und in Anerkennung der gegenseitigen Wechselwirkungen?
Zeh: Ich glaube, es ist wichtig, dass wir über diese Fragen (Verhältnis von Politik und Kultur) öffentlich sprechen, damit sich die Künstler und die Kunstinteressierten klar machen, welchen besonderen Strukturen wir heute begegnen und damit vielleicht auch der ein oder andere dazu veranlasst wird, den politischen Dialog wieder aufzunehmen, weil er erkennt: Wir müssen auch in individualistischen Zeiten Formen für das gesellschaftlich-politische Gespräch finden, sonst können wir einpacken!

pf: Verraten Sie uns zum Abschluss, woran Sie gerade schreiben?
Zeh: An meiner völkerrechtlichen Doktorarbeit. Thema ist im weitesten Sinn der Versuch, Demokratieaufbau in Krisengebieten zu betreiben. Es geht also um Beispiele wie Kosovo, Bosnien, Afghanistan oder Irak. Dazu mache ich eine juristische Analyse.

pf: Dabei wünschen wir viel Erfolg.