11.07.2009

Tschetschenien, Afghanistan und Dresden

Wie der Krieg vom Kaukasus und Hindukusch zu uns kommt

Ralf Richter
Treppenaufgang zum Dresdner Amtsgericht im Juli 2009

Vor einigen Jahren sorgte ein Buch für großes Aufsehen: Der renommierte amerikanische Autor Philip Roth hatte sich der Identitätsfrage besonders intensiv in seinem Buch „Der menschliche Makel“ angenommen. Ein Professor für zeitgenössische Literatur wird aus dem Dienst gemobbt mit der Begründung, er habe rassistische Äußerungen gemacht. Er verliebt sich in eine junge Analphabetin, deren Ex-Mann Vietnam-Rückkehrer ist und an der Darstellung der Lebensumstände dieses Mannes kann man lernen, wie schwer es für Kriegsrückkehrer ist, in ein normales Leben zu finden. Jedes Jahr zum „Veteranen-Tag“ werden „rollende Wände“ durch die USA transportiert – sie sind Kopien der „Klagemauer“ auf dem Militärfriedhof von Arlington, auf der die Namen aller ca. 50.000 im Vietnamkrieg gefallenen Amerikaner verzeichnet sind. Veteranenverbände üben mit ihren Mitgliedern noch nach Jahrzehnten einmal diese Klagemauer zu besuchen, ohne dabei vorher zusammen zu brechen. Und noch etwas wird geübt: Asiatisch essen zu gehen, und der Versuchung zu widerstehen, den Kellner dabei umzubringen. Es leuchtet den ehemaligen Kampfmaschinen einfach nicht ein, dass das Töten im Staatsauftrag zwar okay ist, dass Killen in privater Sache zu Hause aber verurteilt wird. Die Knarre ist immer noch schnell zur Hand und wie man Probleme „endgültig löst“ hat man da unten ja gelernt. Ist der Dresdner Amtsgerichtsmörder nun also Tschetschenienkriegsveteran? Wie viele Moslems hat er im Kaukasus „aus dem Weg geschafft“? Und: Wie werden – mit welchen psychischen Problemen – unsere Jungs aus Afghanistan zurück kommen? Sind dort wirklich alle beim Brunnen bohren? Oder haben vielleicht doch die Offiziere der Bundeswehr recht wie der Major, der mich unlängst von Hamburg nach Berlin fuhr und der davon sprach: „Wir sind dort im Krieg und es ist Mumpitz, wenn man hier so tut als würden unsere Einheiten nicht los ziehen zur Menschenjagd!“ In naher Zukunft werden die Einsatzzeiten verlängert – der Austausch nach vier Monaten kommt einfach zu teuer. Besser (weil billiger) ist es, die Jungs gleich noch ein paar Monate länger dort unten zu lassen. Länger unter Raketenbeschuss. Länger in ständiger Ungewissheit, was der nächste Tag bringt. Fliegen die Raketen auf unser Lager oder müssen wir raus auf Patrouille? Und dann, wenn wir draußen sind und ein Radfahrer auf uns zu kommt? Oder ein Auto? Schießen wir nicht, gehen wir in die Luft. Schießen wir, treffen wir Unschuldige. Das zerrt an den Nerven. Stunde um Stunde, Tag um Tag, Monat um Monat. Was denkt einer, der gerade zurück ist aus Kunduz und weiß, bald muss er wieder hin – dann ein paar Monate länger und von den Kameraden hört er, dass es in der Zwischenzeit in der Region nicht unbedingt gemütlicher geworden ist?

Ehemalige amerikanischen Vietnam- und Irakkrieger haben sich übrigens nicht vorrangig an Ausländern vergangen – das ist auch im Philip Roth-Roman nicht so. Das erste Opfer ist dann die Ex-Frau, die mit ihrem neuen Liebhaber „plötzlich ums Leben kommt“ … Bei dem Kriegsheimkehrer hatte die psychiatrische Behandlung nicht viel gebracht – viele aber lehnen die Behandlung ganz ab, schließlich haben sie da unten gelernt, kein Weichei zu sein. Afghanistan-Veteranenverbände in Deutschland – wo sind die eigentlich? (Und wer denkt bei den Russlanddeutschen an dieAfghanistan- und Tschetschenienkriegsveteranen?) Sie hätten sich übrigens per Internet viel zu erzählen mit den ehemaligen sowjetischen Afghanistan-Veteranen in Russland. Die sowjetische Armee rekrutierte ihre Afghanistan-Kämpfer (das dürfte wenigen bekannt sein) unter anderem besonders in der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD). So zogen schon in den 80er Jahren nicht wenige aus Ostdeutschland an den Hindukusch- wie heute wieder! Der Krieg, den wir (damit die Lebensversicherungen für die Gefallenen zahlen an Stelle des Bundes) am Hindukusch gar nicht führen, kehrt zu uns zurück. Wie sagte der Major: „Wir können – gerade aus Ostdeutschland – gar nicht so viele dort hin schicken, wie freiwillig nach Afghanistan wollen ...“ Er kam übrigens unter für ihn selbst überraschenden Umständen ins Krisengebiet - der Offizier, der eigentlich für den Einsatz vorgesehen war, fiel kurz vor seinem Abflugtermin alkoholisiert unter ungeklärten Umständen beim Rauchen aus dem Kasernenfenster im fünften Stock und starb an Ort und Stelle. Seine Lebensversicherung wenigstens zahlte problemlos an die Hinterbliebenen.

Zum Autor

Ralf Richter, Dresden, ist freier Autor und u.a. Initiator des Ersten Dresdner Hartz IV-Akademikertreffs (EDAT), Diplomarbeit an der HU Berlin zur "Geschichte der Reichsausländer in Dresden".