11.01.2011

Überzogen

Zum Arbeitsbegriff und der Kritik der Bundesfrauenkonferenz am Programmentwurf der LINKEN

Ralf Krämer

In der lesbar führen wir die Diskussion zum Parteiprogramm weiter. Nachdem Cornelia Möhring[1] und Caren Lay[2] in Artikeln den vorliegenden Programmentwurf jeweils aus feministischer Perspektive kritisierten, erreichte die Redaktion ein Beitrag von Ralf Krämer, der diese zurückweist und der hier zur Verfügung gestellt wird.

Die Bundesfrauenkonferenz am 10.10.2010 hat eine Kritik am Programmentwurf für die Partei DIE LINKE beschlossen, in dem sie u.a. den angeblich dem Programmentwurf zugrunde liegenden Arbeitsbegriff kritisiert. Ich kann eine Kritik am Programmentwurf nachvollziehen, der die bisherigen Aussagen aus feministischer Sicht zu wenig und zu unsystematisch sind. Aber die Formulierungen der Bundesfrauenkonferenz sind m.E. unangemessen, überzogen und unbegründet.

Zutreffend ist, dass Vieles im Programmentwurf nicht oder nur unzureichend behandelt wird. Da kann und sollte an verschiedenen Punkten, auch von der Bundesfrauenkonferenz angesprochenen, nachgearbeitet werden. Die Passagen zu Gleichheit und Geschlechtergerechtigkeit beruhen dabei auf Textvorschlägen, die von weiblichen Mitgliedern der PK vorgelegt wurden und als am geeignetsten erschienen (es lagen noch weitere Passagen dazu, mit vielen Überschneidungen oder weniger geeignet). Für einen Programmentwurf besser geeignete Texte – dazu kann es selbstverständlich unterschiedliche Meinungen geben, aber das war kein großer Streit – lagen nach meiner Erinnerung nicht vor. Es fehlt im Programmentwurf insgesamt eine systematische Analyse nicht nur der Geschlechterverhältnisse, sondern auch der Klassenverhältnisse oder anderer Herrschaftsstrukturen. Die Behauptung der Bundesfrauenkonferenz, die im Programmentwurf formulierte Analyse fiele „noch hinter die These vom Nebenwiderspruch zurück“, ist deshalb unbegründet.

Es auch kritisch zu hinterfragen, in welcher Form und welchem Umfang eine Gesellschaftsanalyse in ein Parteiprogramm gehört. Das ist kein wissenschaftlicher, sondern ein politischer Text. Er darf nicht überlang werden und sollte allgemein verständlich sein. Wörter wie „heteronormativ“ gehören deshalb nicht hinein. Langatmige theoretische Ausführungen zu zudem innerhalb der LINKEN umstrittenen Punkten sollten unterlassen werden. Maßstab für die Gewichtung sollte sein, wie – subjektiv – wichtig Punkte für die politische Positionierung der Menschen sind, die wir ansprechen wollen, und wie – objektiv – bedeutsam sie für die Darstellung der realen Entwicklungen und Verhältnisse und der Schlüsselmomente ihrer Veränderung sind, und welche Rolle sie für die politische Auseinandersetzung und Praxis der Partei spielen. Das politische Profil der LINKEN und die zentralen Grundpositionen und Botschaften, die von der Partei und ihren Mitgliedern breit getragen werden, müssen im Mittelpunkt stehen und deutlich werden.

Ich teile völlig einen allgemeinen Begriff der Arbeit als zweckmäßige bewusste Tätigkeit. Es ist auch völlig unstreitig, dass es verschiedene Bereiche gibt, in den gesellschaftlich notwendige Arbeit geleistet wird, und dass es neben der Lohn- und anderen Erwerbsarbeit auch Arbeit in anderen gesellschaftlichen Formen gibt. Am bedeutsamsten ist dabei die unbezahlte Arbeit, die überwiegend in privaten Haushalten geleistet wird und die von der Zahl der geleisteten Stunden her sogar die Erwerbsarbeit übertrifft. Sowohl Erwerbsarbeit als auch unbezahlte Arbeiten sind notwendig für den gesellschaftlichen Lebens- und Reproduktionsprozess insgesamt.

Ich sehe nicht, wo irgendetwas im Programmentwurf diesem Arbeitsbegriff widerspricht, wie sich der Vorwurf der „männerdominierten Perspektive“ begründet, wo eine „Hierarchisierung unterschiedlicher Arbeiten“ formuliert wird. Es geht nicht um den Arbeitsbegriff, sondern um Schwerpunktsetzungen und Defizite des Entwurfs, das ist etwas anderes. Tatsächlich finden sich im Entwurf eine ganze Reihe von Aussagen, die alle nur Sinn machen, wenn nicht nur die Erwerbsarbeit als Arbeit betrachtet wird. Auch die von der Bundesfrauenkonferenz geforderte Umverteilung von Arbeit wird im Programmentwurf klar formuliert:

„Wir wollen, dass die Menschen Erwerbsarbeit, Arbeit in der Familie, die Sorge für Kinder, Partner und Freunde und schließlich individuelle Weiterbildung und Muße selbstbestimmt verbinden können." „Wir wollen, dass alle Menschen nach ihren Fähigkeiten und Neigungen am gesellschaftlich organisierten Arbeitsprozess mitwirken können und streben eine neue, gerechte Verteilung der Erwerbsarbeit und der anderen gesellschaftlich notwendigen Arbeiten an." „Die soziale Gestaltung und gerechte Verteilung der Erwerbsarbeit und der anderen notwendigen Arbeiten, insbesondere zwischen Männern und Frauen, haben eine Schlüsselrolle auch für die Gestaltung der gesellschaftlichen Lebensverhältnisse und des Sozialstaats.“ „Die Arbeitszeiten müssen gemäß den Bedürfnissen der Menschen bei vollem Lohnausgleich verkürzt werden. Gute Arbeit für alle, aber weniger Arbeit für die Einzelnen – das wollen wir als neue Vollbeschäftigung.“ „Wir fordern die Abschaffung des Ehegattensplittings, denn dieses fördert die traditionelle männlich dominierte Alleinverdiener-Ehe und hemmt die Erwerbstätigkeit von Frauen.“ „Wir unterstützen Maßnahmen, die zur Erhöhung der Frauenerwerbsquote beitragen, streiten für gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit, für die Verkürzung der Arbeitszeit und für die gerechte Verteilung von Erwerbs- und Familienarbeit auf Männer und Frauen.“ Auf weitere Punkte hat Kersten Artus in ihrem Beitrag[3] hingewiesen.

Es ist richtig so, dass „Gute Arbeit“ im Sinne der demokratischen und sozialen Gestaltung der Lohnarbeit eine wichtige Rolle im Programmentwurf spielt. Und zwar weil dies im Mittelpunkt der sozialen Interessen der lohnabhängigen Mehrheit der Bevölkerung – der Frauen wie der Männer – steht und weil die Erwerbsarbeit viel mehr gesellschaftlich-politischer Regulierung und Gestaltung zugänglich ist als die unbezahlte Arbeit. Die Begrifflichkeit „Gute Arbeit“ greift bewusst gewerkschaftliche Ansätze auf, die breit verankert sind, dies ist wichtig für DIE LINKE. Und ich fände es politisch falsch und auch antiemanzipatorisch, wenn diese Schwerpunktsetzung als „männerdominierte Perspektive“ bezeichnet würde.

Die Erwerbsarbeit hat zudem die besondere ökonomische Bedeutung, die sich von anderen – unbezahlten – Formen der Arbeit unterscheidet, dass nur sie die ökonomischen Werte und damit Einkommen produziert und damit auch die ursprüngliche Quelle aller anderen Einkommen und der Finanzierung des Sozialstaats ist. Eigentum an Aktien und anderem Kapital ermöglicht die Aneignung von Einkommen, aber geschaffen werden die Werte und damit die Einkommen durch die Arbeit. Nur Erwerbsarbeit produziert die Güter und Dienstleistungen, die mit Geld gekauft werden können. Die zentrale Rolle der Erwerbsarbeit für die gesellschaftliche Produktion und Verteilung wird indirekt daran deutlich, wie zentral die Verfügung über Geld für die Menschen in der heutigen Gesellschaft ist.

Falsch ist auch die Kritik, die Katja Kipping immer wieder bringt, obwohl wir sie schon mehrfach darauf hingewiesen haben, dass sie die Unwahrheit sagt. Im Programmentwurf steht „Einkommen und Vermögen werden durch Arbeit erzeugt und sollen daher entsprechend dem Beitrag zum gesellschaftlichen Arbeitsprozess und sowie nach Bedürftigkeit verteilt werden.“ Kipping macht daraus, „dass allein Erwerbsarbeit als Quelle von gesellschaftlichem Reichtum angesehen wird“. Dies ist eine zweifache Verfälschung: Im Entwurf steht „Arbeit“ und nicht „Erwerbsarbeit“, und es steht „Einkommen und Vermögen“ und nicht „Reichtum“. Dies ist wichtig, denn die Natur ist ebenso wie die Arbeit Quelle des stofflichen Reichtums – aber nicht des Vermögens, also des Eigentums, und des Einkommens.

Ein anderer Satz des Programmentwurfs, den Kipping und andere immer wieder falsch kritisieren, weil sie anscheinend nicht begreifen oder begreifen wollen, was gemeint ist, ist folgender: „Die Grundlage für die Entwicklung der Produktivkräfte ist heute und auf absehbare Zeit die Erwerbsarbeit.“ Die Betonung liegt hier auf der Entwicklung der Produktivkräfte, ihrer Dynamik. Diese entsteht in der gesellschaftlich organisierten Arbeit, im Rahmen gesellschaftlicher und globaler Arbeitsteilung und objektiver Vergesellschaftung der Forschung, Entwicklung und Produktion. Und diese gesellschaftlich organisierte Arbeit vollzieht sich ganz überwiegend in Formen von Erwerbsarbeit, vor allem Lohnarbeit. Es ist dieser gesellschaftlich organisierte Arbeits- und Produktionsprozess, in dem sich die Dynamik abspielt, und der auch die Bedingungen für die Arbeit in den privaten Haushalten umwälzt. Weder Waschmaschine noch Heimcomputer wurden in der Familie erfunden und produziert, sondern in der Industrie. Der Hinweis, dass die unbezahlte Arbeit sogar mehr Stunden ausmacht, ist da überhaupt kein Gegenargument. Harald Werner[4] und Herbert Schui[5] haben dazu Richtiges geschrieben.

Unpassend finde ich auch den Satz des Beschlusses: „Zu einem Konzept der guten Arbeit der LINKEN kann keine Arbeit gehören, die auf der Zerstörung von natürlichen Ressourcen und menschlichem Leben beruht.“ Der Programmentwurf setzt sich an vielen Stellen entschieden für die Erhaltung natürlicher Ressourcen und Lebensgrundlagen, gegen Krieg und für gutes Leben für alle ein. Das gehört aber nicht ins Kapitel „Gute Arbeit“. Dort wird bewusst und als politische Botschaft der soziale und gewerkschaftliche Gestaltungsanspruch in Bezug auf die Bedingungen der Lohnarbeit aufgegriffen, die unabhängig vom konkreten Inhalt der Arbeit gelten müssen. Auch Beschäftigte in der Rüstungs- oder der Atomindustrie haben Anspruch darauf und dass DIE LINKE ihre Interessen an in diesem Sinne „guter Arbeit“ wahrnimmt. Die Abkehr von diesen Produktionen und konkreten Arbeiten ist eine Aufgabe nicht der Gestaltung der Arbeit, sondern der Friedens- und der Energiepolitik.

Mein Eindruck ist, dass die Bundesfrauenkonferenz und eine feministisch motivierte Kritik am Programmentwurf von einigen GenossInnen instrumentalisiert wurde und wird für Versuche, die Grundlinie des Entwurfs zu verändern. Die zentrale Orientierung auf die (Um-)Gestaltung und Umverteilung der Erwerbsarbeit sowie die Orientierung auf die Gewerkschaften wollen einige ersetzen durch eine keineswegs neue und immer schon falsche pauschale Kritik der Erwerbsarbeit und die Orientierung auf ein bedingungsloses Grundeinkommen als vermeintliche Alternative. Verbunden wird dies aktuell mit einer Kampagne gegen Klaus Ernst, die der LINKEN nur schaden kann, vgl. dazu Kipping[6] und meine Kritik[7] am BGE.

Ralf Krämer, Mitglied der Redaktionskommission für das neue Programm der LINKEN, einer der SprecherInnen der Sozialistischen Linken

Links:

  1. https://www.prager-fruehling-magazin.de/de/article/585.mission-patriarchatsueberwindung.html
  2. https://www.prager-fruehling-magazin.de/de/article/586.gender-blindness.html
  3. http://die-linke.de/index.php?id=4680&rid=f_12970&mid=839&aC=cab85173&jumpurl=23
  4. http://www.harald-werner-online.de/index.php?id=16
  5. http://www.jungewelt.de/2010/12-21/018.php?sstr=Erwerbsarbeit
  6. http://www.jungewelt.de/2010/12-18/035.php?sstr=Erwerbsarbeit
  7. http://www.sozialistische-linke.de/programm/debatte/wirtschaft-arbeit-umwelt/162-bge-nee