13.01.2011

Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Interview zum Prozessauftakt

Stefan Gerbing

Am 12. Januar 2010 begann vor dem Landgericht Magedeburg das Revisionsverfahren gegen den Polizisten Andreas Schubert. Dem Dienstgruppenleiter wird vorgeworfen er habe den Tod des Sierra Leoners Oury Jalloh zu verantworten. Jalloh war gefesselt in einer Polizeizelle verbrannt, der ausgelöste Feueralarm wurde von den diensthabenden Polizisten ignoriert.

Das Landgericht Dessau hatte den Polizisten vom Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge freigesprochen. Die Nebenklage beantragte daraufhin Revision, der Bundesgerichtshof verwies daraufhin das Verfahren im vergangenen Jahr an das Landgericht Magdeburg zurück. prager frühling interviewte E. Komi von der Inititiative „Gedenken an Oury Jalloh“, die den Prozess begleitet. Komi kannte Oury Jalloh aus dem Telecafé, einem Afroshop in Dessau.

prager frühling: Bisher hat es zwei Freisprüche gegen beteiligte Polizisten gegeben. Hauptgrund war, dass sich die Polizisten gegenseitig im Verfahren deckten . Glauben Sie sechs Jahre nach dem Tod Oury Jallohs noch an eine Verurteilung?

E. Komi: Ja, wir hoffen, dass es dieses Mal klappt. Aber auch, dass wir erfahren, wer eigentlich alles im Keller der Polizeiwache war. Wir haben Informationen, dass bevor das Feuer ausbrauch zwei Polizisten dort waren. Wir wollen wissen, was die im Keller mit Oury Jalloh gemacht haben. In der Zelle wurde darüber hinaus eine Flüssigkeit gefunden. Wir wollen wissen, was das für eine Flüssigkeit war und wie die da hinkam. Vor dem Prozess hat Herr Schubert, der Hauptangeklagte bereits einen Brief an das Gericht geschrieben, in dem er sagt, dass er sich nicht mehr zu den Vorwürfen äußern möchte und dass er auf Grund einer schweren Erkrankungen nicht mehr in der Lage ist, sich an das Geschehen zu Erinnern. Es ist ein Versuch ein weiteres Mal mit uns zu spielen.

pf: Wie verlief der gestrige Prozesstag?

Komi: Wir waren mit ungefähr 20 Personen im Gerichtssaal, viele mussten allerdings draußen bleiben, weil nicht mehr Plätze für unsere Initiative zur Verfügung standen. Außerdem waren internationale Beobachter vor Ort. Gestern wurden zwei der vier Zeuginnen vernommen, die gesagt hatten, dass sie sich von Oury Jalloh belästigt fühlten, als er aus der Disko kam…

pf: …das war der Anlass aus dem Oury Jalloh in Gewahrsam genommen wurde.

Komi: …das Gericht hat gesagt, dass eine Zeugin nicht mehr zu finden ist. Die beiden gestern vernommenen Zeuginnen haben offenbar versucht zu lügen, das hat auch das Gericht so gesehen. Zum Beispiel haben sie gesagt, dass die erste Vernehmung nicht auf der Wache stattfand, sondern zu Hause. Aus den Polizeiakten geht allerdings hervor, dass die Vernehmung nicht auf dem Revier stattfand, sondern bei den Zeuginnen zu Hause.

pf: Welche Bedeutung messen sie der Aussage bei.

Komi: Bisher verstärkt sich der Eindruck dass die beiden Zeuginnen unter großem Druck stehen. Sie verstricken sich jedenfalls in Widersprüche.

pf: Was glauben Sie, woher dieser Druck kommt?

Komi: Das kann ich nicht sagen. Der kommt von irgendwoher, weil das Verfahren sich gegen Polizisten richtet. In der Pause haben wir bemerkt, dass die Zeuginnen beraten wurden. Wir haben das mitbekommen.

pf: Der Prozess wurde von verschiedenen Kampagnen begleitet. Wie schätzen Sie den Erfolg bisher ein?

Komi: Bis jetzt hat unsere Kampagne gut funktioniert. Beim Prozessauftakt waren viele Menschenrechtsaktivisten da. Wir haben eine Mahnwache vor dem Landgericht Magdeburg gemacht.

pf: Das Land Sachsen-Anhalt hat mittlerweile reagiert und eine unabhängige Beschwerdestelle für Fehlverhalten von Polizisten eingerichtet. Glauben sie, dass sich dadurch etwas ändern wird?

Komi: Nein, das glaube ich nicht. Viel hat sich auch bisher nicht verändert. Wir werden kontrolliert, uns wird wird nachspioniert und unsere Telefone werden offenbar überwacht. Es gibt eine ganze Reihe von Schikanen, die bisher nicht aufgehört haben. Das letzte Mal waren wir im Oktober in Dessau, um eine Veranstaltung zu machen. Mouctar …

pf: … ein enger Freund von Oury Jalloh

Komi: …und ich wurden schon von der Polizei erwartet. Die haben uns nach der Veranstaltung verfolgt, uns kontrolliert und mit einer Taschenlampe im Gesicht herumgeleuchtet. Sie haben uns nach unseren Papieren gefragt. Nur uns Afrikaner — im Auto war auch auch eine Deutsche, die auch zur Initiative gehörte. Die wurde nicht kontrolliert.

Wir wollten unseren Zug nicht verpassen und sind dann weiter zum Bahnhof gefahren. Die Polizisten haben uns verfolgt und am Bahnhof wieder kontrolliert. Einer der Beamten hat dann dabei gesagt: „Im Übrigen: Unser Kollege wird sowieso nicht verurteilt." Wir haben uns daraufhin beim Innenminister beschwert. Das zeigt: Die Schikanen hören nicht auf, wir werden nur wegen unserer Hautfarbe kontrolliert. Wir fordern weiterhin: Das muss aufhören.

pf: Sie sagen, dass die bisher ergriffenen Maßnahmen nichts verbessert hätten und werfen der Polizei eine rassistische Haltung vor. Welche Maßnahmen könnten denn Ihrer Meinung nach die Situation von rassistisch diskriminierten Menschen wirksam verändern?

Komi: Das müssen die Polizisten selbst bearbeiten. In meiner Heimat gibt es einen Spruch: „Man kann sich nur selbst verändern, das kann kein anderer tun.“ Die Polizisten müssen das selbst machen — es gibt keine andere Lösung. Wenn die sich nicht verändern wollen, wenn sie nicht wollen, dass wir hier bleiben, was können wir dagegen tun? Uns bleibt nur, auf die Straße zu gehen.

pf: Ich hatte die Unterstützung von verschiedenen Gruppen bereits angesprochen. Fanden sie die hilfreich oder gab es auch „Hilfe“ auf die Sie gerne verzichtet hätten?

Komi: Ich persönlich sage immer: Solidarität ist unsere Waffe. Wir haben gesehen, dass das richtig ist. Viele Gruppen haben uns unterstützt und machen weiter. Das ist auch gut so, denn alleine werden wir das nicht schaffen.

pf: Zum Abschluss noch eine persönliche Frage. Sie beschäftigen sich seit sechs Jahren mit den schrecklichen Umständen des Todes eines Menschen. Wie hält man das aus?

Komi: Das ist schwierig. Man hält das nur schwer aus. Das ist eine schwierige Arbeit. Wir schafften vieles auch nicht. Aber wir haben viele Unterstützer und darüber sind wir froh. Manche von uns haben Familie, haben Arbeit oder studieren. Andere haben schlicht anderes zu tun. Das ist schwer unter einen Hut zu bringen. Aber wir kämpfen für unsere Würde, denn wir glauben daran, dass die würde des Menschen unantastbar ist.