25 jahre schengen

Kein Grund zum Feiern für Flüchtlinge

Marei Pelzer

Vor 25 Jahren wurde das Schengener Abkommen verabschiedet: Zwischen den Benelux-Staaten, der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich wurde der schrittweise Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen beschlossen. Mit dem Traum eines Europas ohne Binnengrenzen wurde von Anfang an der Albtraum einer perfektionierten Abschottung nach Außen verbunden. Während für die EU-Bürger die Schlagbäume in der EU fielen, wurden die EU-Außengrenzen immer weiter hoch gerüstet. Die Abschottung geht einher mit massiven Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen.

Italien: Rückschiebungen nach Libyen

Seit Mai 2009 wendet Italien ein bilaterales Abkommen mit Libyen an: In Italien strandende Bootsflüchtlinge oder auf See aufgegriffene Flüchtlingsboote werden umgehend wieder nach Libyen abgeschoben. Im Jahr 2009 waren davon über 1.400 Bootsflüchtlinge betroffen. Seit Jahren hofieren die EU und ihre Mitgliedstaaten Muammar al-Gaddafi, um den Fluchtweg nach Europa zu sperren. Die EU-Institutionen schauen weg, wenn Italien tausendfach Völker– und EU-Recht verletzt und Bootsflüchtlinge gewaltsam in die libyschen Haftlager zurück verfrachtet. Italien und die anderen EU-Mitgliedstaaten wissen, dass in Libyen Schutzsuchende inhaftiert, misshandelt und gefoltert, Flüchtlingsfrauen vergewaltigt werden. Dennoch wird bis heute an der Kollaboration mit diesem Regime festgehalten. Die EU-Kommission unternimmt nichts, das flüchtlingsfeindliche Verhalten Italiens abzustellen. Immerhin hat das Europäische Parlament im Juni eine Entschließung verabschiedet, in der die EU-Mitgliedstaaten und die europäische Grenzschutzagentur FRONTEX aufgefordert werden, Abschiebungen und Zurückweisungen nach Libyen unverzüglich zu beenden. Die Regierungen in Europa hüllen sich indes in Schweigen und schauen zu, wie Italien im Namen der EU schutzsuchende Menschen ihrem Schicksal in Libyen überlässt.

EU-Grenzsicherungsagentur FRONTEX

Ein weiterer Baustein der Grenzabschottung ist der Ausbau von FRONTEX, der europäischen Grenzschutzagentur, die per EU-Verordnung 2004 gegründet wurde. Seit Mitte 2006 werden Flüchtlingsboote im Zuge von FRONTEX-Einsätzen bereits in internationalen Gewässern oder den Gewässern kooperierender Küstenstaaten aufgebracht und in Transit- oder Herkunftsländer zurückverfrachtet. Tausende von Flüchtlingen und Migrant/-innen waren in den vergangenen Jahren betroffen.

FRONTEX selbst spricht davon, dass die Flüchtlingsboote und ihre Insassen aufgebracht (intercepted) oder umgeleitet (diverted) werden. Was dies allerdings genau zu bedeuten hat, bleibt im Dunkeln. Klar ist allerdings, dass FRONTEX Flüchtlingsboote gegen ihren Willen in Staaten außerhalb der EU drängt. Im Rahmen der „Operation Hera“ waren FRONTEX-Schiffe im Seegebiet zwischen Westafrika und den Kanarischen Inseln im Einsatz. 2008 wurden alleine dort 5.969 Menschen abgedrängt. FRONTEX behauptet, die Bootsflüchtlinge seien entweder zur Umkehr überredet oder zum nächsten Hafen im Senegal oder in Mauretanien eskortiert worden. Wie dieses „Umleiten“ der Boote auf See geschieht und welche Menschen davon betroffen sind, erfährt die Öffentlichkeit nicht. FRONTEX liefert keine aussagefähigen Daten und Berichte.

Mit diesen Praktiken wird der Schutz vor Zurückweisung nach dem Flüchtlingsvölkerrecht missachtet. Die in die westafrikanischen Staaten zurückgedrängten Flüchtlinge haben dort keinerlei Aussicht auf Asyl. Die vorverlagerte Abschottung auf hoher See verhindert einen effektiven Zugang zum Flüchtlingsschutz der EU.

Ukraine: Türsteher im Osten

Auch an den östlichen Grenzen der EU werden hohe Mauern zur Abwehr von Flüchtlingen errichtet. Ein wichtiger Baustein ist die Kooperation mit der Ukraine. Durch die Ukraine führt eine der Hauptmigrationsrouten in die EU. Die Ukraine soll möglichst viele Migrant/-innen und Flüchtlinge auf ihrem Weg in die EU abfangen. Die Strategien sind die selben, wie sie bereits vor der EU-Osterweiterung gegenüber Ländern wie Polen oder Ungarn angewandt wurden. Die EU stellt Equipment und Knowhow für die Grenzüberwachung und Internierung – im Gegenzug sollen die Fluchtrouten noch vor der EU durchkreuzt werden. Ein Schwerpunkt dieser Strategie ist die Errichtung von Internierungslagern. In der Ukraine sind in den letzten Jahren neue von der EU finanzierte Haftlager entstanden, in denen Migrant/-innen und Flüchtlinge unter Abwesenheit rechtsstaatlicher Verfahren interniert werden.

Unter den Inhaftierten befanden sich schutzsuchende Somalier und Afghanen, die in der EU gute Aussichten auf einen Schutzstatus hätten. Viele von ihnen wurden in der Ukraine mehrfach für längere Zeiträume inhaftiert. Der Versuch, die Ukraine Richtung EU zu verlassen, wurde mit einer einjährigen Haftzeit quittiert. Die Lebensbedingungen in Haft, wie es Flüchtlinge z.B. von dem Haftlager im EU-grenznahen Städtchen Chop berichteten, sind katastrophal: Zu wenig Essen, verseuchtes Trinkwasser, keine Überprüfung der Haftgründe sind nur einige Missstände, von denen Flüchtlinge berichten.

Aber auch für Flüchtlinge, die es beispielsweise in die Slowakei schaffen, bleiben die Pforten der EU verschlossen. Ohne Dolmetscher werden Asylsuchende hinter der Grenze abgefertigt und zurück in die Ukraine geschoben. Ein von PRO ASYL geförderte Bordermonitoring-Projekt hat Fälle dokumentiert, in denen Schutzsuchende trotz Asylantragstellung wieder in die Ukraine verfrachtet wurden. Dies stellt eine Verletzung des völkerrechtlichen Zurückweisungsverbot gegenüber Asylsuchenden dar.

Fazit

An den Außengrenzen der EU wird das Flüchtlingsvölkerrecht mit Füßen getreten. Völkerrecht und das europäische Asylrecht, das in der Grundrechte-Charta verankert ist, müssen endlich beachtet werden: Schutzsuchende haben einen Anspruch auf Zugang zu einem Asylverfahren und dürfen an den Grenzen nicht in Drittstaaten zurückgewiesen werden. Auch auf hoher See hat dies zu gelten. Die Strategie der Auslagerung der Flüchtlingsabwehr auf Staaten wie Libyen und dieUkraine ist ein Irrweg. Europa muss – 25 Jahre nach Schengen – endlich die Festungsmentalität aufgeben.

Autorin

Marei Pelzer arbeitet als rechtspolitische Referentin der bundesweiten Flüchtlingsorganisation PRO ASYL und ist tätig als Redakteurin des Grundrechte-Reports. Zudem ist sie Mitglied im „Netzwerk Migrationsrecht“.