11.04.2011

Das eigene politische Lager formieren – den sozial-ökologischen Umbau vorantreiben

Thesen zu den Konsequenzen aus dem besorgniserregenden Rückgang des Einflusses unserer Partei DIE LINKE.

Andreas Hallbauer und Sascha Schlenzig

1. Aus unserer Sicht markiert die Wahlniederlage unserer Partei bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz eine Zäsur. Ein Trend, der bei allen Umfragen (Sonntagsfrage) auf Bundes- und Länderebene, in Ost und West seit über zwei Jahren zu registrieren war, jedoch nicht diskutiert wurde, hat sich jetzt mit aller Macht, gegen uns gewandt. Im Westen verlieren wir deutlich an Rückhalt in der Wählerschaft und im Osten stagnieren wir bestenfalls auf dem Niveau der Landtagswahlen von vor 4 oder 5 Jahren. In einigen Ländern geht sogar auch hier die Unterstützung zurück. Bis auf die Stadtstaaten Hamburg und Bremen befinden sich seit einiger Zeit alle westdeutschen Bundesländer an der, häufig sogar unter, der 5-Prozent-Hürde. Ein Prozess, der sich seit der Jahreswende 2010/2011 noch einmal deutlich verstärkt hat, also klar vor der japanischen Atomkatastrophe. Das weist darauf hin, dass die Partei im Westen noch kein stabiles Fundament hat, dass sie tragen kann. Im Osten hat unsere Partei zwar ein Fundament, hier geht es mit ihrem Einfluss leider aber auch nicht voran.

2. Wenn wir unser sehr gutes Ergebnis bei den Bundestagswahlen 2009 von 11,9 zugrunde legen und unseren steten Abwärtstrend bzw. die Stagnation dagegen halten, dann müssen die Gründe für unsere schwindende gesellschaftliche Ausstrahlungskraft tiefer liegen und von uns entsprechend grundlegender analysiert werden.

3. Für solch eine Analyse muss sich die Partei Zeit nehmen und dem Druck widerstehen, jetzt zu schnellen Antworten kommen zu wollen, die sich nur als Schnellschüsse herausstellen können. Die Logik des innerparteilichen Wettkampfs um Einfluss und Posten trägt aus unserer Sicht nicht dazu bei, eine qualitativ hochwertige Strategiedebatte zu führen. Die Überlagerung der notwendigen politischen Debatte mit Personaldebatten über den Parteivorsitz schadet einer ernsthaften Diskussion zusätzlich außerordentlich.

4. Wir kritisieren zugleich eine politische Haltung, die bei dem aktuellen Umfragetief bestenfalls von einem „Unfall“ und einer „Abweichung“ vom vorgezeichneten Erfolg der Linken ausgeht. Denn wenn wir erfolgreicher wären, dann wäre der Wahltrend ein anderer und wir wären am 27.März in die Landtage eingezogen. Diese „Weiter-so“-Haltung wird ebenfalls in die politische Sackgasse führen.

5. Wir denken, dass niemand in unserer Partei etwas dagegen hat, das die Mitglieder unserer Partei in den Stadtteilen, die besonders von Armut und Ausgrenzung betroffen sind, oder auch in außerparlamentarischen Bewegungen zielgenauer und engagierter mitwirken. Hier könnte und müsste sicherlich mehr geschehen, um die Protest- und Nichtwähler mit unseren politischen Inhalten bekannt zu machen und gemeinsam für soziale Gerechtigkeit und für Frieden zu kämpfen. Auch stellen wir seit langem fest, dass unsere Partei nur auf einem sehr bescheidenen Niveau eigene Kampagnen starten und gemeinsam führen kann. Auch hier könnte noch viel verbessert werden. Aus unserer Sicht wären das jedoch bestenfalls Teilaufgaben im Rahmen eines Gesamtkonzepts. Und dieses politische Gesamtkonzept fehlt der Linken unseres Erachtens. Solch ein politisches Gesamtkonzept jetzt auszuarbeiten, zu popularisieren und auf allen Ebenen zu vertreten – das ist unseres Erachtens die entscheidende Herausforderung für unsere Partei. Nur eine qualitativ hochwertig geführte Strategiedebatte unter Einbeziehung aller in der Partei Engagierten, aber auch interessierter Kräfte von außerhalb, kann aus unserer Sicht diese Herausforderung meistern.

6. Im Rahmen einer gründlichen Strategiedebatte sollten vor allem folgende Fragen geklärt werden: a) was sind die Hauptgründe für unseren schwindenden Einfluss ? b) In welcher gesamtgesellschaftlichen Situation befinden wir uns gegenwärtig c) Welche programmatischen Konsequenzen müssen daraus gezogen werden ? d) Was folgt aus der Analyse für die Bündnispolitik ? e) Was heißt das für den Modus des Politikmachens - bis hin zu den Strukturen der Partei - ?

7. Unser schwindender Einfluss lässt sich nur so erklären, dass unser politisches Angebot für weniger Menschen interessant ist, unser Spitzenpersonal weniger ausstrahlungskräftig und auch unsere Arbeit in Länderregierungen nicht in dem Maße überzeugt als etwa noch zur Zeit der letzten Bundestagswahl. Es ist uns offensichtlich nicht gelungen die Wähler, die wir zu diesem Zeitpunkt erreichten, vollständig an uns zu binden.

8. Dabei müsste dies eigentlich die Stunde einer linken Partei sein, da es offenkundig ist, dass der Kapitalismus sich in einer komplexen Krise befindet , einer Krise der Ökonomie, hier vor allem der Finanzsphäre, der Beschäftigung und des sozialen Zusammenhalts, der Ökologie, der Demokratie und des friedlichen Zusammenlebens. Diese komplexe Krise verlangt allerdings komplexe Antworten, programmatisch, bündnispolitisch, sowie den Modus des Politikmachens betreffend. Wir benötigten dementsprechend ein entsprechend komplexes Gesamtkonzept, über das wir allerdings noch nicht verfügen.

9. Unter einem komplexem Gesamtkonzept verstehen wir ein integriertes mittelfristig ausgerichtetes Konzept, dass den notwendigen sozial-ökologischen Umbau mit Hilfe eines „rot-grünen New Deal“ in den Fokus unsere politischen Arbeit stellt. Die verschiedenen daran interessierten gesellschaftlichen Bewegungen müssten für ein solches Konzept mobilisiert und zusammenführt werden. Unter dem Aspekt der Wählerkonkurrenz betrachtet, haben die Wahlen in BaWü übrigens gezeigt, dass Die LINKE. 33 000 Wähler an die Grünen verloren hat. Daran wird aus unsrer Sicht deutlich, dass die Partei nicht nur mit der SPD, sondern auch vermehrt mit den Grünen um Wähler konkurriert. Für die Berliner Abgeordnetenhauswahlen gab es im Herbst 2010 eine Umfrage die hervorhob, dass sich 40 Prozent der Linken-Wähler vorstellen könnte, die Grünen zu wählen. Ein beachtlicher Wert finden wir. Es ist also aus unserer Sicht falsch, die Ökologie-Thematik lediglich mit richtigen Forderungen zu thematisieren, jedoch unser Engagement weit unterhalb des Niveaus unseres Einsatzes für die soziale Frage zu halten. Hier muss sich etwas grundlegend verändern in unserer Partei. Die LINKE. muss grüner werden, ohne ihr Rot zu verleugnen. Im Gegenteil, beide Farben sollten noch kräftiger leuchten.

10. Der Forderung nach Entwicklung und Verbreiterung eines "rot-grünen New Deal" ist an verschiedenen Stellen entgegengehalten worden, dass darüber schon vor 20 Jahren debattiert wurde und dass es einen solchen ja schon gäbe, bei den Grünen nämlich und das die LINKE, wenn sie dies auch thematisiere, nur noch zum Abklatsch der Grünen werden würde. Richtig ist, dass über einen "rot-grünen New Deal" schon seit längerem immer wieder mal diskutiert wird, nicht erst seit heute. Das sagt aber natürlich noch gar nichts über die Qualität eines solchen Konzeptes aus. Man muss da schon genauer hinsehen. Tut man das, dann wird man feststellen das es einen rot-grünen New Deal als mittelfristiges Politikkonzept einer Partei eben noch nicht gibt. Die Grünen nennen ihren Vorschlag ja übrigens auch “Green New Deal”. Wie bei den Grünen, die im wesentlichen eine Mittelschichtspartei sind, nicht anders zu erwarten, ist das Soziale – im engeren wie im weiteren Sinne - völlig unterbelichtet. Die Grünen kämpfen für einen grünen Kapitalismus. Aus linker Perspektive kann der sozial-ökologische Umbau jedoch nur ein Projekt zur Überwindung der Profitdominanz und Transformation des Kapitalismus sein.

11. Eine linke Partei müsste für den sozial-ökologischen Umbau deshalb natürlich ein Konzept vorlegen, dass vor allem Ökologie und Soziales integriert, die Demokratie wesentlich erweitert und ihn auch außenpolitisch durch eine entsprechende Friedenspolitik flankiert, einen “rot-grünen New Deal” eben.

Wie die Konturen eines “rot-grünen New Deal” unseres Erachtens aussehen:

Ein solches Politikkonzept sollte die verschiedenen gegen das kapitalistische System und seine Auswirkungen gerichteten Bewegungen zusammenführen, also etwa gewerkschaftliche, Sozial- und Umweltbewegung. Des weiteren sollte es programmatisch und aktionsorientiert sein und last but not least sollte es einerseits im Hier und Heute ansetzen und zugleich Türen für weitergehende gesellschaftliche Veränderungen aufstoßen. Zu den programmatischen und politischen Elementen eines solchen Politikkonzeptes gehörten etwa die folgenden Bausteine:

1. Der Ausbau des Sozialstaats auf das ursprüngliche skandinavische Niveau mit den Zielen Vollbeschäftigung, Ausbau des öffentlichen sozialen Dienstleistungssektors, Arbeitszeitverkürzung sowie soziale Grundsicherung und Mindestlohn.

2. Der ökologische Umbau insbesondere des Energie- und des Verkehrssystems, darunter auch die Einführung eines Ökoautos an Stelle der Benzinschleuder. Hierzu gehört natürlich auch die Durchsetzung des Ausstiegs aus der Atomenergie. Der Klimaschutz durch energetische Sanierung und generell eine ökologische Wirtschafts- und Industriepolitk bedürfen einer starken staatlichen Steuerung und der Eingriffe in die privaten Eigentumsrechte. Auch die öffentlichen Investitionen und das Vergaberecht müssen noch stärker nach ökologischen Gesichtspunkten ausgerichtet werden.

3. Die Re-Regulierung der Finanzmärkte und die Umverteilung des Reichtums von oben nach unten durch eine soziale Steuerpolitik. dazu gehört auch und insbesondere eine dauerhafte Erhöhung der Staatsquote.

4. Die Ausweitung der Demokratie insbesondere der Wirtschaftsdemokratie. dazu gehörte vor allem die früher vom DGB geforderten Wirtschafts- und Sozialräte, die um Umwelträte zu erweitern wären.

5. Eine Friedens- und Außenpolitik, die dem sozialen und friedlichen Ausgleich der Interessen verpflichtet ist und an die besten Traditionen Willy Brandts anknüpfen sollte

6. Die Verbindung von parlamentarischem und außerparlamentarischem Kampf. Darunter die Installation eines dauerhaften Austauschs zwischen Partei und außerparlamentarischen Bewegungen.

In der Geschichte der Arbeiterbewegung sind solche Etappenkonzepte immer wieder einmal diskutiert worden. Aus der sozialistischen und kommunistischen Bewegung sind z.B. bekannt die “Strategie der Übergangsforderungen”, die “Arbeiterregierung”, bzw. “Arbeiter- und Bauernregierung”, die “Volksfrontpolitik”, die “antimonopolitische Demokratie” und als ein wichtiger Debattenbeitrag Ende der 80-iger Jahre die “Reformalternative” von Jörg Huffschmid und Heinz Jung.

12. Eine umstrittene Frage in unserer Partei ist in diesem Zusammenhang, welchem politischen Lager wir uns zuordnen ? Seitdem wir auf Bundesebene gemeinsam mit SPD und Grünen in Opposition zum schwarz-gelben Lager stehen, wurde lange Zeit über ein gemeinsames rot-rot-grünes Lager diskutiert, dass es zu formen gelte. Diskussionen gab und gibt es darüber, welche politischen Ansätze die besten wären, damit ein rot-rot-grünes Lager einen Politikwechsel bewerkstelligen könnte. Aus unserer Sicht gab und gibt es hier gegenwärtig viel Wunschdenken in unserer Reihen. Denn bis zum heutigen Tag ist unklar, welche inhaltliche Grundlage solch ein rot-rot-grünes Bündnis haben könnte. Zudem ist die SPD der Auffassung, dass Die LINKE. - aus ihrer Sicht nachvollziehbar - in einer politisch abhängigen Position gehalten werden muss. Aufgrund der schwachen Stellung der schwarz-gelben Bundesregierung und dem erstarken der Grünen ist eine Wiederbelebung des rot-grünen Regierungslagers nicht nur möglich, sondern im Hinblick auf die Bundestagswahlen 2013 auch wahrscheinlich. Um überhaupt Einfluss auf die Ausrichtung der rot-grünen Politik nehmen zu können, muss die Partei daher daran gehen ihr eigenes „drittes Lager“ zu formieren. Solch ein politisches Lager könnte, eine entsprechende Stärke vorausgesetzt, einerseits Bündnispartner von SPD und Grünen und damit Bestandteil des rot-grünen Lagers sein und müsste andererseits zugleich darüber hinaus weisen. Nur so könnte die LINKE Motor progressiver Veränderungen werden.

13. Wenn es bei Konzepten des sozial-ökologischen Umbaus Schnittmengen mit Vorstellungen der Grünen oder auch der SPD gäbe, dann wäre das natürlich gut. Denn aus unserer Sicht bedarf es einer progressiven Allianz wahrscheinlich aus SPD, Grünen und Linkspartei um die Realisierung des sozial-ökologischen Umbaus durch parlamentarische Mehrheiten abzusichern. Wenn also Elemente einer richtigen Politik bei Grünen und SPD auftauchen, kann das für die gesellschaftliche Verankerung von progressiven Konzepten des sozial-ökologischen Umbaus natürlich nur nützlich sein.

14. Zur Formierung ihres eigenen Lagers muss DIE LINKE aus unserer Sicht mit ihrem Sympathisanten und den Bewegungen, die ihre Themen befördern, dringend in einen engeren Austausch treten und das regelmäßig. Die außerparlamentarischen Bewegungen müssen wissen, dass sie auf unsere Partei zählen können. Warum nicht einmal im Jahr einen oppositionellen Ratschlag auf Bundesebene organisieren, mit Vertretern aus Gewerkschaften, Sozial- und Umweltbewegungen und kritischer Intelligenz ? Beginnen sollten wir mit einer Konferenz zu Konzepten des sozial-ökologischen Umbaus.

15. In diesem Kontext sollte die Partei auch ihre eigenen Arbeitsstrukturen überdenken: Um der Komplexität der gegen die Auswirkungen des Kapitalismus gerichteten Bewegungen gerecht zu werden, sollten den verschiedenen Politikbereichen, den Arbeitsgemeinschaften in der Partei und aus der Partei hinaus eine größere Bedeutung eingeräumt werden. Diese Arbeitszusammenhänge sind es schließlich, die mit den außerparlamentarischen Bewegungen am besten kommunizieren können. Die Partei sollte also im besten Sinne auch selbst zu einer „Mosaik-Linken“ (Hans-Jürgen Urban) werden.

16. Wenn erste Aktivitäten in die von uns skizzierte Richtung auch noch nicht den Zuspruch erfahren, den wir uns erhoffen, darf man sich dennoch nicht abschrecken lassen. Wir sind fest davon überzeugt, dass zumindest auf mittlere Sicht kein Weg an einem solchen Vorgehen vorbeiführt. Es gibt für entsprechende Aktivitäten ein Zeitfenster, wo dem zwar niemand weiß, wie lange es auf ist. Ewig wird das aber nicht der Fall sein. Sollte das von uns umrissene Vorhaben jedoch nicht in Angriff genommen werden, droht aus unserer Sicht der Partei der weitere Absturz. Da wäre es doch besser, die Krise als Chance zu nutzen.

Berlin, im April 2011

Andreas Hallbauer und Sascha Schlenzig sind Mitglieder der Partei DIE LINKE im Landesverband Berlin