24.11.2011

"Ein verkaufter Appetit"

Paul Lafargue
Bourgeois sucht sich ein Tier zum Verzehr aus.

"Es war im Monat Dezember. Emile Destouches fror und hatte fürchterlichen Hunger.

[Ein Bourgeoisie:] 'Sie wollen sich töten, weil Sie Hunger haben?'

[Emile:] 'Ja.'

'Sie sind jung und gut gebaut. Sie sind mein Mann. Folgen Sie mir.'

Emile glaubte an einen von der Vorsehung bestimmten Retter in der Not.

[Bourgeoisie]: 'Ich schlage Ihnen vor, mir Ihre Verdauungszeit zu verkaufen, geradeso, wie der Arbeiter seine Muskelkraft, der Ingenieur die Kraft seiner Intelligenz, die Amme ihre Milch samt mütterlicher Pflege verkaufen.'

'Ist das möglich?'

'Absolut. Sie werden den Appetit produzieren und liefern, ich werde für Sie essen und trinken, und Sie werden dann gesättigt sein. […] Verkaufen Sie mir Ihren Appetit, der Sie zur Arbeit und Elend verdammt, und ich liefere Ihnen das nötig Geld, daß Ihnen jetzt fehlt; ich bezahlen Ihnen eine monatliche Rente von 1.500 Francs.""

"Die Magenarbeit wurde für Destouches von Tag zu Tag peinlicher. Das Scheusal wiederholte seine Mahlzeiten drei bis vier Mal täglich und trank oft, bis er besoffen war. Um sich zu erleichtern, suchte Destouches in einem von den Römern angewandten Verfahren sein Heil: Er steckte den Finger in den Hals, um sich zu übergeben. Aber kaum hatte er seinen Magen entleert, füllte ihn sein Henker wieder. Sein Leben wurde unerträglich. Schon beim Anblick irgendeiner Nahrung, selbst des Brotes, wurde ihm kotzübel."

"Emile war niedergeschlagen und ganz verblödet. Er lebte willenlos dahin, ständig verdauend, ständig leidend, ständig voller Ekel. Er stand auf, marschierte und legte sich zu Bett, ganz nach dem Kommando seines Wächters, stumm wie ein Hund, der nicht mehr zu bellen wagt, nachdem er ordentlich geprügelt wurde!"

"Destouches hatte sich passiv unterworfen, aber selbst Lämmer können zu Wölfen werden."

Dazu, wie sich Emile Destouches rächt und welches Schicksal er erleidet, erfährt man mehr in Lafargues Werk "Ein verkaufter Appetit"[1] (1884/1900).

Links:

  1. http://www.marxists.org/deutsch/archiv/lafargue/1884/xx/appetit.htm