29.05.2012

Eine Kandidatur weniger

Karsten Krampitz will nicht Parteivorsitzender werden

Lena Kreck

Nach Oskar Lafontaine erklärt nun auch Karsten Krampitz, nicht für den Parteivorsitz kandidieren zu wollen:

Liebe Genossinnen und Genossen,

als ich am Dienstag, den 22. Mai, auf der Berliner Regionalkonferenz meine Kandidatur für den Bundesvorsitz der Linken bekannt gegeben habe, wollte ich den Delegierten in Göttingen die Möglichkeit einer wirklichen Wahl eröffnen. Mittlerweile hat sich aber herausgestellt, dass dies gar nicht mehr notwendig ist. Mit der Kandidatur anderer Genossinnen und Genossen hat der Parteitag nun tatsächlich eine Wahl. Außerdem hat sich gezeigt, dass die Partei nicht geschlossen hinter meiner Person steht. Das zu erwartende knappe Votum hätte die Gräben nur noch weiter vertieft.
Unter diesen Umständen nehme ich – schweren Herzens – von meiner Bewerbung Abstand und mache den Weg frei für eine Konsenslösung.
Karsten Krampitz,
Berlin, den 27. Mai 2012

Ein schwerer Schlag für die Linke! Folgend ist seine Bewerbungsrede, die nun nicht gehalten werden wird, zu lesen - weise Worte eines nicht-Vorsitzenden.

Ungehaltene Rede zur Kandidatur für den Bundesvorsitz der Partei Die Linke beim 3. Parteitag Göttingen, 1. Tagung

Linke für andere

Den wenigen, die mich nicht kennen, möchte ich mich kurz vorstellen: Mein Name ist Karsten Krampitz. Ich bin in der BO Valentin in Pankow organisiert. Pankow liegt in Berlin. Ich kandidiere für den Bundesvorsitz der Linken. Ich bin 42 Jahre alt. Von Beruf Statistiker, Betriebswirt, Historiker und freier Autor.

Zur Sache: Der römische Geschichtsschreiber Sallust schrieb einst im „Bellum Iugurthinum“: „aut quem alienum fidum invenis, si tuis hostis fueris?“ Ich weiß, der Politiker Sallust ist in der Linken umstritten, dennoch will ich dieses Zitat meiner Rede voranstellen:

„Welchen Fremden wirst du gewinnen, wenn du den Deinen ein Feind bist?“

In unserer Partei bin ich Mitglied geworden, in erster Linie aus Unzufriedenheit über die Politik der CDU, SPD und FDP. Um an deren Politik konkret etwas zu ändern, hätte ich wohl besser dort eintreten sollen? Von der Basis in Pankow aus kann ich das immer sehr gut beobachten: diese unglaubliche Energieverschwendung. Ich muss das jetzt nicht konkret benennen, um wen es geht. In der Regel kämpfen die Guten gegen die Gerechten. Das Ergebnis sehen wir. Vielleicht ist es an der Zeit, ein paar Selbstverständlichkeiten wieder ins Gedächtnis zu rufen:

  • Aufgabe der Partei ist es zuerst, die Schwachen stark zu machen; dabei zu helfen, dass in unserem Land so viele arme Leute wie möglich ein halbwegs anständiges Leben führen können. (Hartz IV-Empfänger, Behinderte, Flüchtlinge usw. )
  • Nicht jeder in unserer Partei, der anders denkt, ist ein Falschdenker. Auch der anders Denkende oder Redende besitzt ein Stück von der Wahrheit, mindestens.
  • Es macht einen himmelweiten Unterschied, ob ich mich in einem Konflikt durchsetze oder ob ich überzeuge.
Damit kein Missverständnis aufkommt: Ich sehe Streit als etwas sehr Wichtiges an; Streit muss sein – auch und gerade in der Linken – allerdings wünsche ich mir mehr Streit um Ideen, nicht um Einfälle. Und ich glaube, dass es an der Zeit ist, dass wir uns eine ganz bestimmte Idee von den Konservativen und Liberalen zurückholen: Freiheit.

Ich sehe unsere Partei als Seismographen für gesellschaftliche Veränderungen. In einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist es ihre Aufgabe, Staat und Gesellschaft immer wieder daran zu erinnern, dass Freiheit zuerst die Freiheit von Angst ist. Die Freiheit von Angst ist keine Nuance, keine Spielart der Freiheit, die neben anderen Formen von Freiheit existiert – etwa der Reisefreiheit, der Pressefreiheit usw. Die Freiheit von der Angst ist die Voraussetzung für alle anderen Freiheiten (ausgenommen vielleicht die Religionsfreiheit, aber lassen wir das).

Ein Hartz IV-Empfänger lebt nicht nur in materiell sehr bedrückenden Verhältnissen. Diese Frauen und Männer am Existenzminimum leben in ständiger Angst, dass man ihnen das bisschen Stütze auch noch streicht, weil sie irgendwelchen Anforderungen nicht nachgekommen sind, nicht entsprechen. Diesen Menschen müssen wir die Angst nehmen.
„Furcht macht unmündig“, lesen wir bei Heino Falke, dem vielleicht wichtigsten Theologen in der DDR. „In der Angst um sein Leben macht der Mensch aus vergänglichen Dingen Götzen, die ihm Sicherheit geben sollen (...) Konsum, Verhaltensnormen und Ideologien werden zu Götzen der Angst. Sie sollen Leben garantieren, aber sie machen hörig. Wer Angst hat, ist beherrschbar, man kann ihn gefügig machen und benutzen.” (Heino Falcke: „Christus befreit - darum Kirche für andere. Hauptvortrag bei der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR in Dresden 1972“. In: Heino Falcke: „Mit Gott Schritt halten“ , Wichernverlag Berlin 1986, S.14-15.)

Den Angstmachern müssen wir entgegentreten.

Für die Freiheit von der Angst! Ich bin mir sicher, dass wir im Ringen um mehr Freiheit in unserem Bundespräsidenten – dem „grün, links-konservativ Liberalen“, der wie kein anderer nach dem Fall der Mauer für die Bürgerrechte in der DDR gekämpft hat – einen treuen Verbündeten haben. Gauck, der nicht müde wird, von zwei Diktaturen in der deutschen Geschichte zu sprechen, weiß sicher auch, wohin soziale Unfreiheit und Angst führen können.
Die Freiheit aber in unserem Sinne ist eine völlig andere als jene, die uns täglich begegnet: Freiheit als Beliebigkeit, als Alibi für soziale Verwerfungen. Die kapitalistische Freiheit ist die Freiheit voneinander, wir wollen die Freiheit füreinander. Voraussetzung dafür aber ist, wie gesagt, ein Leben ohne Angst. – Das heißt aber auch, dass wir selber den Leuten keine Angst machen dürfen! Das war ja mal eine Erscheinung des Mittelalters: Wanderprediger, die über die Marktplätze gezogen sind und den Weltuntergang beschworen haben, der aber offensichtlich nie eingetreten ist. Ich will das jetzt gar nicht weiter ausführen, all die Bedrohungen durch den Weltimperialismus und die Springerpresse oder auch durch Fremdarbeiter. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Ich bin nicht gegen Populismus. Im Gegenteil, ich bin sogar für noch mehr Populismus! Dem Volke aufs Maul schauen und die Menschen auch emotional anzusprechen, sie zu berühren, ihre Herzen zu gewinnen, ist eine hohe Kunst. In Berlin haben wir die Abgeordnetenhauswahl verloren, nicht so sehr wegen unserer Regierungspolitik, sondern weil die Linke die Menschen nicht mehr auf emotionaler Ebene erreicht. – Andere waren authentischer, hatten die besseren Plakate, die besseren Themen.

Anderes Beispiel: Die Grünen und ihre relativ hohen Umfragewerte. Jeder weiß, dass die Grünen die Agenda 2010 mitbeschlossen haben. Sie tragen Verantwortung für Hartz IV. Die Grünen waren und sind bei allen Kriegen dabei, sozusagen an vorderster Front. Die Tür, die ein Joschka Fischer aufgestoßen hat, ist seither nie wieder geschlossen worden. Schon bei Erich Kästner lesen wir: „Kennst du das Land wo die Kanonen blühn? (...) / Dort reift die Freiheit nicht, dort bleibt sie grün!“ Die Grünen in der Regierung haben ihren eigenen Mitgliedern verboten, am Anti-Castor-Protest teilzunehmen. Das alles ist bekannt, trotzdem werden die Grünen im linken Spektrum geortet und gewählt. Warum? Weil sie für ein bestimmtes Lebensgefühl stehen. Und da sage ich: Das können wir auch.

Wir verlieren Wahlen, nicht weil wir keine Antworten haben auf drängende Fragen, sondern ganz offensichtlich aus ästhetischen Gründen. Das eigentliche Problem liegt m. E. in der Performance, in der Darstellung. Aber auch das ist alles schon oft genug gesagt worden. Nur ist es so: Viele Menschen, die uns früher gewählt haben und uns heute vom Gefühl her ablehnen, vom Hören- Sagen oder auch vom Fernsehen oder aus sonst welchen Gründen, die lesen keine Parteiprogramme – diese Leute werden wir mit Flugblättern nicht erreichen.
Linke Politik muss populistisch sein. Wie im normalen Leben: Solange meine Freundin mich liebt, verzeiht sie mir, sieht sie über meine Schwächen und Fehler hinweg. Jedoch nur bis zu einer bestimmten Grenze.

Allerdings plädiere ich für einen neuen Populismus, für einen konstruktiven Populismus:
Gute Politik wird nicht in Phone oder Dezibel gemessen. Gute Politik heißt: die richtigen Sachen zur richtigen Zeit zu sagen und zu tun, ganz einfach. Als Linke müssen wir uns so langsam von den tradierten Erziehungsmethoden verabschieden. Es reicht nicht aus, eine Wahrheit nur zu kennen und diese einem Mantra gleich ständig zu wiederholen. Der Mensch ist – philosophisch gesehen – kein leeres Gefäß, in das jedermann seine Gedanken, Programme usw. füllen darf. Der Mensch ist ein vollkommenes Wesen. Als Erwachsener bedarf er keiner pädagogischen Hilfe, keiner Erziehung und auch keiner Belehrung. – Was uns aber nicht davon abhalten darf, mit den Menschen mitzuleben, ihnen auf Augenhöhe immer wieder Angebote zu machen. Kurzum: Linke für andere zu sein.

Meine Utopie ist die: dass wir einander aushalten, der Einklang von Politik und Leben. Deshalb: Lasst uns Populisten sein!

Allerdings verstehe ich unter einem modernen Populismus, dass die positiven Handlungsoptionen deutlicher zur Sprache kommen. Es gibt immer Alternativen. Und die Benennung dieser Alternativen setzt selbstverständlich die Bereitschaft voraus, an deren Umsetzung mitzuwirken. Dieser neue, positive Populismus befreit von der Angst. Er führt weg von billiger Totalkritik oder vom Zwang zur Anpassung und zeigt den Weg hin zur aktiven und mündigen Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse. Ich weiß, das klingt jetzt sehr dialektisch: Wir überwinden den Kapitalismus in dem wir ihn erst einmal verbessern, menschlicher machen. Schon im Alten Testament steht: „Ein Jegliches hat seine Zeit.“ Und die Zeit ist mit uns. Nur Geduld! Der Gedanke ist so neu nicht, hieß nur früher Wandel durch Annäherung.