Erst das Fressen, dann die Moral

Thesen der Redaktion

Redaktion
Willkommen in der Burger-Gesellschaft

1. Du bist, was du isst.

Nahrung ist politisch. Ob Menschen für Nahrung als Grundrecht streiten oder zu Zehntausenden unter dem Motto „Wir haben es satt“ gegen Gen-Food und Massentierhaltung auf die Straße gehen. Viele wissen, dass unsere Art Nahrung zu produzieren und zu konsumieren in eine Sackgasse führt. Die politische Linke darf das Thema nicht den Besserverdienendenparteien, Bauernverbänden und Agrarkommissaren überlassen. Auch DIE LINKE muss es zum Schwerpunkt des sozial-ökologischen Umbaus machen. Es geht um Grundrechte hier und überall, um Zeitsouveränität, um Geschlechtergerechtigkeit, um Klimaschutz und globalen Ausgleich. Das darf uns nicht Wurscht sein.

2. Ich kauf mir was – Konsumentensouveränität ist erst der Anfang.

Eine linke Ernährungspolitik ist nicht allein eine Frage dessen, was der gut verdienende Westeuropäer oder die Nordamerikanerin in ihren Einkaufswagen legen. Der Unterschied zwischen 2,55 Euro als Tagesbudget und 30 Euro für ein Steak im Restaurant ist ebenso wenig ein Problem mündiger oder unmündiger Konsument_Innen. Noch weniger der Konflikt zwischen dem Hunger armer Bevölkerungsschichten in Ländern, die gleichzeitig Nahrungsmittel exportieren. Sich die ökonomischen, ökologischen und sozialen Grundlagen des eigenen Essens bewusst zu machen, kann Ausgangspunkt und Anfang von Politik sein, ersetzt sie aber nicht. Eine Wende in der Agrar-, Ernährungs- und Verbraucherpolitik muss politisch erkämpft werden. Linke Politik sollte dabei die soziale Frage integrieren. Gutes Essen sollten wir nicht verunglimpfen, sondern den Zugang für alle öffnen.

3. Klasse essen statt Klassenessen.

Heute verkündet ein neu eröffneter Biomarkt, dass die Gentrifizierung des Stadtviertels unmittelbar bevorsteht. Früher war es ein Wahlkampf-Gag, mit Renate Künast im Bioladen einzukaufen. Schon damals brauchte eine Flasche fairer Orangensaft aus ebendiesem die 3 Euro Essensbudget eines Kindes im Hartz-IV-Bezug für den ganzen Tag auf. Die Klassengesellschaft fängt auf dem Teller an: Industriefood und Mangelernährung für die einen. Haute-Cuisine-Bio-Regional für die anderen. Das Recht auf Nahrung, das für die Ausgebeuteten der Weltgemeinschaft schon lange nicht gilt, steht zunehmend auch im Krisen-Europa zur Disposition. Besonders gefährdet sind nicht die Industriearbeiterschichten, sondern benachteiligte Gruppen der Gesellschaft: Kinder, Erwerbslose, Alleinerziehende, Flüchtlinge und Alte. Traurig, aber wahr: Selbst beim Essen ist zunehmend das Gemeinwesen und der Staat gefragt. In Schulen und Kitas, in Pflegeheimen, bei Sozialleistungen an Flüchtlinge und Langzeitarbeitslose. Gesundes und nachhaltig produziertes Essen für alle – das wird auch hierzulande eine politische Tagesaufgabe.

4. Hightech-Kapitalismus ist nicht die Lösung, sondern das Problem.

Deutschland und Europa wollen dem Welternährungsproblem mit dem typischen Instrumentarium des Hightech-Exportkapitalismus zu Leibe rücken. Angeblich wird mehr Nahrung für eine steigende Weltbevölkerung gebraucht. Die Grenzen zwischen Entwicklungs- und Unternehmensförderung sind kaum zu erkennen. Dabei ist klar: Wir haben nicht zu wenig Nahrungsmittel, sondern die falschen an den falschen Orten. Mit Nahrungsmitteln wird an Börsen gezockt, Mais und Soja rangieren in der Wertsteigerung in einer Liga mit Rohöl. Die beiden Grundprobleme: Zum Fleisch- und Energiehunger der Industriestaaten gesellt sich eine falsche Entwicklungspolitik des Westens. Obwohl wir bereits knapp drei Viertel der deutschen Ackerfläche für Tiernahrung nutzen, müssen wir 80 Prozent des in Deutschland verbrauchten Tierfutters importieren – zumeist aus ärmeren Gegenden. Dazu kommt der Kampf um Wasser, der sich mit dem Klimawandel zusätzlich verschärfen wird. Der Markt produziert nicht nur Finanz- und Wirtschaftskrisen, sondern auch Hungerkatastrophen. Man darf ihm die Lösung des Nahrungsproblems der Welt nicht überlassen.

5. Fleisch frisst mein Gemüse

700 Millionen Hühner, 43 Millionen Schweine, 3,7 Millionen Rinder und 1,1 Millionen Schafe werden jedes Jahr allein in Deutschland geschlachtet. 1094 Tiere isst ein Bundesbürger in seinem Leben. Dafür werden Unmengen Wasser, Boden und Chemikalien verbraucht. Dass wir so viele Tiere essen, ist Teil der Sackgasse und ein gesellschaftliches Tabu. Man kann die meisten dieser Tiere nicht sehen, Ställe sind Hochsicherheitstrakte. Kaum ein Bereich unserer Ökonomie ist für das Alltagsbewusstsein so verschlossen. Auch wenn Veganismus nicht die Lösung aller Probleme ist: Wir brauchen eine Gegenbewegung zur industriellen Tiervernichtung. Weniger Fleisch – das wäre gerechter, gesünder, nachhaltiger und ethischer.

6. Essen ohne Patente

Viele Menschen auf der Welt sind auf die Eigenproduktion von Nahrungsmitteln angewiesen. Die Industrialisierung der Landwirtschaft und damit die Kommodifizierung von überlieferten Produktionsmethoden, selbst produziertem Saatgut und Futtermitteln zerstört Lebens- und Entwicklungschancen. Noch vor 20 Jahren lag der Anteil der größten drei Saatgutkonzerne unter einem Drittel, heute bei knapp 70 Prozent. Diese sind gleichzeitig auch führend bei Pestiziden und Pflanzenschutzmitteln. Nahrung ist jedoch ein Grundrecht. Patente, transnationale „Wertschöpfungsketten“ und monopolisierte Rechte an Wissen haben hier nichts zu suchen.

7. Männer an den Herd – auch Montag bis Freitag!

Ernährungsungerechtigkeit diskriminiert Frauen: Obwohl vor allem sie die Nahrungsproduktion in ärmeren Regionen übernehmen, hungern sie mehr als Männer. Sie bekommen die schlechtere, nährstoffärmere Nahrung, selbst wenn sie mehr auf dem Acker arbeiten.

Und auch in den wohlhabenden Regionen und Schichten gibt es einen Gender-Gap: Männer kochen immer mehr, aber vor allem, wenn Gäste beeindruckt, Fleischmengen gegart oder im Profi-Bereich Sterne geholt werden sollen. Das (gesündere) Alltagsessen übernehmen zumeist die Frauen, ohne dafür Lorbeeren einzuheimsen. Sie tragen zumeist die Verantwortung, die Männer hingegen gönnen sich den Spaß. Wir sagen: Schluss mit dem Gefasel vom Familienernährer! Schickt endlich die Männer an den Herd!

8. Trinkt, was Ihr wollt!

Sag mir, was du trinkst und ich sage dir, was du verdienst. In öffentlich-rechtlichen Fernsehfilmen wird oft in bildungsbürgerlicher Kulisse Rotwein getrunken. Bier kennzeichnet eine proletarische Neigung, kommt aber selten vor. Wasser nie. Sekt, in der Regel als Champagner, und Whisky kennzeichnen die dekadente Oberschicht. Wenn Peer Steinbrück keinen Pinot Grigio unter fünf Euro trinkt und Klaus Ernst meistens Rotwein unter zehn, dann rufen wir: Brecht die Trinkblockaden! Wer sagt, dass man nicht durcheinander trinken soll? Nehmt ihnen ihre Symbole! Macht Euch schlau! Zerstört den Status!

9. Die Partei, die Partei, die isst immer schlecht.

Wer kennt es nicht? Das flaue Gefühl im Magen nach einem langen Parteitag oder der spätabendlichen Kreisverbandssitzung. Nahrung: Würstchen, Kartoffelsuppe und Salamibrötchen. Oder der Döner von der Ecke. Solch eine materielle Basis hat linke Politik nicht verdient! Sitzungssozialismus ist schon Gesundheitsrisiko genug! Ein flaues Käsebrötchen mag für Koalitionsverhandlungen mit der Sozialdemokratie reichen, aber wenn das eigene Profil im Vordergrund steht, brauchen wir was Vernünftiges zu essen. Man muss kein Grüner sein, um gutes Essen für gute Politik zu wollen. Der Bauch denkt mit. Kümmern wir uns darum.