19.08.2013

Ein ereignisreiches schwules leben

Alexander Zinn: Das Glück kam immer zu mir. Rudolf Brazda – Das Überleben eines Homosexuellen im Dritten Reich. Campus 34,80 Euro

Bodo Niendel

Rudolf Brazda war der letzte bekannte Homosexuelle KZ-Überlebende, der wegen seiner sexuellen Orientierung von den Nazis verfolgt wurde. Er starb 2011 im Alter von 98 Jahren. Als man 2008 im Berliner Tiergarten das Denkmal für die im Nationalsozialismusverfolgten Homosexuellen einweihte, gingen die Veranstalter davon aus, dass kein homosexueller KZ-Insasse mehr lebt. Doch in Folge der Berichterstattung meldete sich die Nichte von Rudolf Brazda. Daraufhin wurde sein Schicksal bekannt, der Historiker und ehemalige Pressesprecher des Lesben- und Schwulenbands Berlin Alexander Zinn besuchte Brazda mehrfach und zeichnete sein Leben mit dem vorliegenden Buch nach.

Beeindruckend ist, dass Brazda bis Mitte der 1930er Jahre ein offen homosexuelles Leben in der süddeutschen Provinz führte und mit seinem schwulen Freundeskreises häufig zu gemeinsamen Ausflügen aufbrach. Doch mit der Strafverschärfung des §175 durch die Nazis im Jahr 1935 konnte bereits ein Kuss oder ein amouröser Blick zu Strafverfolgung führen. Einzelne Staatsanwaltschaften und die Polizei begannen die Verfolgung zu intensivieren. So geriet auch Brazda in die Fänge der Nazis. Zinn zeichnet präzise das wechselhafte Leben von Brazda bis zur Einweisung in das Konzentrationslager Buchenwald nach und setzt das individuelle Schicksal Brazdas immer wieder in den historischen Kontext der NS-Homosexuellenverfolgung. Anders als politische Häftlinge waren Schwule in den Konzentrationslagern auf sich gestellt. Brazda berichtet: „… wir waren gar nicht richtig verbunden … da hat jeder verzweifelt rumgesessen.“ Die Greuel und die Qualen waren entsetzlich. Doch auf eine Solidarität von Außen brauchten sie nicht zu hoffen. Der Homosexuellenhass war in Deutschland so verankert, dass selbst die Angehörigen der homosexuellen Häftlinge nur selten Wert darauf legten die sterblichen Überreste ihrer Söhne zugesandt zu bekommen. Brazda überlebte Buchenwald, auch weil ihm seine Tätigkeit für die Kommunistische Partei in der Weimarer Zeit bei den roten Kapos im KZ behilflich war und weil er notgedrungen sexuelle Dienstleistungen erbrachte. Die Liebe läßt Brazda nach der Befreiung seine Zelte in Frankreich aufschlagen. Hier sollte er über viele Jahrzehnte mit seiner neuen Liebe Edi leben. Zum Glück, denn in der Bundesrepublik galt der §175 in der Nazifassung unverändert bis 1969. 50.000 Männer wurden bis dahin verurteilt, viele zu langen Haftstrafen.

Brazda besuchte noch mehrmals Berlin, besichtigte das sogenannte Homomahnmal, traf den regierenden Bürgermeister und nahm sogar am Berliner CSD teil. Alexander Zinns Buch über Rudolf Brazdas ist eine spannende und bedrückende Lektüre über ein ereignisreiches schwules Leben, die Homosexuellenverfolgung und eine Nachkriegszeit, in der über das Schicksal der Schwulen in Deutschland wie auch in Frankreich weiter geschwiegen wurde. Zinn legt mit diesem Buch ein lesenswertes Zeugnis über einen gewöhnlichen Homosexuellen ab, der nur aufgrund seiner sexuellen Orientierung in die Verfolgungsaktivtäten der Nazis geriet.

Zu Brazdas 100. Geburtstag, im Juni 2013 und damit zwei Jahre nach Brazdas Tod, veranstaltete das Land Thüringen einen Staatsakt zu seinen Ehren. Es war eine imposante, wenngleich wohlfeile Veranstaltung, denn für die fehlende Aufarbeitung und fortbestehende Homosexuellenverfolgung in der Nachkriegszeit brauchte man sich bei den Überlebenden nicht mehr zu entschuldigen.

Bodo Niendel, Referent für Queer- und Gleichstellungspolitik der Bundestagsfraktion DIE LINKE.