Kapitalismus leicht gemacht

Schaarschmidts Kommentar

Uwe Schaarschmidt

In Amerika haben die Proleten Bruce Springsteen und die Dropkick Murphys – in Deutschland haben sie die Toten Hosen und Helene Fischer. Will sich der amerikanische Malocher musikalisch erbauen und sein eigenes Elend wenigstens in tolle Musik verpackt hören, so kann er auf Weltstars bauen und sie in prominenten Arenen bejubeln. Sein deutscher Kollege – und die Kollegin auch, gehen halt zu anderen Gesängen. Wirklich von den Zuständen erboste Deutsche hingegen müssen zum Zwecke des Wütens in die Einöden reisen, wo sie in ehemaligen Kulturhäusern, prekär vor sich hin wirtschaftenden soziokulturellen Zentren oder Kellerkneipen mit Minibühnen Hans–Eckardt Wenzel, Christian Haase oder Georg Ringsgwandel dabei zuhören können, wie die Absurditäten dieser Welt musikalisch besprochen werden.

Uwe Schaarschmidt

So gesehen habe die Hosen bekommen, was sie verdienen, als am Abend der Bundestagswahl die Creme der CDU vor ihrer jungen Garde zu einem inhaltsfreien Mitgröl–Song eben jener Band auf der Bühne Zuckungen vollführte, die eindeutig darauf hinwiesen, dass das große Problem der CDU im Moment wohl weniger die SPD, als vielmehr galoppierende Arthritis in der Chefetage ist.

In Sachsen, wo ich hause, weil ich noch keinen übleren Landstrich auf Erden gefunden habe, ist das Problem ein anderes. Hier heißt es nicht Angela Merkel, sondern Stanislaw Tillich. Der war im Gegensatz zu Merkel eine Blockflöte – und sein Vati war nicht Pastor, sondern SED–Funktionär. Er hat auch keinen welken Busen, den er im Abendkleid in der Oper präsentieren könnte, dafür aber ein Gesicht, mit dem er, eine halbvolle Wodkaflasche in der Hand, dem schärfsten saudi–arabischen Richter so lallend wie glaubhaft versichern könnte, mit Alkohol noch nie im Leben etwas zu tun gehabt zu haben. Null Peitschenhiebe inklusive. Mit diesem Gesicht und einer Spezialschere in der Tasche, die ihren Weg zum Durchschneiden der Bänder an renovierten Brücken, Kindertagesstätten und Kriegerdenkmalen von ganz allein findet, hat er das Wahlergebnis der Bundes–CDU in Sachsen noch überboten. Tillich ist Eigentümer des Mitteldeutschen Rundfunks, hält in seinem Keller die Mütter sämtlicher Chefredakteure der in Sachsen erscheinenden Tageszeitungen als Geiselinnen bei Wasser und Knäckebrot gefangen und besitzt außerdem eine Sammlung schwuler Fotografien von Peter Hahne und Nicolas Brender. Missfällt Tillich eine Sendung von Günther Jauch, lädt er diesen in sein Heimatdorf vor, wo sich der Delinquent mit Tillich gemeinsam dessen D–VHS–Aufnahmen des Osterreitens zu Panschwitz–Kuckau im Wandel der Zeiten (außer 1933–45) anschauen muss. Alle!

Wer in seiner Meinung gefestigt war, dass Kurt Biedenkopf der schlimmste Meuchelmörder jeder demokratischen Regung in Sachsen gewesen wäre, wurde durch Tillich eines Besseren belehrt und muss heute erkennen: Biedenkopf hat vielleicht gemordet und seine Frau war dabei sein peinlichstes Schwert – aber vorher gefoltert, so wie Tillich, hat er nicht.

In Sachsen haben die Proleten „De Randfichtn“ und „Silbermond“. Das bildet sehr schön ab, was hier am Rande der absoluten Mehrheit an Wahlsonntagen so an die Urnen schreitet. „De Randfichtn“ stehen für jenen Rest, der vom Stolz der Arbeiterbewegung übrig geblieben ist, in roten Kniestrümpfen und gepaart mit einem gehörigen Schuss Liebe zum Nussknacker. „Silbermond“ beantworten die weibliche Frage nach dem „Warum gerade ich?“, auf die eine Antwort von vornherein unerwünscht ist, weil sie viel zu deprimierend wäre. Kapitalismus leicht gemacht. Wirkliche Fragen finden nicht statt und wenn doch, erschallt es aus dem Pferdegesicht Stanislaw Tillichs: „Was immer Eure Frage ist – meine Antwort ist gut. Gut für uns alle! Sagt mir nur, welche ihr hören wollt! Ich gebe sie Euch beim nächsten „Tag der Sachsen“ – auf einer Freilichtbühne Eurer Wahl!“ Damit läuft sich der künftige Bundeskanzler warm.

Uwe Schaarschmidt ist der sächsische Landeskorrespondent des prager frühling.