Freiberuflertum zwischen Selbstbestimmung, Selbstausbeutung und Steuererklärung

Holm Friebe im Interview

pf: Gemeinsam mit Sascha Lobo hast du den Begriff „digitale Bohème“ geprägt. Ihr beschreibt damit neue Arbeitswelten von Medienschaffenden, die sich selbstbewusst für neue Arbeitsformen entscheiden und sich als Avantgarde verstehen. Was ist seitdem aus dieser Avantgarde geworden?

Ja wie sollen wir es nennen?

Holm Friebe: Es trifft sie das Schicksal aller Avantgarden, sie sickern in den Mainstream ein. Es ist natürlich etwas gewonnen, wenn die Rigiditäten der Angestelltenkultur aufgelockert werden zu Gunsten von mehr Zeitautonomie. Gleichzeitig ist die aktuelle Managementliteratur mit ihrer Feier der Kreativität voll auf Linie der Künstlerkritik am Kapitalismus. Da muss man sich fragen: Ist es das, was wir wollen? Ein kulturell geläuterter Kapitalismus, der aber immer noch Ausbeutungskapitalismus bleibt?

pf: Was kritisiert ihr denn am Angestelltenverhältnis?

Friebe: Das Problem im Angestelltenverhältnis ist, dass viele den Wert, den Sinn ihrer Arbeit nicht mehr überblicken können. Sie haben nichts, worauf sie stolz sein können, außer ihrer Erschöpfung. Sie sind noch viel entfremdeter als der proletarische Arbeiter, den Marx beschrieben hat. Wir setzten den Gedanken dagegen: Ich verzichte auf Einkommen zugunsten der Sinnhaftigkeit der Arbeit, zugunsten von Autonomie und Zeit. Ich bin nicht stolz wie viel ich arbeite, sondern wie wenig. Ich verzichte auf ein Angestelltenverhältnis und entscheide mich selbstbestimmt für das Freiberuflertum.

pf: Für viele bedeutet Freiberuflertum allerdings nicht nur Selbstbestimmung, sondern vor allem Selbstausbeutung ...

Friebe: Wir stellen fest, dass Papas alte Arbeitswelt nicht zurück kommt und werden als Überbringer der Nachricht verprügelt. Es gibt aber durchaus auch eine linke Tradition, die die kleine geile Firma als erstrebenswert ansieht: selbstverwaltete Betriebe im Besitz der Mitarbeiter, die sich auf einem Markt bewähren müssen. Der Operaismus ging in diese Richtung, aber auch der Genossenschaftsgedanke.

pf: Kann man nicht auch innerhalb der Angestelltenkultur mehr Kreativität, Motivation und freie Entfaltung befördern?

Friebe: Ich wäre da skeptisch. In klassischen Arbeitsverhältnissen fährt am Ende der Arbeitgeber die Scheuer ein, das ist Flexibilisierung nach seinen Bedürfnissen, nicht nach meinen.

pf: Was wäre eine Alternative?

Friebe: Neue Formen der Vergesellschaftung von Arbeit wie zum Beispiel Coworking-Spaces, die Solo-Selbständige aus ihrer Vereinzelung herausholen, ohne wieder eine klassische Firma zu sein. Sie sind etwas Drittes: Eine gemeinschaftliche Veranstaltung, die nicht zugleich vereinnahmend ist.

pf: Was machen die Monopolisierungstendenzen in der Internetwirtschaft mit der „Kreativität der Kleinen“, über die ihr in eurem Buch sprecht? Die Solo-Selbstständigen machen die kreative Arbeit und die großen Firmen kaufen sie irgendwann ein...

Friebe: Vielleicht waren wir dort in der Tat etwas blauäugig. In der App-Ökonomie orchestrieren Konzerne wie Apple die vielen kleinen Unternehmen und streichen das meiste des Gewinns ein.

pf: Was kann man da machen?

Friebe: Zum Beispiel eine drakonische Anti-Trust-Politik. Wenn ein Konzern zu groß wird, kann man ihn zerschlagen. Die Amerikaner sind da sehr viel unsentimentaler als Deutsche. Eigentlich ein klassisch liberaler Gedanke.

pf: Ist das wirklich ein frei gewähltes Lebenskonzept jenseits der Angestelltenkultur oder eher Prekarisierung?

Friebe: Die Sichtweise, dass alle Freiberufler Prekarisierte sind, stimmt nicht. Wir reden hier nicht vom Dienstleistungsproletariat, sondern von Akademikern, die sich für das Freiberuflertum entscheiden. Eine DIW-Studie hat kürzlich gezeigt: Nach drei bis fünf Jahren überholen die Freiberufler die Angestellten bei gleicher Qualifikation ökonomisch – statistisch. Natürlich gibt es bei ihren Einkommen aber auch eine größere Streuung und höhere Volatilität. Das Zentralmassiv der Festanstellung ist noch da, aber es bröckelt an den Rändern. Die „atypische Beschäftigung“ ist in der Mehrheit. Die Politik muss sich darauf einstellen.

pf: Was bräuchte die „digitale Boheme“ eigentlich?

Friebe: Die Antworten sind zum Teil ganz einfach: Die Steuervorauszahlung, die das Finanzamt nach einem guten Jahr festlegt, kann einen Freiberufler im nächsten Jahr, das nicht so gut läuft, in den Ruin treiben. Wie kann man die Rente absichern? Hier brauchen wir ein flexibleres System.

pf: Und wie sieht es mit weitergehenden Forderungen aus, wie etwa dem Bedingungslosen Grundeinkommen?

Friebe: Das BGE halte ich für eine vergiftete Debatte. Auch Götz Werner und Teile der CDU springen darauf an. Viel praktischer wäre es, den schwierigen Einstieg in die Freiberuflichkeit zu erleichtern. Statt monatlich die Umsatzsteuer anmelden zu müssen, müsste man sich am Anfang um das Geschäft kümmern können. Eine Erleichterung hier bedeutete wenig Aufwand, sie wird nur aus Ignoranz gegenüber dieser Arbeitsform nicht unternommen. Es geht uns nicht darum, immer nach mehr Geld zu schreien, sondern sinnlose bürokratische Hürden abzubauen.

pf: Vertreten nicht die Piraten diese Interessen?

Friebe: Die innerhalb der Freiberufler wachsende Zahl von Solo-Selbständigen hat im politischen System keine Lobby. Das hätten die Piraten sein können, wenn sie nicht so bescheuert wären und wenn sie das kapieren würden. Obwohl viele von Ihnen so arbeiten, haben sie nicht verstanden, dass diese Fraktion der Arbeitswelt ohne politische Schutzmacht dasteht und die Piraten für diese Gruppe eine klassische Klientel-Politik hätten betreiben können.

pf: Wenn du das Buch nochmal schreiben würdest, was würdest du anders machen?

Friebe: Uns wurde vorgeworfen, dass wir der Flexibilisierung das Wort reden, als gut-gelaunte Vorzeige-Avantgarde daher kommen, die klaglos den Marktmächten gehorcht und das auch noch geil findet.Wenn man das Buch genau liest, ging es mir eher darum, das Beharren auf Eigensinn, Zeitautonomie und Selbstbestimmung zu verteidigen. Deshalb habe ich mein neues Buch, „Die Stein-Strategie“, geschrieben.

Holm Friebe veröffentlichte 2006 gemeinsam mit Sascha Lobo das Buch „Wir nennen es Arbeit. Die digitale Bohème oder Intelligentes Leben jenseits der Festanstellung“ (Heyne-Verlag). In der ersten Ausgabe des prager frühlings rezensierten Thomas Lohmeier und Christiane Graf das Buch unter dem Titel „Wir nennen es linken Neoliberalismus“[1]. Unsere Redakteurin Caren Lay fragt nach, was aus der digitalen Bohème geworden ist.

Links:

  1. https://www.prager-fruehling-magazin.de/article/218.wir_nennen_es_linken_neoliberalismus.html?sstr=wir|nennen|es|neoliberalismus