15.10.2013

Frei sei die Liebe

Frei sei die Liebe! Keine Kette binde

Die Hände die der freie Wille fügt!

Vielleicht, daß einst das Auge Dir, das blinde,

Die Wahl des ersten, heißen Fühlens rügt.

Dann sollst Du frei sein! - Kommen soll und gehen

Der Mann zum Weibe, und das Weib zum Mann,

So frei wie droben frei die Winde wehen!

Frei sei die Liebe! Natürlich erst dann:

Dürft ihr von Liebe sprechen, Sittenwächter,

die ihr uns unser Liebesglück nicht gönnt,

Und - echter Lebenlust, arme Verächter -

Zu tadeln wagt, was nicht verstehn ihr könnt.

Hinweg mit Euch! - Gezählt sind eure Tage.

Natur, die starke ist ins uns erwacht.

Und sie zermalmt mit einem Flügelschlage

Gesetz, Sitten, Euch und Eure Macht.

(Gedicht in: Der Pranger: Organ der Hamburg Altonaer Kontrollmädchen, 1920 (12), S. 6.