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Postkollektive Intervention

Kai van Eikels
Undoing Nerd qua öffentlichem mikrofonunterstützem Diskurs

Frank Rieger vom Chaos Computer Club erklärte bei einer Diskussion zum Thema „Doing Nerd“, Parteipolitik sei ihm zu viel dummes Herumgezanke und zu wenig Anstrengung, Probleme wirklich zu lösen. Falls das die Haltung eines Nerds ist, erzählt sie davon, wie jemand es vorzieht, zuhause zu bleiben und ins Netz zu gehen, weil ihm der Raum namens ‚die Öffentlichkeit‘ genauso wenig Aussichten auf erfolgreiches Handeln zu bieten scheint wie vielleicht früher der Schulhof mit seinen Kloppereien. Dem Nerd gefällt ein Zugang zur Welt, bei dem man Beziehungen zwischen Menschen in Richtung Konstruktivität programmieren kann. Etwa durch eine intelligente Enzyklopädie-Software, die dafür sorgt, dass unsere mieseren Eigenschaften (Eitelkeit, aggressives Besserwissen, Rechtbehaltenwollen…) in einen Prozess wechselseitigen Korrigierens eingehen, der den Artikel langfristig mit hoher Wahrscheinlichkeit weiterentwickelt. Eine Online-Umgebung vom Typ Wikipedia vermeidet eine Agora, eine zentrale Öffentlichkeit mit Schulhof-Reminiszenzen, wo Nerds den Kürzeren ziehen würden. Sie ersetzt das durch eine räumliche und zeitliche Streuung: Die Leute arbeiten getrennt zusammen, jede/r geschützt. Was Bestreiten wäre, wenn alle in einem Plenum säßen, nimmt so die Form von Verbesserung an.

Warum also nicht nach demselben Prinzip politische Angelegenheiten bearbeiten? So lautet die Frage, die sich in der Figur des Nerds stellt. Warum so viel Macht den Institutionen eines Staates übertragen, die als Gegenwert für ihre zu geringe Fähigkeit, die Gesellschaft zum Besseren zu verändern, nichts zu bieten haben außer Legitimität? Rät uns nicht bloß Furcht, ohne Parteien werde die Fiktion einer Großen Gemeinschaft verpuffen, den hohen Preis für das Spektakel eines politischen Streites zu zahlen, bei dem die Freiheit zu streiten den Gesetzen des Spektakels gehorcht? Eine Furcht, die der Nerd als Außenseiter nicht teilt. Er verachtet die Herde, die der Staat verwaltet, denn er hat erleben müssen, wie die Herdengesellschaft Dummheit zu erzeugen hilft, indem sie die Stärksten unter den Dummen belohnt. Nerds stecken dagegen hinter jenen Formen kollektiven Austauschs und Handelns, die der relativen Schwäche des Einzelnen gestatten, unverhältnismäßig starke Effekte zu haben. Sie stellen abseits der populären Kampfplätze diskrete Überlegenheiten her. Damit fordern sie die Mehrheitsentscheidungs-Demokratie, die Herde und Staatsverwalter alle vier Jahre zusammenführt, ebenso heraus wie einen Begriff von Politik, der die Teilnahme an Entscheidungsprozessen für unabhängig von Wissensständen erklärt. Hannah Arendt äußerte noch die tiefe Überzeugung, Politik könne, wenn ihre leitenden Werte Freiheit und Gleichheit heißen, auf Wissen nicht zählen (und angesichts der Flut von Experten, mit deren Gutachten Politiker heute ihre Entscheidungsfreiheit im Namen sachlicher Notwendigkeit leugnen, möchte man das sogar dick unterstreichen). Doch mit den Nerd-Netzwerken taucht ein Kollektiv auf, das auf anderem Wege Wissen, technisches und organisatorisches Know-how in die Sphären des Politischen trägt. Die Optionen eines Dropdown-Menüs werden unser Zusammenleben womöglich tiefgreifender verändert haben als die letzten Parlamentswahlen: It’s complicated.

Autoreninfo

Kai van Eikels ist Philosoph, Kultur-, Literatur-, Theaterwissenschaftler, derzeit Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der FU Berlin. In seinem aktuellen Buch „Die Kunst des Kollektiven“ erforscht er lose, schwarmartige Kollektivdynamiken. Darüber diskutiert wird auf seinem gleichnamigen Blog[1].

Links:

  1. https://kunstdeskollektiven.wordpress.com