Als das Abendland die letzten Male unterging …

Die Untergangsprophezeiungen vergangener Medienrevolutionen

Stefan Gerbing

Frank Schirrmacher warnt vor dem Ende des Qualitätsjournalismus und der Bedrohung kindlicher Seelen durch Internet und Digitalisierung. Von Moralpanik geplagte Laienprediger [1]sehen Schmutz überall. (… und weisen uns via Spiegel-TV darauf hin.) Dem 3satten Bildungsbürger[2] hingegen wird das gedruckte Wort zur antifaschistischen Tat: Die erste Druckplatte der Süddeutschen Zeitung sei schließlich aus der Gussform von „Mein Kampf“ geschmolzen. Man kann sich auch an bleiernen Metaphern einen Bruch heben.

Ein Schlaglicht auf vergangene Medienrevolutionen zeigt: Nicht bange machen lassen! Das Abendland ist schon oft genug untergegangen. Der Bedeutungswandel des gedruckten Wortes muss keinem Angst machen.

Lesewut und gefährliche Lektüre

Lesewütig oder bildungshungrig? Aus Sicht des Künstlers jedenfalls nicht unschuldig.

Der Wandel von Buchmarkt und Lesekultur beunruhigte bereits die Zeitgenossen des ausgehenden 18. Jahrhunderts ungemein. Lesen als Vergnügen hieß die große Gefahr, die direkt in die Unmündigkeit führe. „Ein Buch lesen, um bloß die Zeit zu tödten, ist Hochverrath an der Menschheit, weil man ein Mittel erniedrigt, das zur Erreichung höherer Zwecke bestimmt ist“, schrieb Johann Adam Bergk 1799 und traf damit die allgemeine Besorgnis ob der grassierenden Lesewut. Besonders junge bürgerliche Frauen verfielen der „Lesesucht“ und verloren sich in ausschweifenden Phantasiewelten und übersteigerten Emotionen. So zumindest die Angst der privatgelehrter Moralprediger. Doch gerade als die gesellschaftliche Erschütterung des Romans verdaut war, sorgte der Rotationsdruck[3] ab Mitte des 19. Jahrhunderts für Schwindelanfälle. Die Bürger ließ die zunehmende Geschwindigkeit des Zeitungsgewerbes schwindeln, die Redakteure der Kampf um die spektakulärste Schlagzeile.

Druck und Gegendruck

Die Drucker_innen waren die ersten, die in Deutschland eine Gewerkschaft gründeten und in der russischen Revolution von 1905 nach den Arbeiter_innen der Putilow-Werke immerhin die zweiten, die aus Solidarität in den Streik traten. Die Effekte der Medienrevolution waren aber auch in der neuen Welt spürbar.

Die New Yorker Zeitungskriege von Randolph Hurst und Joseph Pulitzer brachten im Kampf um Auflagen den Boulevardjournalismus ­­­­­— die Yellow Press hervor. Doch die Zeitungskriege waren nicht nur Papierkriege, im Kampf um Auflage schrieben die konkurrierenden Boulevardblätter eine Militärintervention in Kuba herbei, die in einem viermonatigen Krieg endete. In Zeiten, in denen von Twitterrevolutionen die Rede ist, lohnt die Erinnerung daran, dass Papier nicht immer geduldig war.

Für die Rotation aller Verhöltnisse: Rotationsdruckmaschine für Bücher

Während das Bürgertum über den Kulturverfall durch die sensationslüsterne Presse lamentierte, versuchten es die klügeren auf anderem Wege. Während Ketty Guttmann die Sensationsgier der Hamburger feministisch nutzte (s. dazu Beitrag in dieser Ausgabe[4]), errichtete Willy Münzenberg ein kommunistisches Medienimperium. Mit auflagenstarke Zeitungen wie „Welt am Abend“, „Berlin am Morgen“, Magazinen wie der „Arbeiter-Illustrierten“ und Büchern aus dem „Neuen Deutschen Verlag“ richtete sich der „Münzenberg-Konzern“ nicht nur an ohnehin schon Überzeugte. Neben Intellektuelle wie Tucholsky und Maxim Gorki gab es Bildreportagen, Kreuzworträtsel und Haushaltstipps mit Klassenstandpunkt.

Die gelbe Gefahr

Die Yellow Press hatte ihren Namen von Yellow Kid, dem ersten modernen Comic, das 1895 in der New York World erschien. Schnell lernte das Comic alleine laufen und verschreckte das konservative und das linke Bürgertum. In den USA warnte Fredric Wertham nicht zuletzt unter Berufung auf die kritische Theorie in den 1950ern vor der Verführung der Unschuldigen — so der reißerische Titel seiner einflussreichen Kampfschrift. Kinder würden durch Comics zu mordenden Psychopathen. Auch in Deutschland wurde die „Massenzeichenware“ (So der Titel eines Suhrkamp-Bändchens, das sich der „gesellschaftlichen und ideologischen Funktion“ des Comics widmet) als Träger bürgerlicher Ideologie ausgemacht. Der Spiegel warnte vor dem „Opium in der Kinderstube“ und bis Ende der 1950er Jahre wurden öffentliche Verbrennungen von Comics organisiert.

Yellow Kid hätte niemals FDP gewählt.

Doch auch die ideologiekritischsten Kritiker_innen mussten einsehen, „dass viele Comics trotz der Distanz schaffenden Analyse nicht vollständig ihre Faszination einbüßen.“ (Zitat aus „Massenzeichenware“) Langsam hat sich auch die Linke ans Comic herangetastet. Erst mit Arno Ploogs Lehrlingskampfcomics als Einstiegsdroge, später mit an US-amerikanischen Undergroundcomics angelehnte Arbeiten wie Gerhard Seyfried oder Ralf Königs.

Im Arthouse zu Tode amüsiert

Erich Ludendorff - Begründer der deutschen Filmwirtschaft

Gerade wird wieder viel über die besonders schützenswerte deutsche Filmindustrie geschrieben. Wie so vieles in Deutschland ist sie ein Kind des Militärs. Das erste große deutsche Filmunternehmen, die Babelsberger UFA, entstand aus dem Bild- und Filmamt (Bufa). Gegründet wurde die Behörde im Ersten Weltkrieg von der Obersten Heeresleitung nicht aus künstlerischem Ehrgeiz, sondern zum banalen Zwecke der Kriegspropaganda.

Die kommunistische Linke entdeckte den Film ebenfalls als wirksames Medium. Der bereits erwähnte Willi Münzenberg brachte sowjetische Klassiker wie Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“ in Deutschland zur Aufführung und produzierte selbst Klassiker wie Kuhle Wampe. Bis heute ist der Film das nach wie vor am stärksten obrigkeitsstaatlich regulierte Medium. Die Moralpaniken in der Nachkriegs-BRD haben Institutionen wie FSK und Bundesprüfstelle entstehen lassen, die nach wie vor tausende Filme dem Publikum entziehen.

Viel mehr Angst hatten Intellektuelle aber vor der Verbreitung des Fernsehens. „Wir amüsieren uns zu Tode“ meinte Neil Postman 1985 auf der Frankfurter Buchmesse. Hurra, wir leben immer noch.

Game over

Die selben Moralpaniken wie das Lesen, Comics und der Videofilm lösen nach wie vor Videospiele aus. Zu einem ausgefeilten multidimensionalen und humorvollen Plot, wie er in der GTA-Reihe entwickelt wird, fällt den SittenwächterInnen nur ein: zu blutig. CSU-Ministerinnen, die gegen keinen Bundeswehrwerbeeinsatz in Schulen das Wort erheben, schießen scharf: Exzessives Spielen führt zu Realitätsverlust[5]. Wer mit dem Finger auf andere zeigt, auf den weisen drei Finger zurück.

Erste Anzeichen von Realitätsverlust?

Keine Bange

Lasst uns kurz Brecht zitieren: „Herr Keuner begegnete Herrn Wirr, dem Kämpfer gegen die Zeitungen. ‚Ich bin ein großer Gegner der Zeitungen‘, sagte Herr Wirr. ‚Ich will keine Zeitungen.‘ Herr Keuner sagte: ‚Ich bin ein größerer Gegner der Zeitungen: Ich will andere Zeitungen.‘ Word up! Was für die Zeitung gilt, lässt sich auch auf andere Medien anwenden. Digital, Wuppertal, scheißegal! Ja, im Kapitalismus sind Medienrevolutionen auch Scheiße: Die stolzen Schriftsetzer sind ihren Job los. Den machen jetzt mies bezahlte Kunststudierende an ihren Macbooks schneller, billiger. Trotzdem: Die Beweglichkeit der Lettern ist nicht entscheidend, sondern die mentale Beweglichkeit der Leser_innen und die Eleganz der verbreiteten Gedanken. Statt Zeitungsschutzgebiete, wollen wir bessere, linke Onlinemagazine. Ob’s gelingt? Wir werden sehen.

Stefan Gerbing ist Mitglied der prager-frühling-Redaktion. Zukunftsvisionen aus der Vergangenheit amüsieren ihn zu Tode. Sonst handelt er zumeist nach dem Motto: „Man ist immer so altklug, wie man sich fühlt.“

Links:

  1. http://www.berliner-zeitung.de/archiv/der-gruender-der-jugendeinrichtung-arche-hat-in-berlin-ein-buch-vorgestellt--es-soll-die-sexuelle-verwahrlosung-junger-menschen-belegen-im-bett-mit-der-jugend,10810590,10585746.html
  2. http://www.3sat.de/page/?source=/kulturzeit/themen/166182/index.html
  3. http://de.wikipedia.org/wiki/Rotationsdruck
  4. https://www.prager-fruehling-magazin.de/de/article/1008
  5. http://www.pcgames.de/Jugendschutz-Thema-24986/News/CSU-und-PC-Spiele-Suchtpotenzial-soll-ausgewiesen-werden-754813/