LAN-Party links gepolt?

Netz ist das, was man draus macht

Jörg Braun

Es gibt mindestens zwei Erzählungen über das Internet, die gegen diese imperialistisch-kapitalistische Wahnmaschine sprechen. Zum einen: Aus einem ehemaligen Militärforschungsprojekt ist mittlerweile ein weltumspannendes Überwachungsnetz geworden, das den Geheimdiensten dieser Welt und insbesondere des kapitalistischen Blocks (allen voran USA und Großbritannien, aber auch Frankreich, Deutschland oder Schweden) dazu dient, Freiheits- und Menschenrechte mit den Füßen treten.

Zum andern: Das Internet ist eine Konsumhölle, die uns mit bunten und blinkenden Bannern und Bequemlichkeitsversprechen permanent zum Kauf von Gütern anregt, die unter Missachtung beinahe aller ArbeiterInnenrechte produziert und geliefert werden. Und wenn wir mal nicht kaufen, sondern Saufbilder verschicken, werden wir selbst zur Ware, weil die perfiderweise sozial genannten Netzwerke uns unsere digitale Kommunikation damit bezahlen lassen, dass sie unsere Vorlieben und Verhaltensmuster wieder an die Werbebranche verkaufen, damit wir noch mehr auf bunte, blinkende Banner herein fallen und am Ende doch wieder kaufen, was wir nicht brauchen.

Es gibt aber noch eine weitere Erzählung vom Internet. Sie handelt von Solidarität und Vernetzung, von Grassroots und Sharing, vom Wiedererstarken der Commons, von neuen Möglichkeiten der Gegenöffentlichkeit. Es geht dabei um AktivistInnen, die sich übers Netz für spontane und klandestine Formen des Widerstands koordinieren, um Indymedia und Wikileaks und um #Aufschrei. Es geht um Selbstermächtigung mit Open Source Code für Software, aber eben auch um mehr oder minder banale Dinge der Feststoffwelt wie Gartenbau, Kochrezepte oder Kleidungsschnittmuster. Mit den 3D-Drucken steht die nächste Möglichkeit der eigenorganisierten und vernetzen Form der Güterproduktion vor der Massentauglichkeit. Mit dieser Form des Do-It-Yourself hängen neue Formen der bedarfsorientierten Produktion und des Teilens statt Besitzens zusammen: von Couchsurfing über Food- oder Carsharing bis hin zur Nutzung von Daten aus der Cloud.

Sicher, all das ist längst (auch) kommerzialisiert und die Online-Plattformen fürs Teilen sind allzuoft schicke Marketingmaßnahmen großer Konzerne. Und auch, wenn sich die Polizei hier oder da beim blockieren von Naziaufmärschen austricksen lässt, weil die Bezugsgruppen per Onlinechat ihre Bewegung im urbanen Kampfgebiet koordinieren, in der späteren Verfolgung mutmaßlicher StraftäterInnen wird ebendiese Polizei per Funkzellenabfrage unseren digitalen Datenstrom wieder für Repression ausnutzen.

Und, ja, all die schönen emanzipativen Projekte im und ums Netz brauchen Zeit, Wissen und Zugang zu den digitalen Ressourcen, die vor allem wohlhabende, ungebundene Singles aus den Mittel- und Oberschichten dieser Welt haben.

Aber das ist beides kein Grund, diese dritte Erzählung nicht immer mehr in linkes Handeln und linke Politik umzusetzen.

Wer das Netz ernst nimmt, sieht den hohen Grad der Selbstorganisation der „linken“ Seite des Netzes. Mit Blick auf den vom politischen System unabhängigen Drang staatlicher Exekutive, das Netz als Instrument totaler Überwachung zu missbrauchen, scheint es dann auch naheliegend, dass das Netz in BürgerInnenhand gehört und weder wie heute von einem Oligopol weniger Informationskonzerne kontrolliert werden sollte noch wie zu Zeiten des gruseligen BTX-Versuchs der Deutschen Post in Besitz und Verantwortung träger, monolithischer Staatskonzerne darben darf.

Ein linkes Internet muss ein Netz für alle sein. Unpfändbare Grundausstattung. Mit Regeln und Gesetzen, die das Teilen stärken, statt künstliche Eigentumsrechte durchzusetzen. Copyleft statt Copyright.

Vor allem aber braucht auch ein partizipatives Internet als Mittel und Zweck der Selbstorganisation und -verwirklichung eine Gesellschaft, in der jede nicht nur das nötige Wissen, sondern eben auch die Zeit fürs Do-It-Yourself hat. Diese digitalen Möglichkeiten kann nur nutzen, wer nicht 50, 60 Stunden auf Schicht ist oder allein zuhause den Haushalt schmeißen muss. Arbeitszeitverkürzung und Umverteilung der Arbeit sind auch für eine faire Digitalisierung vonnöten.

Im und mit dem Netz zeigen viele, die es sich bereits leisten können, dass es möglich ist, Freiheit und Individualität aus ihrem neoliberalen Deutungsgefängnis zu holen und sie leben eine selbstgewählte Solidarität frei von autoritärer Steuerung durch Machtapparate. Eine Linke, die diese Seite des Netzes schützt und ihr den Elitenstatus nimmt, hat die Chance jenseits der alten Dichotomie von Markt und Staat neue Wege zu gehen.

Jörg Braun fing 2006 an zu bloggen, twittert seit 2007 und arbeitet seit 2010 als netzpolitischer Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten Petra Sitte. Er liebt Smartphones und Bücher.