Gretchenfrage:

Wie hältst du es mit dem papier?

Bodo Ramelow, Netzbeauftragter der Partei DIE LINKE:

Kurz bevor mich die Anfrage nach diesem Text erreichte, ist etwas geschehen, was als Indiz für das hier behandelte Thema gelten mag: Die „Washington Post“, Qualitätszeitung von Weltruf, die 1974 US-Präsident Nixon zu Fall brachte, ist für gerade 250 Mio. Dollar verkauft worden. Die Onlinezeitung „Huffington Post“, erst 2005 gegründet, brachte vor zwei Jahren mit 315 Mio. deutlich mehr ein.

Es war für mich ein Genuss, in einer knisternden Zeitung zu blättern, während ich einen dampfenden Kaffee in der Hand hielt. Heute finde ich kaum noch eine Zeitung, bei der es sich lohnt, sich eine ganze Tasse Kaffee lang mit ihr zu beschäftigen ...

Der Buchdruck und die Massenherstellung von Papier haben ausgehend vom 15. Jahrhundert die Gesellschaften revolutioniert. Doch heute ist es die digitale Revolution, die unseren Alltag zunehmend prägt und ständig verändert. Ob zum Guten oder Schlechten – wir wissen es noch nicht. Den Verlust der Privatsphäre bemerken wir nicht erst seit dem NSA-Skandal. Wir werden lernen müssen, mit den neuen, digitalen Möglichkeiten aktiv umzugehen. Wir werden lernen müssen, uns zu schützen.

Toilettenpapier wird es auch in Zukunft geben, wahrscheinlich sogar in verschiedenen Qualitäten. Klar ist aber: Nichts ist älter als die Zeitung von gestern!

Daniel Leisegang, Redakteur der Blätter für Deutsche und internationale Politik :

Das papierlose Lesen ist und bleibt Utopie. Zwar fließt auch bei mir ein breiter Strom an RSS-Feeds, Twitter-Meldungen und News-Updates über die Bildschirme. Vor allem längere Texte markiere ich dann aber lieber rasch im Vorbeigehen, als sie augenermüdend auf dem Monitor zu studieren.

Mit entsprechenden Schlagworten versehen wandern die Texte automatisch in digitale Schubladen. Wenn ich sie später erneut aufrufe, verwandle ich mich in einen Internetausdrucker. Denn erst auf totem Holz lässt sich Geschriebenes so richtig verarbeiten, vielfarbig markieren und unterstreichen, mit Anmerkungen und Eselsohren versehen.

Und Papier besitzt noch einen weiteren, unschlagbaren Vorteil: Es ist geduldig. Eine Tageszeitung aktualisiert sich nur alle 24 Stunden. Ist sie ausgelesen, kann man getrost auch mal abschalten.

Tom Strohschneider, Chefredakteur des Neuen Deutschlands:

Wer im Sektor „irgendwas mit Medien“ in der Sparte Zeitung schafft, ist angehalten, bei so einer fiesen Frage umgehend in den Zustand leidender Schreckstarre zu verfallen. Machen jedenfalls fast alle so. Aber ist es deshalb richtig? „Print ist tot“ war und ist die Parole derer, die es für zu mühselig halten, ihren LeserInnen die besseren Angebote auf Papier zu machen. Das ist kein Argument gegen eine elektronische Zukunft, die Journalismus, Demokratie, Alltag und so fort besser, komfortabler, gerechter machen wird. Sondern eine Verbeugung vor den Kindern, die klüger sind als viele Experten: 82 Prozent der 6- bis 13-Jährigen greifen mindestens einmal pro Woche zu einem journalistischen Printprodukt. „Frag doch mal die Maus“ zum Beispiel. Und was antwortet die? „Papier lebt, wenn wir es wollen.“

Teresa Bücker, freie Autorin u.a. für das FAZ-Blog „Deus ex Machina“:

Ohne zwei Dinge kann ich nicht leben: Twitter und ein Bücherregal, das bis an die Decke reicht. Als Vertreterin der Gattung introvertierter Nerds, die gleichermaßen zwischen Büchertürmen und Computerspielen aufwuchsen, bin ich seltsam zufrieden zerrissen zwischen den Medien. Ich liebe das Digitale und das Gedruckte mit allen Zellen, die Geschriebenes erfassen können. Ich drucke Texte aus und tippe Zitate in ein Tumblr ab. Das kürzlich aufgetauchte Schlagwort „Print Pride” über das auf Twitter Journalisten die Zeitung verteidigen, halte ich für verschrobenes Machotum alter Männer, denen es nicht um edle Ausdrucke geht, sondern um Ego. Sprache schafft Realität, egal wo. Schadet, verzaubert, verklingt. Dennoch sind der Zettel auf dem Kopfkissen, die verstaubte Konzertkarte, das Konfetti im Haar und all die anderen Momente, in denen ein Fetzen Gemeinschaft dir unerwartet in die Hände fällt, die besten Gründe, dem Papier ein langes Leben zu wünschen. Nichts überrascht uns heute so sehr.