Die entdeckung der Langsamkeit

Das prager-frühling-Entschleunigungsprogramm

Höchstgeschwindigkeit 120? Schön wärs.

Tempo 120

Entschleunigung kann man auch wörtlich nehmen. Im Straßenverkehr sorgt die Raserei für gehörigen Stress bei der Fahrt. „Kann ich den LKW jetzt überholen oder nicht?“ Ständig muss man achtgeben, ob nicht eine RaserIn mit Tempo 200 von hinten angeflogen kommt. Wer schon einmal in Nordamerika mit dem eigenen Auto unterwegs war, weiß wie entspannt Autofahren sein kann, wenn man nicht regelmäßig von hinten mit der Lichthupe von der Fahrbahn geschossen wird, sondern entspannt einem Radiofeature folgt, seinen Gedanken nachgeht oder mit dem Liebsten telefoniert (natürlich per Freisprecheinrichtung). Die Entschleunigung wird so zum Stressabbau und die Autofahrt wird zum meditativen Akt. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass rechtzeitig los gefahren wird. Würden alle Tempo 120 einhalten, wären wir nicht nur weniger gestresst, wir täten überdies sogar noch was für die Umwelt. Denn Raserei ist nicht nur stressig – sie führt auch zu einem erhöhten CO2-Verbrauch.

Mehr Feiertage? Bin nicht gans überzeugt.

Mehr Feiertage

Weihnachten bedeutet Stress: Geschenke kaufen, Weihnachtsbaum schmücken, Weihnachtsgans braten. Spätestens am ersten Weihnachtsfeiertag kommt dann der große Familienkonflikt. Kein Wunder, dass nicht jedeR gleich an Entspannung denkt, wenn Feiertag ist. Und dann reglementieren sie auch noch das Leben, erinnern an Religiöses oder Nationales. Aber sie halten auch die Zeit an. Man erwartet nicht, dass jemand seine E-Mails liest oder telefonisch erreichbar ist. Für Selbstständige sind sie ein Schutz vor nervigen Kunden. Menschen mit flexiblen Arbeitszeiten haben durch sie auch mal am selben Tag frei wie ihre FreundInnen und Verwandte. Sozialkontakte werden auch für die möglich, die immer arbeiten müssen, wenn andere frei haben bzw. frei haben, wenn andere arbeiten. Die Vermehrung der gesetzlichen Feiertage erhöht die Zeiten für Ruhe und Muße. Der Internationale Frauentag und der Tag der Befreiung sowie Chanukka, Pessach und Ramadan sollten deshalb ebenso wie Weihnachten und Ostern frei sein.

Keine Mails nach Feierabend

Eine halbe Stunde nach Ende der Gleitzeit stoppt der Mailserver von Volkswagen die Verteilung von E-Mails. Eine halbe Stunde vor Beginn der Gleitzeit am nächsten Tag setzt er sie wieder in Gang. Wir brauchen mehr solcher Regelungen, um die Entgrenzung der Arbeit zu stoppen. Aber um solche Regelungen nicht nur in Großbetrieben durchzusetzen, muss dringend das Arbeitsschutzrecht modernisiert werden. Dort ist viel über Lärmschutz, Beleuchtungsstandards und Umgang mit Gefahrstoffen zu lesen. Psychische Belastungen fallen unter den Tisch. Damit die Arbeitsschutzregeln auch kontrolliert werden können, brauchen die kaputtgesparten Arbeitsschutzbehörden wieder mehr Kontrollpersonal. Aber auch die Betriebskultur ist wichtig. Warum nicht KollegInnen, die Wochenends oder nachts Mails verschicken, eine besorgte Mail zurück schreiben? Wenn sie plötzlich nicht mehr die „Helden der Arbeit“-Anerkennung sondern eine irritiert-mitleidige Rückmeldung für After-Hour-Arbeit bekommen, dann wandelt sich auch die Arbeitskultur. Hoffentlich.

Bedingungslose Grundzeit

Claus Schäfer, Leiter des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Gewerkschaften (WSI), nennt sein Sabbatical-Konzept „Bedingungslose Grundzeit“: Jedem Menschen steht eine zeitlich begrenzte Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit bzw. ein zeitlich begrenzter vollkommener Ausstieg aus dem Erwerbsleben zu. Schäfer nennt das im Gegensatz zu bedingten Ansprüchen auf Verkürzungs- und Auszeiten für Pflege, Erziehung, Aus- und Weiterbildung den individuellen Anspruch auf eine „ohne Begründungszwang mögliche reduzierte oder freie Zeit von Arbeit.“ Der Lohnausfall und der Ausfall der Sozialversicherungszahlungen sollen staatlich kompensiert und eine Rückkehrmöglichkeit in das Arbeitsverhältnis garantiert werden. Der Lohnersatz erfolgt überwiegend aus Steuern und wird im Prinzip äquivalent zum vorangegangenen Arbeitseinkommen gezahlt. Bei sehr niedrigen Löhnen wäre ein Mindestbetrag, bei hohen Löhnen ein Höchstbetrag denkbar.

Yoga? Manche nennen es Arbeit.

Yoga

Von den einen als Indikator für Gentrifizierung geschmäht, von anderen als zeitgemäßer Ausdruck des urbanen Neo-Hippietums gefeiert, erobern Yoga-Studios Deutschlands Städte. Selbst Volkshochschulen in der Provinz werden von der uralten indischen Kulturtechnik überschwemmt. Yoga löst in der westlichen Welt eine stärkere Welle aus als einst Jane Fonda im Aerobic-Outfit. Nüchtern betrachtet ist es eine Mischung aus Bewegung, Atmung und Meditation, die in Windeseile zu individueller Entspannung beiträgt. In jedem Fall ein effektives Anti-Stress-Programm, das dem Burn-Out schon alleine dadurch entgegen wirkt, indem Macht, Arbeit und Geld an Bedeutung verlieren. Und vielleicht hat doch Meister Patanjali mit seiner Lehre recht, und du erreichst den Zustand der Zeitlosigkeit und innerer Stille, irgendwann Ekstase und Glückseligkeit. Und das alles trotz Kapitalismus. Om Shanti – probiere es einfach selber aus.

Auszeit plus Jobrotation

1994 wurde in Dänemark ein besonderes „Urlaubsgesetz“ eingeführt, das Auszeiten ermöglicht. Die Lohnersatzleistung beträgt 70 Prozent des Arbeitslosengeldes. Für berufliche Fortbildung können Beschäftigte, Selbständige und Erwerbslose eine Auszeit nehmen und erhalten Leistungen in Höhe des Arbeitslosengeldes. Beschäftigte können eine bedingungslose Auszeit nehmen und erhalten 70 Prozent des Arbeitslosengeldes als Lohnersatz. Alle von der öffentlichen Hand bezahlten Auszeiten werden für maximal ein Jahr im Berufsleben gewährt. Beim Sabbatical wird eine Pflicht zur Einstellung einer Auszeitvertretung vorgeschrieben. Die städtische Müllabfuhr in Arhus entwickelte ein besonderes Konzept: Die Müllwagenbesatzung wurde von drei auf vier Leute aufgestockt – drei sind im Einsatz, der Vierte hat eine Woche Auszeit. Die 25prozentige Lohneinbuße wird durch eine Zahlung des Arbeitsamtes ausgeglichen: 25 Prozent weniger Arbeitszeit bedeuten nur 10 Prozent Lohneinbuße – und einen Erwerbslosen weniger.