Der Stress der Anderen

Drei Geschichten vom Gestresst-sein

Ente gut alles gut. Ente mit feiner Mechanik.

Lars hat sich entschieden

Lars ist Werkzeugmechaniker, obwohl er lieber in der Verwaltung gearbeitet hätte. Seine Englischnote hat ihm aber einen Strich durch die Rechnung gemacht. Mittlerweile ist er unbefristet angestellt und darauf spezialisiert, Werkzeugteile auf den Mikrometer genau zu schleifen. Dabei kommt es weniger auf die Anzahl der bearbeiteten Teile als auf die Genauigkeit seiner Arbeit an. Deshalb verspürt Lars beim Arbeiten keinen Zeitdruck. Für ihn liegt die Herausforderung darin, jeden Tag acht, neun Stunden mit seinen Kollegen verbringen zu müssen. Deren Welt ist ihm so fremd, wie ihnen die seine. Sie lesen die BILD, er die Jungle World. Sie unterhalten sich zum Arbeitsbeginn schon mal über „das Zigeunerproblem“, er unterstützt auf dem letzten Bundeskongress der linksjugend [’solid] einen Antrag, der sich gegen das autoritäre Ungarn Viktor Orbáns wendet. Sie reproduzieren Sexismen, er versucht mit ihnen zu brechen. Und trotzdem: Er hat sich entschieden, sich zu arrangieren, um seinem Ziel – ausreichend Kohle in möglichst geringer Zeit – nahe zu kommen.

Lena hatte Glück

Der Oberkörper des Mannes ist nackt. Er macht Handstand im Schnee – einhändig. Lena hat das Foto aufgenommen und ihr Modell über seine körperliche Selbstwahrnehmung befragt. Als Prüfungsleistung fürs Abitur wird sie im März Akte präsentieren. Lena strahlt, wenn sie davon erzählt. Doch ist ihr Schulalltag von Belastung und Druck geprägt. Als sie in die zwölfte Klasse kam, mussten Lenas Lehrer_innen wegen der Schulzeitverkürzung auf 12 Jahre zwei Abiturjahrgänge zugleich bewältigen. Es gab wenig Raum, die Schüler_innen wahrzunehmen. Lena, der der Leistungsdruck und die Zwangsgemeinschaft Schule zu schaffen machten, wurde nicht aufgefangen. Im Januar wechselte sie auf die Gesamtschule — in die elfte Klasse, jene Stufe, die sie wegen des verkürzten Abiturs überspringen sollte. Trotz des gewonnenen Jahres ist Schule für Lena Stress. An manchen Tagen hat sie von 8 bis 17 Uhr Unterricht, dazu kommen Hausaufgaben. Sie würde sich gern mit Sport abreagieren, doch es fehlt ihr die Kraft. Sie würde gern Theater spielen, doch sie hat keine Zeit. Lena hat auch die zwölfte Klasse wiederholt, weil der Druck zu heftig war. Jetzt darf nichts mehr schiefgehen, für ein Abitur auf der Regelschule. Ihre Schule hat eine künstlerische Ausrichtung. Ihre Leidenschaft für Fotografie lässt sich so mit schulischen Aufgaben verbinden. Und sie hat in der Schule Menschen kennengelernt, mit denen sie gemeinsam lernen und leben will. Zum Glück.

Eleonora macht Mut

NIemand muss allein zum Amt?

„Jeder Termin im JobCenter kann existenziell sein“, sagt Eleonora. „Immer droht eine Sanktion, oder ein Einzug in die Wohnung die Mensch sich gesucht hat, wird trotz drohender oder bestehender Obdachlosigkeit von Amts wegen verboten.“ In praktischer Solidarität und auf Basis gegenseitiger Hilfe berät Eleonora Erwerbslose und Arme. „Obwohl der Bewilligungsbescheid, das monatliche Einkommen für sechs Monate zu garantieren scheint, ist jeder Gang zum Amt, ein Angriff auf die Sicherheit, des ohnehin zu niedrigen Regelsatzes. Um Vermittlung in auskömmlicher Arbeit geht es im JobCenter nie.“ Ein Team eines Berliner JobCenters in der Sickingenstraße ist Eleonora besonders negativ aufgefallen. Es gibt Wandsprüche: „Oh Herr, lass Hirn vom Himmel regnen und nimm den Bedürftigen ihren Regenschirm weg; Anklopfen, hinknien und um Audienz bitten; Wer klaut, der stirbt.“ Nachdem Zahlungen bei einer Person willkürlich eingestellt wurden, gab es mündliche Aussagen wie: „Ziehen Sie doch aus, wenn Sie die Miete nicht zahlen können“ oder „Suchen Sie sich einen reichen Mann.“ Bei solchen Vorkommnissen ist auch die Begleitung extrem anstrengend. „Da wird die Härte des Hartz- Regimes und seiner willigen Jobcenterangestellten offen gelegt. Da endet die Wirkkraft einer solidarischen Beratung und Begleitung.“ Was Eleonora gegen den Stress hilft? „Organisieren von Alltagswiderstand und kollektive Solidaritätsaktionen zur Ermutigung. Das hilft besser zu schlafen. Wir haben Zeit und das ist gut so.“