Menschenskinder!

Mama, Papa und‘s Gericht, sind für kleine Kinder nicht

Danny Butter und Lena Kreck

Bei Facebook haben viele unserer Freund_innen in den vergangenen Wochen ihr Profilbild in ein rosa Gleichheitszeichen auf rotem Grund geändert. Die Botschaft: Homos sollen die gleichen Rechte wie Heten erhalten. Zunächst geht es dabei um die „Homo-Ehe“, die die gleichen Privilegien wie die traditionelle Ehe erhalten soll. Das Thema ist in den letzten Monaten wieder in den Fokus gerückt, nachdem Frankreich Homo- und Heten-Ehen weitgehend gleichgestellt hat und in den USA der oberste Gerichtshof über die Privilegierung der zweigeschlechtlichen Ehe verhandelte. Auch in Deutschland hat sich das Bundesverfassungsgericht wiederholt mit der Legitimität der nach wie vor bestehenden Ungleichbehandlung von Ehe und Eingetragener Lebenspartnerschaft befasst. Im Februar öffnete es die Sukzessivadoption auch für gleichgeschlechtliche Paare. Das bedeutet: Ein von einem Lebenspartner angenommenes Kind kann in einem zweiten Schritt auch vom anderen Lebenspartner adoptiert werden, so dass beide nicht nur mit dem Herzen, sondern auch juristisch die Eltern des Kindes sind. Mit der Öffnung der Sukzessivadoption wurde erstmals die Möglichkeit geschaffen, dass ein gleichgeschlechtliches Paar zwar nach einander, schlussendlich aber gemeinsam ein Kind annehmen kann, mit dem beide Elternteile nicht blutsverwandt sind.

Stiefkindadoption: So geht’s.

Neben der Sukzessivadoption spielt die Stiefkindadoption für Regenbogenfamilien eine zentrale Rolle. Wenn das Kind auch von der Partner_in, die sich in ihm genetisch nicht verewigt hat, angenommen werden soll, spricht man von einer Stiefkindapotion. Sie ist vor allem für lesbische Paare mit einem Kinderwunsch bedeutend: Die eine Frau trägt das Kind aus, ihre Partnerin adoptiert es nach der Geburt. Was wie ein (möglicherweise lästiger, aber eigentlich) unaufgeregter Schritt erscheint, entpuppt sich als voraussetzungsreich. Denn das Verfahren – es ist für gleich- wie zweigeschlechtliche Paare identisch – ist fast so anspruchsvoll wie eine Fremdadoption. Gehen wir im Folgenden von einer Regenbogenfamilie aus: Zu allererst braucht es eine Eingetragene Lebenspartnerschaft. Ohne Verpartnerung kein gemeinsames Kind für Homosexuelle. Des Weiteren müssen alle Beteiligten – die Lebenspartner_innen, der leibliche Elternteil, welches juristisch das Verwandtschaftsverhältnis zu dem Kind beendet, und das Kind selbst, sofern es 14 Jahre alt ist – notariell beglaubigt erklären, dass diese Stiefkindadoption stattfinden soll. Ein weiteres Erfordernis ist eine ärztliche Untersuchung des Adoptivelternteils und des Kindes sowie der sogenannte Sozialbericht des Jugendamts. Dieser muss erklären, dass die Stiefkindadoption dem Kindeswohl dient.

Geehrt seien sie, die Stiefmütterchen

Wenn ein heterosexuelles unverheiratetes Paar beim Jugendamt sitzt, um die Vaterschaft eines Kindes anzuerkennen, spielt das Kindeswohl keine Rolle. Es ist auch völlig unerheblich, ob der Mann, der die Vaterschaft übernehmen möchte, tatsächlich der Erzeuger ist. Allein seine Erklärung und die der Kindesmutter genügen, um eine gemeinsame Elternschaft zu begründen. Noch simpler ist es bei Kindern, deren Mutter verheiratet ist: Selbst wenn die Eheleute bereits getrennt sind, erklärt sie das Recht mit der Geburt zu Mutter und Vater. Je stärker die Familienkonstellation der Norm entspricht, umso eher wird vermutet, dass dem Kindeswohl entsprochen wird.

Tatsächlich ist die Wahrscheinlichkeit einer biologischen Elternschaft bei einem heterosexuellen Paar sehr hoch. Aber sind sie damit auch gute Eltern? Wann ist man überhaupt ein guter Elternteil? Und ist es tatsächlich so, dass mehr als zwei Personen dem Kindeswohl nicht dienlich sind?

Zwei Beispiele: Matheo wohnt in einer WG mit Nadine und Jule. Jule ist Nadines Tochter, für die Matheo regelmäßig und gerne Verantwortung übernimmt. Jule wurde bei einem One-Night-Stand mit einem Bekannten gezeugt. Seit Jules Geburt streitet sich Nadine mit Jules biologischem Vater vor dem Familiengericht. Der Bekannte hat einen rechtlichen Zugriff auf Jule. Für den Fall, dass die Wohngemeinschaft von Matheo, Nadine und Jule im Streit auseinanderbricht, hat Matheo hingegen keine rechtliche Möglichkeit, seine Beziehung zu Jule aufrechtzuerhalten.

Samira, Michael, Dieter und Yannis bekommen ein Kind. Biologische Eltern sind Dieter und Michael. Die emotionale Beziehung, die Samira und Yannis zu ihrem Kind haben, findet keinen Ausdruck in rechtlicher Absicherung. Diese Konstellation erkennt das Recht nicht als Familie an.

Das Problem: Familienleben ohne rechtliche Absicherung funktioniert nicht. Es geht dabei nicht nur um eine Absicherung im Falle eines Scheiterns der Beziehung. Es geht um den Alltag. Wer darf das Kind aus der Kita abholen? Wer darf als Elternvertreter_in in der Schule gewählt werden? Wer darf mit dem Kind ins Ausland reisen? Wer entscheidet über den Aufenthaltsort des Kindes?

Die Verantwortungsbeziehung zu einem Kind muss rechtlich geregelt werden. Das Kindeswohl in den Mittelpunkt gestellt, sind Kinder darauf angewiesen, dass es Erwachsene gibt, die Verantwortung für sie übernehmen. Die Kinder müssen sich darauf verlassen können, dass die Erwachsenen auch für sie handeln dürfen.

Stinofamilien auch für Homos?!

Die Entwicklungen im Familienrecht sind keineswegs so positiv, wie es die kontinuierliche Ausweitung der Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften bei ihrem derzeitigen Stand hoffen lässt. Denn das Bundesverfassungsgericht schnürt Hand in Hand mit der Bundesregierung immer engere Grenzen für Familiengründungen jenseits der Blutsverwandtschaft. Der Zugang zur Samenbank ist ein Privileg heterosexueller Eheleute und eine Leihmutterschaft, auf die schwule Väter angewiesen sind, ist verboten. Familienleben mit Kindern außerhalb einer Verpartnerung wird bewusst erschwert, in einigen Fällen sogar verhindert. Zynisch betrachtet folgt die Gleichstellung homosexueller Familienkonstellationen eher einer „Wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist ...“-Logik. Das Kind einer Lebenspartner_in kann, wenn es schon mal da ist, auch von dem oder der zweiten Lebenspartner_in adoptiert werden. So richtig die Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften auch ist, ist sie doch nur für genau eine Konstellation eine Gleichstellung: Dem homosexuellen Abziehbild der heteronormativen Ehe. Das sollte jedem_r Emanzipator_in Angst und Schrecken einjagen.

Wir sagen: Der Staat muss sich aus diesen Angelegenheiten heraushalten und – wie es im Zivilrecht üblich ist – erst auf Zuruf handeln. Zur Ermittlung des Kindeswohls kann die biologische Elternschaft ein Kriterium darstellen, darf aber nicht das Entscheidungskriterium per se sein.

Eine Diskussion um emanzipatorische Familienpolitik muss vor allem die Frage beantworten, wie Erwachsene mit oder ohne Kinder abgesichert miteinander leben können, ohne dabei in das Korsett der heteronormativen Zweierbeziehung gezwängt zu werden. Diese Diskussion darf die patriarchalen Verhältnisse, in denen wir leben, nicht außer Acht lassen. Denn hier werden wir mit Dilemmata kämpfen müssen: Ist eine rechtliche Besserstellung der biologischen Mutter unter patriarchalen Bedingungen gerechtfertigt? Soll Nadine also die Möglichkeit haben, Matheo Jule vorzuenthalten? Und wie halten wir es mit der Einklagbarkeit von Elternschaft? Was passiert, wenn Samira nicht mehr mit den anderen gemeinsam für das Kind sorgen möchte und einen exklusiven Samira-Tag einfordert? Wir wissen es nicht. Antworten auf diese Fragen sind willkommen, denn die bundesrepublikanische Familienpolitik hat sie bitter nötig.

Danny Butter und Lena Kreck lieben ihre Kinder, Partner_innen, Katzen und Hunde. Soll heißen: Ihre Familien sind punkrock und wunderbar normal, nämlich Orte voll Geborgenheit und Zuversicht. Was will man mehr?!