Queeres Beziehungsrecht fragt nicht nach Geschlecht

Interview mit Christian Schenk über „Homo-Ehe“ und Wahlverwandtschaft

Christian Schenk

prager frühling: Als damalige lesben- und schwulenpolitischer SprecherIn der PDS im Bundestag hast du gegen die Einführung der sogenannten „Homo-Ehe“ von Rot-Grün gestimmt. Würdest du, rückblickend, noch einmal so entscheiden?

Christian Schenk: Absolut! Dafür gab es drei zentrale Gründe. Die Eingetragene Lebenspartnerschaft brachte damals lediglich mehr Pflichten, aber kaum einen Zuwachs an Rechten. Und finanzielle Vergünstigungen schon gar nicht. Wenn schon ein Rechtsinstitut für eheähnlich lebende lesbische und schwule Paare, dann bitte auch mit gleichen Rechten und Pflichten wie für heterosexuelle Paare. Allerdings sind identitätspolitische Ansätze, die zu Sondergesetzen für bestimmte Gruppen führen, immer problematisch, weil sie von außen her festlegen, wer profitieren darf und wer nicht. Dabei wird nicht berücksichtigt, wer unabhängig von der zugeschriebenen Identität die Regelungen braucht. Der für mich wichtigste Grund war jedoch, dass mit Ehe und Eingetragener Lebensgemeinschaft weiterhin alle Verantwortungsgemeinschaften ausgegrenzt und rechtlos bleiben, an denen mehr als zwei Menschen beteiligt sind, sowie auch diejenigen, die ihre Beziehung von vornherein nicht als Sexualgemeinschaft gestalten. Einer Fortsetzung dieser Ausgrenzung konnte ich unmöglich zustimmen.

pf: Inzwischen verlangt das Bundesverfassungsgericht die Gleichstellung der Homo-Ehe bei der Adoption. Selbst auf dem CDU-Parteitag wird darüber diskutiert, das Ehegattensplitting auch der „Homo-Ehe“ zukommen zu lassen. War die Homo-Ehe nicht ein gesellschaftlich erfolgreiches Projekt?

Schenk: Wenn man in der Logik der Privilegierung von Zweierbeziehungen bleibt, dann durchaus. Das aber ist genau das Problem. Es ist längst an der Zeit für erste Schritte hin zur rechtlichen Anerkennung der real-existierenden Vielfalt an Verantwortungsgemeinschaften.

pf: Du hattest Dich während Deiner Zeit im Bundestag für das Konzept „Wahlverwandschaften“ ausgesprochen. Was bedeutet das?

Schenk: Wahlverwandtschaft bedeutet, dass jeder Mensch selbst darüber entscheiden kann, wer zu seinen Liebsten und Nächsten zählt, unabhängig von biologischen Verwandtschaftsbeziehungen. Natürlich setzt das ein Einverständnis von beiden Seiten voraus. Wer wem gegenüber Rechte und Pflichten hat, wird unter den Wahlverwandten verbindlich verabredet. Es gäbe nicht mehr nur die Paketlösung Ehe und Eingetragene Lebensgemeinschaft, sondern ein bedürfnisgerecht gestaltbares Geflecht von Rechten und Pflichten. Überkommene Privilegien, die nicht mehr legitimierbar sind, wie etwa das Ehegattensplitting, sollten selbstverständlich abgeschafft werden.

pf: Wer wären BündnispartnerInnen für eine solche Idee?

Schenk: Alle, die Partnerschaftsmodelle jenseits von Paarbeziehungen leben, Paare, die mit den Grenzen der derzeitigen Modelle unzufrieden sind. Aber auch jene, die mit denen, die neue Wege gehen, solidarisch sind. Bislang gibt es jedoch keinen Kristallisationspunkt für einen solchen Ansatz. Die „kritische Masse“ für solche Forderungen ist offenbar noch nicht erreicht. Leider ist in Zeiten der allgemeinen Verunsicherung eher ein Revival konservativer Lebensmodelle zu beobachten.

pf: Ist mit dem Hype um die Homo-Ehe das Ende der queerpolitischen Fahnenstange erreicht oder welche queeren Forderungen und Themen gehören nach Deiner Meinung jetzt auf die Tagesordnung?

Schenk: Queeres Beziehungsrecht würde nicht nach Geschlecht und Identität der Beteiligten fragen. Identitätszuschreibungen spielten keine Rolle und folglich gäbe es auch keine Unterscheidungen zwischen hetero-, homo-, bi- oder asexuellen Orientierungen. Paarbeziehungen würden nicht höher bewertet als alle übrigen Verantwortungsgemeinschaften. Das Wahlverwandtschaftskonzept ist offen für alle Beziehungsformen - queere und nicht-queere. Die freie Wahl von Vornamen und Geschlechtszugehörigkeit, die besonders für Trans*- und Inter*-Menschen wichtig ist, wäre eine weitere Baustelle für queere Politik.

pf: Du selbst bist ja trotz der Kritik am Lebenspartnerschaftsgesetz eine Lebenspartnerschaft eingegangen und hast später versucht, sie in eine Ehe umzuwandeln. Warum?

Schenk: Als Privatperson bewege ich mich im Rahmen geltender Gesetze, das schließt auch ein, legale finanzielle Vorteile in Anspruch zu nehmen. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass ich diese Gesetze gut finde, das Ehegattensplitting ebenso wenig wie beispielsweise die Eigenheimförderung. Der andere Grund für die Verpartnerung waren Rechte, zu denen man ohne Ehe oder Eingetragene Lebenspartnerschaft nicht oder nur schwer Zugang bekommt wie z.B. Auskunftsansprüche im Krankenhaus. Die Eheschließung war meiner Lebensgefährtin und mir auch deshalb wichtig, weil eine Lebenspartnerschaft bei einem offensichtlich heterosexuellen Paar immer erklärungsbedürftig geblieben wäre. Wann und wem gegenüber ich von meiner transsexuellen Vorgeschichte erzähle, möchte ich jedoch selbst entscheiden können. Das Recht auf Eheschließung mussten wir allerdings erst vor Gericht durchsetzen, weil die Behörden verlangten, dass wir die Lebenspartnerschaft zuvor auflösen. Das aber geht laut Gesetz nur bei Zerrüttung der Beziehung. Davon konnte nun aber bei uns so gar keine Rede sein und außerdem wäre es doch absurd gewesen, wenn wir uns erst wegen Zerrüttung der Beziehung entpartnern und am nächsten Tag die Ehe schließen. Das Gericht hat uns schließlich recht gegeben.

Christian Schenk war von 1990 bis 2002 Bundestagsabgeordnete. Unter anderem als familien- sowie lesben- und frauenpolitische Sprecherin der PDS. Seit 2002 begann für sie das Coming-out als Transmann. Er beschäftigt sich mit Diversitypolitik und Geschlechterforschung. Das Interview führte Caren Lay.