Zwei von Millionen

Bille kämpft in Griechenland gegen Goldgräber

Georgios und ich sind eine griechisch-deutsche Lebensgemeinschaft. Wir haben uns gefunden weil für für ähnliche politische Ziele kämpften. Vor zwei Jahren war das. Es war die Zeit, in der die Spanier ihre ersten großen Demonstrationen und Besetzungen abhielten. Im damaligen Irc-channel #greekrevolution vernetzten sich Georgios und ich für Protest und Informationsaustausch. Es ging um länderübergreifende Planungen. Doch dann vernetzten sich auch unsere Herzen. Wir liefen gemeinsam den Marsch nach Brüssel, den ich mit organisiert hatte. Wir erlebten die 15-O-Bewegung, (1) die immer mehr Städte Europas ergriff, den Marsch von Patras nach Athen und wenn wir nicht zusammen waren, wieder in „unseren“ Ländern, dann telefonierten wir. Etwa als Georgios sich nach Tagen der Angst von den Demos auf Syntaga meldete. Er berichtete mit von der brutalen Gewalt, mit der die Polizei gegen die Demonstranten vorging. Er hatte große Mühe zu sprechen. Das lag an dem eingesetzten Tränengas.

Vor einem Jahr verließ ich Deutschland mit zwei Koffern. Ich hatte nichts zu verlieren. Zwei Jahre war ich bereits arbeitslos. 46 Jahre bin ich alt. Ausgerechnet nach Griechenland ging ich. Ausgerechnet zu dieser Zeit. Hier steigt die Arbeitslosigkeit beständig. Die Armut auch. Es gibt wieder Griechen, die hungern. Hunderttausende haben ihr Obdach verloren. Eine Krankenversicherung ist zum Luxusgut geworden.

Wir haben ein Obdach. Wir leben in Georgios Haus im Norden in Halkidiki auf dem Land, nahe am Meer. Die Gegend ist atemberaubend schön. Das liegt an dem Blau des Himmels, dem Duft des Landes und den Geräuschen der Natur. Wir sind beide arbeitslos. Wir sind zwei unter Millionen. Im Garten bauen wir Gemüse an. Es deckt einen Teil unseres Ernährungsbedarfs. Anderes erarbeiten wir uns im Tauschhandel. Zuletzt haben wir eine Wohnung gestrichen und dafür haltbare Lebensmittel erhalten. Auf ähnlichem Weg kommen wir an Hygieneartikel. Seit dem letzten Winter weiß ich, wie sich frieren anfühlt. Im Haus gibt es keine Heizung, sondern nur einen offenen Kamin im Wohnzimmer. Geld für Holz hatten wir keines. Also gingen wir jeden Tag zu Fuß in den Wald und sammelten Holz, sofern das Wetter dies zu ließ. Trotzdem: Ich möchte kein anderes Leben mehr führen. Ich bin freier als ich es jemals zuvor in meinem Leben gewesen bin!

Georgios ist Mitgründer einer Motorradgruppe, die in Athen und in Thessaloniki aktiv ist. Unsere Gruppe ist parteiunabhängig. Wir begleiteten Demos. Wir fahren im Schritttempo vor den Demonstranten zu ihrem Schutz und dienen auch als Puffer zwischen Polizei und Demonstranten. Wir sammeln Medikamente für soziale Krankenhäuser und für Ärzte ohne Grenzen.Wir arbeiten eng mit der parteiunabhängigen Athener Gruppe „Wir bezahlen nicht für eure Krise“ zusammen. Die Bewegung hatte sich 2009 gegründet, sich seitdem ausgebaut und stark strukturiert. Gemeinsam unterstützen wir den Kampf gegen „Eldorado Gold“ und die Regierung, den die Bevölkerung in Halkidki führt.

„Eldorado Gold“ ist eine kanadische Firma, die in Halkdiki die Schürfrechte erworben hat. Sollte die Goldförderung, so wie geplant, ausgeführt werden, fällt uralter, unter Naturschutz stehender Wald dem Abbau zum Opfer; wird das Grundwasser sowie die Erde durch die eingesetzten Chemikalien verseucht, das Meer zerstört, die Strände vergiftet. Die Menschen der Region wollen aber nicht in einer Mondlandschaft leben. Ihr Widerstand gegen den Goldabbau ist in der Gegend ein gewachsener, schon seit 10 Jahren bestehender Protest, der landesweit Unterstützung findet. Die Menschen in Halkidiki leben überwiegend von der Fischerei, der Landwirtschaft, der Imkerei und vom Tourismus. Der Reichtum im Leben dieser Menschen ist das Land selbst, mit seinen Wäldern, den Quellen, dem fruchtbaren Boden und dem Meer. Seit einem Jahrzehnt haben die Bewohner der Gegend ihr Land durch organisierten Widerstand geschützt. Doch in den letzten Monaten hat sich viel geändert. Die Staatsgewalt unternimmt nun alles, vieles davon grob rechtswidrig, um den traditionsreichen Protest doch noch ersticken zu können.

Es gibt unrechtmäßigen Verhaftungen – auch nachts – ohne einen Tatverdacht und ins Blaue hinein. Fingerabdrücke und DNA werden unerlaubt genommen. Menschen werden über mehrere Tage auf Polizeistationen festgehalten ohne Kontaktmöglichkeiten zu Angehörigen oder einem Anwalt. Unter den Schikanierten sind alte Menschen und selbst Behinderte. Es gibt brutale Hausdurchsuchungen mit Einsatz von Tränengas. Kinder werden aus dem Schulunterricht heraus verhaftet. Bei einem Fall hatten sich Lehrer und Schüler gemeinsam im Schulgebäude zu ihrem Schutz verbarrikadiert – und auch da flogen die Gasgranaten.

Es ist ein kleiner Krieg der Staatsmacht gegen die Bevölkerung zur Durchsetzung der Profitinteressen eines einzigen Unternehmens. Doch die Bevölkerung schlägt nun zurück.

In Ierissos stürmte sie das Polizeirevier und verbrannte das Inventar auf der Straße. Seither ist das Polizeirevier geschlossen und Ierissos ein Dorf ohne Handlanger des Staates. Straßenbarrikaden wurden auf sämtlichen Zufahrtsstraßen errichtet, mal wurden große Erdhügel aufgekippt, an anderer Stelle LKW-Reifen positioniert mit der Möglichkeit, diese auch in Brand zu stecken. Minister Dendias erklärte öffentlich, dass die Regierung nicht zuschauen werde, wie sich Ierissos zu einem gallischen Dorf entwickelt. Nun wissen die Leute dort, wie sie sich selbst nennen wollen und sie gebrauchen ihren neuen Namen mit einem Lächeln auf den Lippen.

Und wer sind sie? Sind sie die Roten? Sind sie die Grünen? Nichts passt und das ist gut so. Manche halten sich für konservativ und ihre Freunde nennen sich Anarchisten. Vater Christodoulos zum Beispiel ist Priester. Den Widerstand gegen die Goldminen hat er von Anfang mit unterstützt. Tausende Demonstranten ziehen durch die Straßen Thessalonikis und er steht da auf einem Dach. Alt, weißbärtig und wunderbar. Er schwenkt die Robe und hebt die Faust. Seine Predigten handeln nicht vom Himmelreich. Sie handeln von der Pflicht zur Gerechtigkeit. Und auf den Straßen bricht der Jubel aus, als sie ihn auf dem Dach sehen. Sie feiern einen Sieg, den sie schon für sicher halten. Das liegt an ihm.

Während ich die letzten beiden Tage damit verbringe, ein Teil des Gartens für Kartoffeln umzugraben, denke ich viel nach. Ich schaue auf die Erde an meinen Fingern und sehe auf das uralte Land um mich. Was es erlebt hat. Es war lange da bevor der Kapitalismus kam. Es wird da sein, wenn er überwunden sein wird. In der Zwischenzeit muss man dieses Land beschützen. Damit es dann immer noch so schön sein wird.

Bille ist Aktivistin. Sie verließ vor einem Jahr Deutschland mit zwei Koffern. Mehr Information hier http://bit.ly/165Kk3T[1] und http://bit.ly/100sta2.

Fußnote:

1) 15-O (15. Oktober 2011) war ein Teil der durch den arabischen Frühling inspirierten globalen Proteste. Dazu zählt die isländische Revolution, der Protest der portugiesischen „Geração à Rasca“, der spanischen und der griechischen „Empörten“. In 82 Ländern und 950 Städten gab es damals Demonstrationen.

Links:

  1. http://bit.ly/165Kk3T