Hoffnung im geistigen Permafrost

Uwe Schaarschmidt lauscht der jungen Generation

Uwe Schaarschmidt

Vor einigen Jahren erlitt der Frontman der britischen Rockband Jethro Tull, Ian Anderson, während einer Flugreise eine Thrombose der tieferen Beinvenen, welche ihn fast umgebracht hätte. Seither wirbt er auf seiner Website und in anderen Öffentlichkeiten für das Tragen von Stützstrümpfen auf Langstreckenflügen. Die französische Schauspielerin Brigitte Bardot, Objekt der Begierde einer ganzen männlichen Generation, nervt seit ihrem kinematographischen Ableben mit einem extremen Tierschutzfimmel und macht Wahlkampf für den Front National. Für das polnische Parlament wünscht sich der ehemalige Elektriker, heutige Berufsnobelpreisträger und Cheflaudator neoliberaler Feierstunden, Lech Wałęsa, eine Separierung der schwulen Abgeordneten vom Rest des Plenums. Ist es also das, was überlebt hat, aus den rebellischen 1960ern und 70ern? Ein malader Rockstar, der Werbung für Stützstrümpfe macht, ein verblühtes Sexsternchen, das aus körperlichen Gründen nunmehr rein seelisch für die französischen Faschisten strippt und ein Altgewerkschafter, dem der Weihrauch das aus dem Kopf gefressen hat, was der Selbstgebrannte noch übrig ließ? Was macht die Jugend, der man den Hang zur Rebellion seit Generationen andichtet, heute so?

Uwe Schaarschmidt

Wenn man deutschen Gazetten und Kanälen glauben will, teilt sich die Jugend in Sorte A und Sorte B. Sorte A ist entweder dick oder aber dünn — in jedem Falle aber blass. Jugendliche dieser Sorte beteiligen sich an „Jugend forscht“, wo sie Lesebrillen entwickeln, mit denen man nicht nur lesen, sondern auch Zeltheringe in den Permafrostboden schlagen kann. Der Jugendliche der Sorte B ist immer dünn, missbraucht Crystal Meth, wodurch sich seine Gesichtshaut bereits ablöst und ersticht von früh bis spät Männer, Frauen und auch Kinder.

Dazwischen gibt es nichts. Sagen Gazetten und Kanäle. Aber das ist natürlich gelogen, wie so vieles, was die sagen. Ich selbst habe die Jugend kürzlich ganz anders erlebt, bei einer nächtlichen Fahrt mit der spärlich besetzten Straßenbahn. Zwei sichtlich besoffene junge Männer stiegen zu und ich dachte mir: „Um Himmels Willen — gleich wirst du provoziert und totgetreten!“ Aber nichts dergleichen. Nur ein Gespräch, das die Beiden offensichtlich schon draußen begonnen hatten, wurde emsig fortgelallt:

„Blau kommt ja in der Natur faktisch so gut wie gar nicht vor.“ – „Na ja, am Himmel aber schon!“ – „Ja, das stimmt! Der Himmel ist blau. Aber gehört der Himmel eigentlich zur Natur?“ – „Gute Frage. Da wächst ja nix!“ – „Nee, wachsen tut da nix. Und wenn Wolken sind, ist auch kein Himmel!“ – „Stimmt. Dann gibt's kaum Blau. Höchstens paar Blumen.“ – „Kennst Du blaue Blumen?“ – „Edelweiß!“ – „Hä?“ – „Edelweiß!“ – „Du meinst Enzian!“ – „Ja, Enzian, genau! Den mein ich. Enzian!“ – „Als Kind habe ich die Wolken immer blau gemalt!“ – „Haha, ich auch!“ – „Haha! Komisch, so lange kennen wir uns ja noch gar nicht!“ – „Nee.“ – „Hast Du eigentlich noch ein Bier dabei?“ – „Zwei sogar. Soll ich aufmachen?“ – „Klar, wird bloß schlecht sonst.“ – „Haha,genau! Wird bloß schlecht sonst. Prost!“

Es gibt also noch Hoffnung, wie dieser so friedlich-bierselige, naturwissenschaftliche Dialog zeigt. Und außerdem gibt es ja noch „Occupy“ und den Wobbly Tom Morello, der tapfer gegen die Arroganz der Macht anklampft. Nichts ist verloren!

Uwe Schaarschmidt war auch mal jung. Doch Frösi war gestern, heute schreibt er für prager frühling über die wirklich wichtigen Dinge und nur über sie.