22.05.2008

Wir brauchen eine neue Kultur der politischen Arbeit innerhalb der Linken

Rede beim Release-Event am 16. Mai 2008

Gerd Siebecke
Gerd Siebecke, VSA: Verlag, am 16. Mai 2008 im Grünen Salon der Berliner Volksbühne.

Grußwort von Gerd Siebecke für den VSA: Verlag, Hamburg[1], auf der Release-Party anlässlich des Erscheinens der ersten Ausgabe des "prager frühling" am 16.05.2008 im Grünen Salon der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin.

Liebe FreundInnen des Prager Frühling, liebe Redakteurinnen und Redakteure,

der VSA: Verlag ist gebeten worden, auf dieser Release-Party ein Grußwort zu sprechen. Grußwort sagte uns was, der Begriff Release-Event allerdings warf Fragen auf. Wir haben lange überlegt, was wohl gemeint sein könnte. Eine zaghafte Rückfrage schuf Klarheit: es handelt sich um so etwas wie eine Medien-(in diesem Fall Zeitschriften-)vorstellung und wir sollten in wenigen Worten darlegen, warum wir als Verlag dieses Projekt gemeinsam mit den HerausgeberInnen und der Redaktion realisieren. Und das alles bitte nicht so bitter ernst, wie uns das wohl sonst unterstellt wird, sondern ein bisschen locker flockig, zwischen Tango und Tanz auf der Geburtstagsparty. Ob mir das gelingen wird, bleibt abzuwarten.

Der Gruß zuerst: Ein herzliches Willkommen des "prager frühlings" in unserem Verlag. Wir freuen uns auf die Fortführung der schon bisher ausgesprochen angenehmen Zusammenarbeit und wünschen uns mit euch gemeinsam, dass das Projekt politisch Wirkung zeigt und auch ökonomisch ein Erfolg wird.

Zu einer neuen Zeitschrift gehört logischerweise ein Verlag. Warum engagieren wir uns für dieses Projekt? Als Katja mich zum ersten Mal fragte, ob wir uns vorstellen könnten, das Projekt "prager frühling" mit einer vom Verlag unabhängigen Redaktion mitzutragen, habe ich sinngemäß geantwortet: "Im Prinzip ja, aber das muss vom gesamten Team entschieden werden." Denn, was viele nicht wissen: VSA ist ein selbstverwaltetes Unternehmen, früher sagte man "Kollektiv", heute wohl eher ein frühes Projekt der "Solidarischen Ökonomie" – mit allen Vor- und Nachteilen, vor allem ohne bzw. mit acht ChefInnen. Alle wichtigen Entscheidungen werden von derzeit zwei Frauen und sechs Männern (wir arbeiten an der Quote, sie war schon schlechter) gemeinsam getroffen. Im Hamburger Bahnhofsviertel St. Georg entstehen Bücher und bisher eine Monatszeitschrift mit dem Namen "Sozialismus", deren Redaktion ebenfalls unabhängig ist und in der viele von uns mitarbeiten. Jetzt sind es also zwei Zeitschriften und damit ist klar, wie die Entscheidung ausgefallen ist.

Warum sie so gefallen ist, hängt mit dem Selbstverständnis des Verlages zusammen. Seit inzwischen mehr als 35 Jahren bemühen wir uns, linke Themen zur Diskussion zu stellen und so zu Aufklärung und Selbstverständigung der emanzipatorischen Kräfte beizutragen. Dabei war es uns von Beginn an wichtig, das nicht verengt auf eine Strömung zu begreifen, sondern ein pluralistisches und kontroverses Projekt mit unterschiedlichsten Positionen aufzubauen.

Dieses Selbstverständnis war und ist nicht unumstritten: Dafür dass wir Bücher von Louis Althusser wie "Krise des Marxismus?" zu einem Zeitpunkt veröffentlicht haben, als der Marxismus-Leninismus sich noch ganz krisenfrei wähnte, haben wir nicht nur Anerkennung bekommen. Und auch die Publikation von Texten aus Italien und Spanien zur "Eurokommunismus-Debatte" der 1980er Jahre hat uns eher Prügel denn Anerkennung eingebracht. Wir würden damit "Verwirrung in die Köpfe" bringen, war ein nicht selten gehörter Vorwurf. Auch Aktenvermerke der zuständigen Behörden in beiden deutschen Staaten waren eine Folge.

Aufklärung und eine breite Diskussion möglich machen zu wollen, heißt zwar nun wirklich nicht, Verwirrung zu stiften, aber bestehende Unklarheiten aufzugreifen, unterschiedlichste Sichtweisen und Positionen miteinander ins Gespräch zu bringen, das darf und muss schon sein. Ökonomisch war das immer eine Gratwanderung, hart an der Kante, gelegentliche Abstürze eingeschlossen.

Nicht, dass wir aus denen nichts gelernt hätten, mit der Aufzählung bitterer Niederlagen und "im Prinzip richtiger" Fehlentscheidungen ließe sich ein gesamter Abend gestalten. Dass wir an dem Konzept eines linken pluralistischen Projekts - sowohl was die Themen als auch die Positionen betrifft - festgehalten haben, gehört unseres Erachtens nicht zu den Fehlern. Deshalb prägt es noch immer das Verlagsprogramm.

Ich kann dieses hier nicht komplett vorstellen, da mögt Ihr, da mögen Sie bitte selbst nachblättern. Aber ich kann sagen, dass die vorgestellte Orientierung für alle Verlagsbereiche gilt – von den mehr theoretisch orientierten Ausarbeitungen über die Texte, die wir in Kooperation mit den Gewerkschaften erarbeiten bis hin zu den Versuchen der "politischen Alphabetisierung", die in Zusammenarbeit mit Attac und anderen sozialen Bewegungen erscheinen (inzwischen sind 25 AttacBasisTexte entstanden, ein "ABC der Globalisierung", eins zum Neoliberalismus und zuletzt eins mit immerhin 126 Alternativen).

VSA war also schon immer und ist bis heute ein linkes Projekt. Auch die Herausbildung der neuen Partei begleiten wir publizistisch. Zudem engagieren sich viele von uns in ihr persönlich. Aber VSA ist kein Projekt der Partei DIE LINKE, sondern breiter angelegt und parteipolitisch unabhängig.

In dieses Selbstverständnis passt der "prager frühling". "Jede Wahrheit ist gezwungen, den radikalen Widerspruch aktiv auszuhalten, und jede Selbstverständlichkeit die radikale Kritik", schreiben die RedakteurInnen im Editorial der ersten Ausgabe. Das war von Beginn an auch unsere Orientierung. Eine detaillierte Heftkritik hat ja bereits begonnen, und wird sicherlich noch weitergeführt. Von mir nur soviel: der Serie "Sex and the City" was progressives abzugewinnen, fällt mir ziemlich schwer; aber das wird vermutlich anderen ähnlich gehen, wenn ich im Fußballstadion am Millerntor dem FC St. Pauli huldige. Wichtiger ist mir eine andere Anregung: Ich hätte mir gewünscht, dass auch die Redaktion ihre Gretchenfrage "Wie hältst du es mit dem Prager Frühling?" selbst beantwortet. Denn aus dem real existierenden Prager Frühling kann aus meiner Sicht vor allem gelernt werden, dass eine Gestaltung der Ökonomie und der Gesellschaft nach dem Muster der ehemals sozialistischen Ländern nicht funktioniert und auch die Rückkehr zum Kapitalismus keine emanzipatorische Perspektiven bietet. Die Frage nach einem "Dritten Weg" ist also noch zu beantworten. Aber gut, Kritik habe ich auch an manchem von uns verlegten Buch oder an in der Zeitschrift Sozialismus veröffentlichten Beiträgen.

Das ist also nicht der Punkt. Der Punkt ist – und hier stimmen wir überein: Wir brauchen eine neue Kultur der politischen Arbeit innerhalb der Linken, auch innerhalb der neuen Partei. Das heißt vor allem Akzeptieren von kontroversen Positionen und insbesondere des Versuchs, diese miteinander ins Gespräch zu bringen. Die Parole der Zapatisten "Fragend schreiten wir voran" bedeutet eben auch: Voranschreiten, ausprobieren, auch im politischen Feld etwas Neues wagen. Deshalb machen wir beim "prager frühling" mit.

Und weil nicht nur AnhängerInnen der Parole von der "Verwirrung der Köpfe" noch immer unterwegs sind, sondern auch "Kreml-Astrologen", die das Auftauchen bzw. Nichtauftauchen von Reizworten und Personen schon für einen politischen Akt halten, sei denen in die Feder diktiert: Diese Haltung wird vom gesamten VSA-Team geteilt. Zu dem gehört auch Joachim Bischoff, der nur deshalb heute abend nicht hier ist, weil er morgen vormittag als gewählter Abgeordneter der Hamburgischen Bürgerschaft auf einem Landesparteitag der LINKEN der Basis Rede und Antwort stehen will.

Unabhängige Verlage wie VSA leben vom Engagement ihrer AutorInnen, von SpenderInnen, aber vor allem davon, dass ihre Produkte gekauft werden. Insofern liegt es letztendlich an Ihnen und an Euch, dass solche Projekte weitergeführt werden können. Kauft und lest VSA-Bücher, und zeichnet schnellstmöglichst ein Förderabonnement des "prager frühling"!

Zum Autor:

Gerd Siebecke ist in der Geschäftsführung, im Lektorat und in der Herstellung beim Hamburger VSA: Verlag tätig, dort seit der Gründung 1972 dabei.

Links:

  1. http://www.vsa-verlag.de/