Land oder Leben

Der Kampf gegen Land Grabbing in Argentinien

Mark Wagner

Monte Grande ist ein Stadtteil von Buenos Aires. In seinem südlichen Rücken liegt die Stadt mit ihren dreizehn Millionen Menschen. Vor seinen nördlichen Türen liegt das offene Land. Der Asphalt endet und geht in sandige Feldwege über. Der Smog verflüchtigt sich über grünen Weiden. Hier steht eine Fleischfabrik. Im Büro des Direktors hängen Che Guevara und Marx an der Wand. Der Ledersessel des Chefs glänzt schwarz, ist beinahe unbenutzt. Der Alte sagt, er sitze nicht so gern darin. Eine Fabrik leite man, in dem man in Bewegung bleibt, mit den Leuten im Werk die Probleme löst. Heute wird in der Fabrik gefeiert. Es gibt Fleisch vom Grill. Das hat es früher auch gegeben. Doch da wurde an getrennten Tischen gespeist. Die guten Stücke kamen auf den Tisch des nordamerikanischen Eigentümers und seiner leitenden Angestellten. Die Schlachterinnen und Schlachter bekamen den Abfall ihrer eigenen Arbeit. Dann sanken die Fleischpreise im Land. Der Eigentümer verlor das Interesse an der Fabrik und die Arbeiterinnen und Arbeiter kauften sie. Die Campesinos des Nordens hätten sie inspiriert, sagt der Direktor. Im Buschland hätten sie bewiesen, dass das Eigentum bei denen liegen müsse, die es auch nutzen. Was für Viehweiden und Felder gelte, das sei auch für Fabriken richtig.

Der Grill ist riesig. Für alle gibt es dieselben Stücke. Der aufkommende Wind treibt Stürme aus Funken über den Festplatz. Einer ist dort, der spricht Deutsch. Das Bier sei in Ordnung. Eigentlich trinke er aber lieber Wein. Er ist Franzose, ein Biologe. In Argentinien untersucht er die Folgen des Sojaanbaus. Wir beschließen zu den nahen Äckern zu laufen. Ein Arbeiter tippt sich an die Stirn. Das seien über zehn Kilometer. Er fährt uns in seinem Auto. Vor den Toren der Fabrik stehen viele Autos. Die Löhne der sozialistisch Beschäftigten sind alle gleich und sie sind hoch.

Es ist verboten die Felder zu betreten. Wir laufen trotzdem weit hinein. Der französische Biologe achtet nicht auf seine Füße. Es ist ihm recht, die Pflanzen zu zertreten. Eine Gruppe von freilaufenden Pferden folgt uns mit tiefen Hälsen ein Stück über den Acker. Sie schnüffeln erfolglos den Boden ab. „Noch zwei Jahre gebe ich diesem Boden“, sagt der Franzose wütend, „Dann wird dieses Dreckszeug hier eine Wüste hervorbringen.“ Soja zerstört, was ihr nicht nutzt oder schadet. Die Pflanzen stehen in perfekten Reihen. Wasser und Hitze haben Trockenrisse in bedrohlicher Regelmäßigkeit in den Boden getrieben. Aus den Rissen kriechen keine Ameisen. Es gibt keine Schmetterlinge. Keine Fliegen sind zu sehen. Der Soja saugt den Boden aus und schon in seinem Saatgut stecken die Waffen gegen die heimische Flora und Fauna. Was der bearbeitete Erbcode nicht schafft, erledigen chemische Düngung und Schädlingsbekämpfung. Doch der wahre Schädling ist die Soja selbst, sagt der Biologe. „Sie ist Nährschlamm in den Futterbecken europäischer Rinder und Schweine. Es ist ein dreckiges Riesengeschäft der Wenigen auf dem Rücken der Vielen.“

Im nördlichen Buschland haben sich die Vielen zusammengeschlossen. Die indigenen Campesinos der Region Santiago del Estero betreiben eine vorsichtige extensive Landwirtschaft. Ein eigener LKW bringt die wenigen überschüssigen Waren in die Hauptstadt zum Verkauf. Auf dem Rückweg nach Norden nimmt er technische Güter, Medikamente und manchmal auch Gäste mit. Der Fahrer sagt uns, Zeit könne man in Kilometern messen. Durch die Kinofenster des Fahrerhauses verändert sich das Land. Es dauert über eintausend Kilometer, bis aus den horizontbreiten Sojafeldern kleine Äcker werden und aus denen schließlich schrumpfende Fleckchen im Buschland. Es ist ein Land, das lange Zeit als wertlos galt. Nun ist es hart umkämpft. Genmodifiziertes Saatgut und neuer chemischer Dünger machen den Sojaanbau auch im Norden ertragreich. Unternehmen wie Monsanto zahlten Spitzenpreise für die Zerstörung des Bodens. Die Verkäufer und Verpächter des Landes sind keine Campesinos. Sie sind die europäisch stämmigen Erben von Erben von Erben der alten Großgrundbesitzer. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gaben die das Land auf und zogen in die Städte. Zurück blieb die indigene Urbevölkerung, die den Boden erneut in Besitz nahm.

Im Buschland gibt man uns Fleisch und Brot und Früchte. Das Wasser für die Haut und den Magen stammt aus Brunnen. Die Hütten sind aus Lehm. Das Bad ist der Platz vor der Hütte. Das Leben ist einfach. Aber es steht nicht still. Als die Sojakonzerne vor zehn Jahren näher rückten, zogen die indigenen Campesinos eine dialektische Schlussfolgerung. Wenn es Technik war, die sie bedrohte, würden sie mit Technik antworten. Sie errichteten fünf Radiostationen, um die Kommunikationshoheit zu erobern. Die Radios klären über Landrechte auf und sie koordinierten den Abwehrkampf gegen das Land Grabbing. Wird nun Jemandem Land gestohlen, erscheinen bald darauf viele, um die neu errichteten Zäune niederzureißen. Wird Jemand bedroht, sammeln sich Hunderte und weisen die Bedrohung ab. Die Radios sind untereinander vernetzt und erhalten ihre Informationen von der Bevölkerung per SMS. Solarzellen laden die Akkus der Funktelefone. In Ojo de Agua stehen die ersten Gebäude einer eigenen Universität der Campesinos. In Quimili hat die Agrarschule der Bewegung schon lange den Unterricht aufgenommen. Man lehrt dort die nächste Generation, was im Buschland eine Wahrheit ist. Man erklärt sie auch uns. Es ist Nacht. Die Glühwürmchen funkeln. Der Mate kreist. „Das Landeigentum erkennt man nicht an seinem juristischen Papier. Man erkennt es einzig und allein an dem Leben, das ihm ein Mensch lässt oder schenkt.“

Nicht nur die Zeit lässt sich in Kilometern messen. Auch die Verzweiflung. Am Stadtrand von Buenos Aires steht nicht nur eine sozialistische Fleischfabrik. Nicht weit von Monte Grande in Esteban Echevarria säumen zwei kapitalistische Fabriken die Hauptverkehrsstraße. Die eine verarbeitet Fischabfälle zu Tierfutter. Die zweite ist eine Recyclingfabrik und brennt seit drei Uhr morgens. Es ist Mittag. Leichengestank und beißender Rauch mischen sich und ziehen als graue Wolke über den anliegenden Slum. Die Frau mit dem grün-roten T-Shirt der Campesinos kennt sich aus zwischen den brüchigen Hütten neben den Wegen ohne Schatten. „Die meisten Leute hier sind nicht aus dem Buschland. Sie kommen aus Bolivien. Wir sagen ihn, sie sollen unbedingt auf ihrem Land bleiben. Wir sagen ihnen, dass sie es verteidigen müssen. Dass sie es nicht nur für sich selbst verteidigen. Aber sie schaffen das nicht immer.“

Mark Wagner ist Mitglied der Prager Frühling Redaktion. Mit der Regisseurin Viviana Uriona reiste er als Kameramann vier Wochen durch Argentinien und sammelte Aufnahmen für „Espejo“, den neuesten Dokumentarfilm der Kameradistinnen. Mehr Bilder und Geschichten: www.kameradist-wagner.de[1].

Links:

  1. http://www.kameradist-wagner.de/