Du hast dich unterzuordnen!

Ein Gespräch über Arbeitsverhältnisse in der Gastronomie

Thomas Lohmeier

prager frühling: Herr Riesner, ich bin auf der Suche nach Köchen in der Spitzengastronomie, um mit ihnen über deren Arbeitsverhältnisse zu sprechen. Können Sie mir helfen?

Sebastian Riesner: Nein. Ich habe viele ähnliche Anfragen von Journalisten. Aber die Kollegen sind dazu, selbst unter dem Schutz der Anonymität, nicht bereit. Ihre Angst ist zu groß.

pf: Sind denn selbst in der Spitzengastronomie die Arbeitsbedingungen so schlecht?

Riesner: Der Porsche vor der Tür ist selbst bei Spitzenköchen die Ausnahme. Die verdienen zwar bis zu dreieinhalbtausend Euro im Monat – allerdings leisten sie dafür Teildienst. Das heißt: 16-Stunden-Tage mit einer Unterbrechung in der Mittagszeit von vier Stunden. Hinzu kommt die Arbeit am Wochenende. Betrachtet man die Arbeitszeit, wird schnell klar, dass selbst Spitzenköche in angesehenen Restaurants keinen Spitzenlohn erzielen. Und auch den KellnerInnen geht es nicht besser. Von ihrem Trinkgeld werden keine Sozialversicherungen abgeführt - mit den entsprechenden Konsequenzen für die Höhe ihres Krankengeldes und ihrer Rente.

Große Teller, mickrige Löhne: Alltag in der Spitzengastronomie.

pf: Das hört sich nicht gut an. Bei den Preisen, die in der Spitzengastronomie aufgerufen werden, könnte man doch denken, dass es wenigstens dort gute Entlohnung und Beschäftigungsbedingungen gibt.

Riesner: Immerhin sehen mittlerweile sogar einige Restaurantbetreiber ein, dass es so nicht weitergehen kann. Spitzenkoch Markus Buchholz, der in Gudental den Kaiserhof betreibt, ließ sich kürzlich in der Hotel- und Gaststättenzeitung mit der Bemerkung zitieren, dass die Belastung seiner Mitarbeiter zu hoch und mit einem Familienleben nicht zu vereinbaren sei. Er kündigte an, zukünftig nur noch abends zu öffnen. Bemerkenswert, wie ich finde.

pf: Aber eine Gewerkschaft kann sich sicherlich nicht nur auf die Einsicht der UnternehmerInnen verlassen …

Riesner: Natürlich nicht! Aber Sternerestaurants haben in der Regel zehn bis dreißig Beschäftigte. In vielen gastronomischen Kleinbetrieben, die ja oftmals auch Familienbetriebe sind, ist es extrem schwierig, Beschäftigte zu organisieren. Auch deshalb brauchen wir dringend einen gesetzlichen Mindestlohn. Das ist für uns eine zentrale politische Forderung, damit wir wenigstens eine Untergrenze haben, von der Menschen leben können. Denn selbst das ist nicht selbstverständlich: 15 bis 20 Prozent der Beschäftigten im Gastgewerbe sind hier in Berlin Hartz-4-Aufstocker — meistens übrigens Frauen als Teilzeitkräfte. Das zeigt, die Löhne sind so kalkuliert, dass die Beschäftigten davon nicht leben können.

pf: Gehören Unternehmen, die so mies bezahlen, nicht an den Pranger?

Riesner: Das ist leichter gesagt, als getan. Es gibt einen ungeheuren Konkurrenzdruck. Wenn sie für ein Schulessen gerade mal um die zwei Euro verlangen können, aber gleichzeitig von den Eltern erwartet wird, dass 40 Prozent der verwendeten Nahrungsmittel biologisch sind, kann das Essen nur über die Personalkosten kostendeckend hergestellt werden. Wissen sie, wir hatten hier einmal einen Unternehmer, mit dem wir einen Tarifvertrag verhandelten und der sich vor uns nackig gemacht hat und sein Buchhaltung offen legte. Es war ein trauriger Anblick. Wir müssen deshalb sicherstellen, dass nur Unternehmen öffentliche Aufträge erhalten, die tariflich entlohnen. Die rot-roten Koalitionen in Berlin und Brandenburg sind immerhin in dieser Richtung aktiv geworden. Ein erster Schritt.

pf: Es gibt in Berlin doch auch größere Betriebe. Wie sieht es denn dort aus?

Riesner: Natürlich, aber ein Estrel mit ca. 500 Beschäftigten ist die Ausnahme. Die meisten Beschäftigten dort sind bereit, die schlimmsten Arbeitsbedingungen zu ertragen, weil sie ein Zeugnis eines renommierten Hauses wollen. Sie denken: Mit diesem Zeugnis suche ich mir dann einen Job mit besseren Arbeitsbedingungen. Aber es wird in der Regel nicht besser. Diese Illusion macht die Organisierung schwierig.

pf: Für ein Zeugnis?

Riesner: Ja, für ein Zeugnis. Zeugnisse gelten noch etwas in dieser Branche. Nicht umsonst werden häufig im Hotel- und Gaststättengewerbe arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen darum geführt. Von der Eröffnung des Adlons kenne ich Fälle, dass dort nur für das Zeugnis gearbeitet wurde. Ohne Lohn - alles in der Hoffnung auf eine bessere Beschäftigung beim nächsten Job.

Auch bei der Ausbildung wird oft nur für das Zeugnis gearbeitet. Hotels lassen Jugendliche in einem unbezahlten Praktikum oder als Page arbeiten - motiviert werden sie mit dem Versprechen, anschließend einen Ausbildungsplatz zu erhalten. Dieser Teil der Generation Praktikum steht dabei noch nicht einmal so im Fokus, wie der mit Hochschulabschluss.

Übrigens: Nur 50 Prozent der Lehrlinge vollenden ihre Ausbildung als Koch. 50 Prozent von denen, die es geschafft haben, wechseln nach 5 Jahren ihren Job. Die meisten Beschäftigten im Hotel- und Gaststättengewerbe sind unter 30. Das sagt, denke ich, eine Menge über die Arbeitsbedingungen in unserer Branche.

pf: Aber im Gegensatz zur Spitzengastronomie scheint bei der Fast-Food-Industrie die Organisierung ja etwas besser zu klappen. Immerhin sah ich, als ich ihre Geschäftsstelle betrat, dass sich hier gerade Beschäftigte einer Burgerkette treffen.

Riesner: Natürlich haben wir es in größeren Betrieben einfacher, Beschäftigte zu organisieren. In Berlin ist die Gastronomiebranche der größte Arbeitgeber in der Stadt. Es gibt rund 10.500 Gastronomiebetriebe mit etwa 45.000 versicherungspflichtigen Beschäftigten und 15.000 bis 20.000 geringfügig Beschäftigten. Unser Organisationsgrad liegt bei ca. 15 Prozent. Aber sie sehen schon am Verhältnis der Betriebe zu den Beschäftigten, dass wir es hier vor allem mit Kleinbetrieben zu tun haben. Das macht die Organisierung sehr schwierig.

pf: Mit Organizing-Konzepten kommt man auch an die Menschen dort nicht heran?

Riesner: Wir versuchen es. Aber in der Branche ist das Duckmäusertum weit verbreitet. Man lernt dort als erstes: Der Wunsch des Gastes zählt, du zählst nichts. Du hast dich unterzuordnen. Das führt zu einer Kultur des nach oben Buckelns und nach unten Tretens. Mit der Sozialkompetenz vieler Führungskräfte in der Branche ist es vor diesem Hintergrund auch nicht weit her. Die Beschäftigten lernen in der Branche nicht, Konflikte vernünftig auszutragen. Die Arbeitgeber brauchen deshalb auch nicht zu befürchten, dass die Beschäftigten mit der roten Fahne vor der Tür stehen. Es gibt in unserer Branche bis auf wenige Ausnahmen keine Streiks und keine Streitkultur.

pf: Und wie sieht der Organisationsgrad der Arbeitgeber aus?

Riesner: Der Arbeitgeberverband vertritt 2.500 Betriebe. Wie hoch die Zahl der Betriebe mit Tarifbindung ist, ist unklar. In der Berliner Zeitung stand 2009 die Zahl 152, die der Arbeitgeberverband aber dementierte. Allerdings nennt er uns auch keine andere Zahl. Das heißt, die übergroße Mehrheit der Unternehmen im Arbeitgeberverband sind offenbar OT-Mitglieder „ohne Tarifbindung“. Da verkommen Tarifverhandlungen zu einem symbolischen Akt, einer Absichtserklärung ohne rechtliche Bindungswirkung. Deshalb brauchen wir übrigens dringend eine Vereinfachung, Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären.

pf: Herr Riesner, vielen Dank für diese unappetitlichen Einblick.

Mit Sebastian Riesner sprach Thomas Lohmeier beim Versuch einen Spitzenkoch für eine Reportage über deren Arbeitsbedingungen zu gewinnen.


Sebastian Riesner ist Sekretär der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in Berlin-Brandenburg. Zuvor hat er eine Ausbildung als Koch genossen und kennt die Arbeitsbedingungen in der Branche aus eigener Erfahrung.