Wein gehört dazu

Kostas Papanastasiou über die Philosophie des Essens, Griechenland und Europa

Thomas Lohmeier

pf: Ihr Leben ist durch das „Terzo Mondo“ und durch Ihre Rolle in der „Lindenstraße“ eng mit dem Schwerpunkt „Essen & Trinken“ unserer kommenden Ausgabe verknüpft. Welche Bedeutung hat dieses Thema für Sie?

Kostas Papanastasiou: Essen folgt einerseits dem Gefühl des Hungers und des Durstes, aber seit der Antike ist es auch eine Philosophie. Bei einem Glas Wein nach dem Essen soll der Geist aufleben. In der griechischen Philosophie bedeutet das Wort Symposium „zusammen trinken“. Philosophen und Denker tranken gemeinsam.

pf: Im Vergleich mit heutigen wissenschaftlichen Symposien hören sich die alten griechischen Symposien lebhafter an.

Papanastasiou: Das alte Wort Symposium hat mit dem heutigen auch nicht mehr viel gemein. Aber damals gehörte der Wein dazu. Die alten Griechen haben auch die Weinschorle entdeckt, damit der Wein seine Wirkung nicht sofort entfaltete.

pf: Sie kennen ja die deutsche und die griechische Ess- und Trinkkultur. Sehen Sie da größere Unterschiede?

Papanastasiou: In Griechenland entstehen beim Essen die interessantesten Gespräche und Diskussionen. Es ist üblich, dass man sich zum Essen einlädt, wenn man etwas zu besprechen hat. In Griechenland sitzt sonntags oft die ganze Familie beim Essen zusammen. Aber Freunde und Verwandte sind immer willkommen und es ist selbstverständlich, die Speisen mit ihnen zu teilen. In Deutschland habe ich hingegen den Eindruck, dass spontaner Besuch als Störung empfunden wird. Hier will die Familie während des Essens lieber für sich bleiben. In gewisser Weise ist die Esskultur in Deutschland daher abgeschlossener, während sich in Griechenland die Menschen freuen, wenn noch Gäste hinzukommen und dadurch andere – nicht nur familiäre – Gespräche entstehen.
Aber nicht nur in der Familie gibt es eine andere Ess- und Trinkkultur. Insbesondere auf dem Land treffen sich ältere Männer im Kafenio, einem Kaffee auf dem Dorfplatz. Dort liest einer die Zeitung und alle diskutieren. Das führt dazu, dass die politische Bildung auch der einfachen Griechen gut ist. Selbst ein einfacher älterer Grieche weiß, dass es große Demonstrationen in Deutschland gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands unter Adenauer gab. Weiß das hier noch jemand?

pf: Sie haben kürzlich in einem Interview mit der taz von der dramatischen Situation in Griechenland gesprochen. Sie erwähnten, dass Suppenküchen in Griechenland dramatischen Zulauf hätten.

Papanastasiou: Die Situation in Griechenland ist wirklich dramatisch. Die Art und Weise, wie versucht wird, in Griechenland die Krise zu lösen, hat hunderttausende griechische Familien in Armut gestützt. Viele Menschen sind von Suppenküchen abhängig. Im August habe ich an meine Freunde einen Brief geschrieben, um sie für die Lage in Griechenland zu sensibilisieren und ihnen angekündigt, dass ich am 26. August 20 Prozent der Tageseinnahmen des „Terzo Mondo“ für Griechenland spenden werde. Beim Versuch, eine Suppenküche in Griechenland aufzubauen, lernte ich die Hilfsorganisation „Ärzte der Welt“ kennen. Sie bauen in Griechenland mobile Kliniken auf. Denn nicht nur die Versorgung mit Nahrungsmittel ist problematisch, auch die medizinische Versorgung droht zusammenzubrechen. Deshalb hat das „Berliner Forum Griechenlandhilfe“, dem ich angehöre, gemeinsam mit der Hilfsorganisation „Ärzte der Welt“ eine Spendenaktion gestartet.

pf: Wie empfinden Sie es vor diesem Hintergrund, wenn deutsche Zeitungen von den „faulen Griechen“ schreiben und den Eindruck erwecken, dass die Griechen selbst Schuld an der Krise seien?

Papanastasiou: Die Medien in Deutschland tun so, als wäre der kleine griechische Nico schuld an der Krise. Leider glaubt der kleine deutsche Hans das auch noch. Diese Berichterstattung tut so, als gäbe es bessere und schlechtere Völker in Europa. Sie schürt Ressentiments. Diese Einseitigkeit ist tödlich für das gemeinsame Europa. Dabei wird völlig vergessen, wie die Griechen sich zu Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg verhalten haben. Das erste Goethe-Institut wurde in Athen eröffnet. Die erste Auslandsreise eines Bundespräsidenten führte nach Griechenland. Und dies vor dem Hintergrund, dass sich die Griechen wie kaum ein anderes Land in Europa im Widerstand gegen die deutschen Faschisten bewährt haben.

pf: Und wie würden Sie den Umgang der deutschen und europäischen Politik mit Griechenland beschreiben?

Papanastasiou: Als der damalige Premierminister Papandreou eine Volksabstimmung über die Maßnahmen der Troika vorschlug, da dampfte es plötzlich in den Regierungen Europas, weil sie genau wussten, was dann passieren würde.

pf: Wie ist das zu verstehen?

Papanastasiou: Muss man es nicht als Staatsstreich bezeichnen, wie es eine deutsche Zeitung getan hat, wenn die demokratischen Entscheidungen eines Landes von den anderen Ländern in Europa nicht akzeptiert werden? Ein anderes Beispiel: Vor den Wahlen im Juni 2012 veröffentlichten deutsche Zeitungen Kommentare auf Griechisch. Sie drohten der griechischen Bevölkerung, sollte sie die Falschen in die Regierung wählen.

pf: Es hat ja offenbar gewirkt.

Papanastasiou: Dabei könnte Syriza die politische Kraft werden, die verschiedene Menschen in Griechenland zusammenbringt, die die Korruption bekämpft und die Steuerzahlungen durchsetzt. Syriza wird von vielen Menschen unterstützt, die auf der Suche nach fähigeren Politikern sind. Das ist eine Hoffnung.

pf: Könnte Syriza denn gegen den Willen der EU und Deutschland überhaupt ihre Politik durchsetzen, wenn sie gewählt würden?

Papanastasiou: Wenn Europa eine Vereinigung demokratischer Länder ist, dann müssen die anderen Länder auch demokratische Entscheidungen akzeptieren. Man kann dann nicht nur die Entscheidungen eines Landes akzeptieren, wenn die eigene Schwesterpartei ein Land regiert. Deshalb müsste auch die CDU hier mit der Wahl von Syriza einverstanden sein, wenn das griechische Volk sie gewählt hat.

pf: Ist das nicht sehr optimistisch?

Papanastasiou: Der Populismus vieler Politiker hier führt zur Feindlichkeit gegenüber der Idee der Integration Europas. Würde man in den südlichen Ländern eine Volksbefragung über die Politik der Troika durchführen, befürchte ich, dass die Menschen sagen: Mit so einem Europa wollen wir nichts zu tun haben. In einem Radiogespräch mit Geisteswissenschaftlern und Ökonomen hörte ich einmal jemanden sagen, dass ein Auseinanderbrechen Europas Krieg bedeuten könnte. Wissen Sie, diese Angst habe ich auch.

pf: Eine Befürchtung, die ja selbst Helmut Kohl kürzlich äußerte, als er den Zusammenhalt Europas als eine Frage von Krieg und Frieden bezeichnete. Welche Hoffnung haben Sie denn noch für Europa?

Papanastasiou: Ich komme viel in Europa herum. Die Menschen sind sich sehr ähnlich. Europa hat viele gemeinsame, Jahrtausende alte Wurzeln. Die griechische Philosophie ist davon eine. Meine Hoffnung ist, dass die Menschen sich als Europäer begreifen, als Menschen eines großen Landes.

pf: Herr Papanastasiou, das ist ein schönes Schlusswort. Aber erlauben Sie noch eine abschließende kulinarische Frage: Was ist ihr liebstes Gericht in ihrem Restaurant?

Papanastasiou: Bifteki kann ich sehr empfehlen.

Pf: Dann bestelle ich Bifteki. Vielen Dank für das Gespräch und ihre Zeit.

Kostas Papanastasiou, 1937 in Griechenland geboren, ist Schauspieler, Liedermacher und Gastwirt. Einem größeren Publikum wurde er als Panaiotis Sarikakis, Betreiber des Restaurants in der „Lindenstraße“ bekannt. Wir trafen ihn in seinem Restaurant „Terzo Mondo“ in Berlin.