18.11.2013

Auf der richtigen Seite?

Marty Huber, Queering Gay Pride. Zwischen Assimilation und Widerstand. Wien, 2013, 280 S., 19, 80 €

Bodo Niendel

Marty Huber hat einen spannenden Beitrag zu Sinn und Unsinn von Christopher Street Days vorgelegt. Sie beleuchtet die CSDs bzw. Gay Prides (CSDs werden international als Gay Prides bezeichnet) in Amsterdam, Wien, Budapest und Belgrad. Die Autorin hat einen hohen Anspruch, sie setzt die Demonstrationen/Paraden in den theoretischen Bezug zur Queer Theorie und dem neoliberalen Umbruch der letzten Jahrzehnte. Bis man zum Konkreten, der Analyse der Gay Prides, gelangt, wird Theorie produziert und die hat es in sich. Die ersten 120 Seiten sind ein Parforceritt durch die queere Theorie und dieser gehört zum Besten, das ich in diesem Zusammenhang gelesen habe. Butler, Deleuze, Althusser, Derrida und Foucault werden abgeklopft. Was haben die theoretischen Schwergewichte zum Subjekt, zu Ideologie und den Bedingungen von Anerkennung, die einen Raum für eine nichtheteronormative Praxis eröffnen, zu sagen? Hier entwickelt sie ihre Hypothese, dass „single-issue politics[1]“ in eine Sackgasse führen wird, da Macht nicht in der Vielfältigkeit der Herrschaftsverhältnisse reflektiert wird. Erst zum letzten Drittel des Buchs wird sich den Gay Prides zugewandt.

Hubers Beschreibungen der osteuropäischen Demonstrationen in Belgrad und Budapest sind bedrückend. Dort finden die Gay Prides, soweit sie von der Polizei nicht untersagt werden, unter einer massiven Abschottung von der Öffentlichkeit statt. Polizeikordons, weiträumige Absperrungen, Verbannung in Außenbezirke und die Bedrohung durch Rechtsextremisten sowie Polizei- und Behördenwillkür lassen erschauern. Huber zeigt, dass sich keine westlichen Modelle, ein Gay Pride als Melange aus Party und (manchmal nur halbgarer) Politik, nach Belgrad oder Budapest exportierten lassen. Die Bedingungen sind vollkommen unterschiedlich. In Osteuropa sind die AktivistInnen gezwungen eigene und neue Strategien zu entwickeln, um Öffentlichkeit herzustellen und um Anerkennung zu ringen. Trotz der Widrigkeiten entstehen so auch Chancen, die eingetretenen Pfade der (westlichen) Identitätspolitik zu verlassen. Hier entstehen neue performative Praxen, die zum Nachdenken anregen, weil sie eben nicht nur auf ein „single issue“, ein einzelnes Thema setzen.

Huber kritisiert scharf ein paternalistisches Verhalten von westlichen Gay Pride Organisatoren (zumeist sind es schwule Männer), die lediglich ihre westlichen Modelle exportieren wollen. Hubers Buch ist eine anspruchsvolle und anregende Lektüre die vielen CSD-OrganisatorInnen geraten sei, um die eigenen Politiken zu hinterfragen, dabei fasse ich mir als Vorstandsmitglied des Berliner CSD auch an die eigene Nase. Befremdlich finde ich hingegen die vereinfachende Bezugnahme zu Butlers Berliner CSD Eklat, weil Hintergründe des Eklats nicht beleuchtet werden und zum No-Homonationalism-Konzept von Jasbir Puar, weil grobschlächtig, im Gegensatz zur sonst sehr präzisen Ausarbeitung, argumentiert wird. Beide Aspekte firmieren in den neueren Queer-Theorie-Arbeiten als Chiffre: Man steht auf der richtigen Seite. Abgesehen davon ist die voraussetzungsvolle Arbeit von Huber ein gelungener Beitrag zu einer reflektierenden Praxis. Man muss die Argumente nicht teilen, aber man sollte sie abwägen.

Bodo Niendel, Referent für queer- und Gleichstellungspolitik der Bundestagsfraktion DIE LINKE.

Links:

  1. http://en.wikipedia.org/wiki/Single-issue_politics