Rütteln sollte man schon am Zaun

Robert Stadlober im Gespräch über Musik, Ästhetik des Widerstandes und zivilen Ungehorsam

Katja Kipping

prager frühling: Robert, du warst gerade auf Tour mit deiner Band. Wie war‘s?

Robert Stadlober: Es gab tolle Konzerte mit super Stimmung, z.B. im Dresdner Klub Ostpol. In mancher Stadt gab es fantastische junge Leute, die unentgeltlich Konzerte organisieren. So eine Tour hat natürlich auch anstrengende Seiten. Viele Nächte haben wir zu fünft in einem Hostelraum verbracht.

pf: Das klingt lustig, aber nicht nach klingenden Kassen.

Stadlober: Naja, wir haben keine Gewinne gemacht, aber konnten endlich mal das Minus auf unserem Bandkonto ausgleichen. Die meisten Bands existieren ja nicht zum Geld verdienen. Man ist schon froh, wenn die Tour-Kosten gedeckt sind und es nicht jeden Abend nur Reis mit Bohnen gibt. Eigenartiger Weise macht kaum noch jemand Spaghetti mit Tomatensoße.

pf: Was unterscheidet das von dir mit gegründete Musik-Label Siluh von konventionellen?

Stadlober: Abgesehen von einer halben Stelle wird das Label komplett ehrenamtlich betrieben. Wir haben uns im besten Sinne als Kollektiv zusammen gefunden. Die Idee ist, einen Ort zu schaffen, an dem Leute Musik machen können, ohne dass ihnen groß reingeredet wird. Wir beraten zusammen, aber es gibt kein Reinregieren. Wer ein Rockstar werden und später Hotelzimmer zerlegen möchte, ist bei uns falsch. Jede Band, die bei uns mitmacht, muss genauso hart arbeiten.

pf: Wo siehst du gegenwärtig interessante Entwicklungen in der Musik?

Stadlober: Als ich so 14 war, waren die Szenen streng getrennt. Es gab die Hip-Hop- und die Indie-Betonköpfe. Das ging streng bis zu den Klammotten. Heute fallen die Grenzen zwischen den Sphären. Daraus entstehen schöne Symbiosen. Es gibt zwei Arten Musik zu machen und wahrzunehmen: erstens eine hochprofessionelle, wo es eher um den Gebrauchswert und nicht um die Kunst geht, und dann gibt es HörerInnen und Bands, denen es um wirkliche Musik geht. Bei letzteren ist oft von vornherein klar, dass die Bands damit nicht ihren Lebensunterhalt bestreiten können.

pf: Warum, weil das am Geschmack der Massen vorbeigeht?

Stadlober: Eher weil die Kanäle verstopft sind. Es gibt zwar viel Geld in der Musikbranche, aber das ist konzentriert. Früher gab es noch mehrere mittelgroße Indie-Labels. Die sind fast alle verschwunden.

pf: Bietet das Internet nicht neue Möglichkeiten zur Verbreitung?

Stadlober: Könnte man meinen, aber auch in der ach so schönen freien Internetwelt ist es schwer, Aufmerksamkeit zu erwecken. Viele vermeintlich authentische Blogs sind inzwischen durchkommerzialisiert. Wir bekommen immer wieder Angebote, für die und die Summe können wir eure Musik über unseren Blog featuren oder für die und die Summe sorgen wir dafür, dass eure Clips eine entsprechende Klickzahl aufweisen. Auch im Netz spiegeln sich inzwischen die ökonomischen Unterschiede wieder.

Stadlober: Wie hältst du es mit dem Urheberrecht?

Stadlober: Das mag vulgär-marxistisch klingen. Aber solange ich mein Brot noch bezahlen muss, brauche ich auch eine Einnahme. Wenn wir uns auf eine Gesellschaft einigen, in der es heißt, alles für alle und zwar umsonst oder es gäbe irgendeine Form einer allgemeinen sozialen Absicherung, dann sähe das schon anders aus.

pf: Du hast den Roman „Die Ästhetik des Widerstandes“ von Peter Weiss als Hörbuch eingesprochen. Das ist ein großartiger aber auch nicht gerade leichter Text.

Stadlober: Mit 16 habe ich mich zum ersten Mal daran gewagt, den Roman zu lesen, und habe damals schon geahnt, dass da viel drin steht, was ich erst in 20 Jahren verstehen werde. Als Karl Bruckmaier dann mit der Projektidee kam, war ich erstaunt, aber auch erfreut, da die Werke von Weis ja leider etwas in Vergessenheit geraten sind. Und es gehört zu den positiven Seiten, wenn man ein bisschen prominent ist, dass man wichtige Dinge bekannter machen kann.

pf: Welche Episoden aus dem Romanepos haben sich besonders in dein Gedächtnis gebrannt?

Stadlober: Naja, die Szene vor dem Pergamonaltar ist wohl für jeden ein echter Brocken, dessen Aneignung einen wahrlich vor Herausforderungen stellt. Und die Schilderungen der antifaschistischen Zelle im Gefängnis Plötzensee ist sehr bewegend. Generell klingt im Buch durch, wie sehr Kunst für widerständische Menschen, aber auch generell, etwa in existentiellen Krisen oder Zeiten des Zweifels eine Quelle der Erbauung sein kann.

pf: Wo siehst du heute Ansätze einer widerständischen Ästhetik?

Stadlober: In allen möglichen Subkulturen. Groß geworden bin ich mit Bands, die im Antifa-Milieu verortet waren. Da war das aber alles noch sehr homogen. Aber heute gibt es auf einmal Bands wie Frittenbude oder Egotronic, die aus einem ähnlichen antideutschen Hintergrund kommen. Zu deren Musik springen mittlerweile tausende Jugendliche mit und werden wahrscheinlich erst nach und nach durch die Texte politisiert. Vor zehn Jahren hätte ich das noch nicht so formuliert. Aber heute fang ich an zu glauben, dass eine eher auf den Feiercharakter ausgelegte Musik, mit entsprechenden Texten mehr an Politisierung bewirkt als durchintellektualisierte Gender- oder Veganismus-Debatten, wo man für jeden Diskurs, in den man eintritt, unglaublich viel diskursives Vorwissen mitbringen muss.

pf: Und wo siehst du Ansätze widerständiger Politik?

Stadlober: Aktionen wie die Anti-Nazi-Blockaden in Dresden oder die Blockupy-Proteste in Frankfurt/Main, die auf Mittel des zivilen Widerstandes setzen. Solche Aktionen würde ich immer wieder unterstützen.

pf: Beides Aktionen, an denen auch Redakteure vom prager frühling beteiligt sind, die aber auch immer wieder mit Kriminalisierungsversuchen konfrontiert sind.

Stadlober: Wie sagt doch der Schriftsteller Raul Zelik so schön anlässlich der G8-Proteste: Solange nicht am Zaun gerüttelt wird, solange merkt Frau Merkel doch gar nicht, dass es draußen Proteste gibt. Rütteln sollte man schon am Zaun.

pf: Für reichlich Furore hat deine Antwort bei der Talksendung „Drei nach Neun“ auf eine Frage von Giovanni di Lorenzo nach brennenden Autos gesorgt. Hast du diese Debatte bewusst angestoßen?

Stadlober: Wenn klar gewesen wäre, dass es um solche Fragen geht, wäre ich da sicher noch mal anders herangegangen. Aber im Vorgespräch hieß es, es gehe nur um einen Plausch um meinen neuen Film. Und plötzlich war ich aus dem Nichts mit dieser Frage konfrontiert. Da wollte ich dann keine entschuldigende Antwort geben, sondern eine Gegenfrage aufwerfen – und zwar die nach den politischen Hintergründen. Die Boulevardpresse hat daraufhin versucht, eine Kampagne gegen mich zu starten. Die hat aber nicht wirklich funktioniert.

pf: Bekannt geworden bist du als Schauspieler. In Portraits über dich heißt es, du bevorzugst „nicht publikumsgefällige Filme“. Was macht einen guten Film aus?

Stadlober: Natürlich hoffe ich immer, dass Filme, an denen ich mitwirke, ein Publikum finden. Mir geht es beim Lesen des Drehbuchs darum, zu schauen, ob diese Filme irgendetwas mit den ZuschauerInnen machen. Das meine ich ausdrücklich nicht im Sinne von Agitprop. Filme können durchaus eskapistisch sein. Aber es geht um irgendeine Form von Erkenntnis.

pf: Wie schätzt du die deutsche Filmförderkultur ein?

Stadlober: Das ist ähnlich wie bei der Musik. Bestimmte Leute sitzen an bestimmten Hebeln und die haben FreundInnen. Mein naives Verständnis ist, dass vor allem Projekte gefördert werden sollten, die nicht von sich aus auf dem freien Markt bestehen können aber einen Gehalt haben. Also Filmförderung als Kulturförderung und nicht als reine Wirtschaftsförderung.

pf: Du verdienst Geld als Schauspieler, bist in verschiedenen Filmprojekten beteiligt, betreibst ein unabhängiges Musiklabel und gehst ab und zu mit deiner Band auf Tour. prager frühling beschäftigt sich u.a. mit den Verschiebungen in der Arbeitswelt, deswegen habe ich noch eine abschließende Frage: Was verbindest du mit dem Begriff Arbeit?

Stadlober: Mein Vater ist Schichtarbeiter mit Tages- und Nachtschichten. Seine Lebensrealität ist wohl noch am ehesten am klassischen Arbeitsbegriff dran. Was ich mache, ist auch irgendwie Arbeit, aber ich versuche, es nicht dazu werden zu lassen. Ich bin oft 16 Stunden am Tag tätig, aber das tue ich gern. Ich kenn in meinem Umfeld – aber das ist bestimmt auch ein spezieller Kosmos – kaum jemanden, der im klassischen Sinne arbeitet. Nur wenn einer meiner Freunde in einer Bar jobbt, dann sagt er, ich gehe heute auf Arbeit. Es schlägt sich halt jeder irgendwie durch und versucht den althergebrachten Arbeitsfetisch so weit es geht zu vermeiden und sein Leben mit etwas zu füllen, was vielleicht ein bisschen mehr ist.

Robert Stadlober versucht sich als Schauspieler, Labelbetreiber, Musiker und vor allem und in erster Linie immer noch an dem, was das Leben sein könnte. Mal mehr, mal weniger erfolgreich aber immer mit der Hoffnung, dass es irgendwann so wird, wie wir es uns doch alle erhoffen. Das Interview führte Katja Kipping.