Luft verkaufen

Vom Drang sich zu behumsen und der Bereitschaft, sich auch selbst behumsen zu lassen

Uwe Schaarschmidt

Eigentlich habe ich genug Schwachsinn für zwei Leben hinter mir, dachte ich. Aber dann war‘s doch bloß die Hälfte. Spätestens seit „die Krise“ ausgebrochen ist, weiß ich, dass es immer noch ein wenig blöder geht. Schlecht gelaunt und kopfschüttelnd habe ich dagesessen, als selbst Freunde, die ich als vernünftige Menschen schätzte und mit denen ich so manches Bier auf den Sozialismus getrunken hatte, plötzlich Aktien kauften. Ende der 90er Jahre war das. Einer kaufte welche von der Telekom, ein anderer Wertpapiere eines Musikvertriebes. Ich saß da, wunderte mich, schaffte mein Geld wie gewohnt ins Wirtshaus sowie zu den Fluggesellschaften, die mich wenigstens für einige Wochen im Jahr dorthin trugen, wo ich den ausbrechenden Irrsinn auch verbal nicht verstand. Ich war viel zu genügsam für derartige Experimente. Jede Perspektive jenseits von Cäsarenwahnsinn und einem Leben unterm Brückenbogen schien mir akzeptabel. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Damals konnte man es Zeile quer und Spalte senkrecht in den Zeitungen lesen und in den Zeitschriften erst Recht: die Deutschen seien Aktienmuffel, konservativ bis zum geht nicht mehr beim Geldanlegen – das müsse sich ändern. Und das Wunder geschah. Der deutsche Kleinsparer, der traditionell eher dem Kassierer seines SPD-Ortsvereins etwas schenken, als der Sparkasse etwas borgen würde, wurde zum Aktionär. Er – und sie auch – eröffneten Depots, studierten neben Sport- und Modeseiten nun auch den Wirtschaftsteil der Gazetten und legten sich ein Geschäftsdeutsch zu, das für jeden, der wirklich etwas von der Materie verstand, wie Kneipenböhmisch klingen musste. Es ging nicht gut, jedenfalls nicht so richtig und nicht für die meisten.

„Hach, der Genosse Schaarschmidt, weise wie eh und je, vor allen Dingen hinterher!“ sagen jene Freunde heute zu mir, wenn ich frage, was ihr Engagement auf dem Börsenparkett so gebracht hat – wohl wissend, dass sie um die Hälfte ihrer Ersparnisse gekommen sind. Die so genannte Weisheit war aber vorher da, ich habe sie nur erst später postuliert. Oder um der Wahrheit wirklich genüge zu tun: Jene Weisheit, die mir hin und wieder vorgeworfen wird, ist im Prinzip weiter nichts, als eine ausgeprägte Faulheit, die mich daran hindert, gewisse Dummheiten zu tun.

New Economy nannte sich der altbackene Scheißdreck, den uns Feuilleton, Börsenspiegel und das Vorabendprogramm der ARD in so geballter wie gewollter Einfalt als eine Art brandneues Testament zu verkaufen suchten. Dabei hatte schon Rob Cole, Held des Historienschinkens „Der Medicus“, auf den letzten Wunsch jenes Scharlatans, der ihn in Lehre nahm, auf dessen Grabstein den Satz „Ich habe Luft verkauft“ meißeln lassen. Der Drang der Menschen, sich gegenseitig zu behumsen, schließt die Bereitschaft, sich auch selbst behumsen zu lassen, seit jeher ein. Neu war nur jene Inbrunst, mit der Analysten, Börsenreporter und Finanzexperten Scheinwerte in die Kameras geblubbert und in die Zeitungen geschmiert haben.

Typischer Scheinwert - großer Schein, aber nix wert

„Sie machen aus der menschlichen Kraft Kaufkraft, aus Bewusstsein Markenbewusstsein. Aus menschlicher Schwäche schlagen sie Kapital. Aus dem Geltungstrieb machen sie Geltungssucht. Aus der Lust am Leben machen sie Lust am Kaufen. Die Liebe verkaufen sie als Intimspray. Die Solidarität wird zu Neid und Missgunst. So sang im Jahre 1972 die Kölner Polit-Combo „Floh de Cologne“. Und das ist es, was mich so wütend macht: Dass man es schafft, ganz überrascht zu tun.

Uwe Schaarschmidt schreibt regelmäßig für den prager frühling. Die einzige Börse an die Uwe geht, ist seine Geldbörse … um sein Pils zu zahlen.