Fußball ist politisch

Ein Kommentar für alle, die sich schon auf die Fußball-EM freuen

Katharina Dahme

Wie oft habe ich mich schon über die Behauptung gewundert, Politik habe bei sportlichen Großereignissen nichts zu suchen. Ich gewinne dabei den Eindruck, dass hier eigentlich eine fußballerische Ausformung der Extremismusklausel gemeint ist: Verschont uns doch bitte mit eurem links-rechts-Geschwafel und lasst uns in Ruhe das Gekicke verfolgen. Umso erstaunlicher, dass in letzter Zeit Spieler_innen, Politik- und Sportfunktionär_innen laut über einen Boykott der bevorstehenden Fußball-EM in der Ukraine nachdachten. Mir geht diese Heuchelei einfach nur auf den Keks.

Über das Demonstrationsverbot in Kiew wird sich öffentlich empört, vom Demonstrationsverbot vor der Europäischen Zentralbank im eigenen Land aber geflissentlich geschwiegen. Wie ernst es unseren Sport- und Politikergrößen mit den Menschenrechten ist, war auch gut beim letzten Formel-1-Rennen in Bahrain zu beobachten. Von Boykott, Verlegung oder gar Absage war dort keine Rede. Den Fahrern, Managern und Funktionären kam nicht mal ein leises Wort der Kritik über die Lippen, obwohl noch während der ersten schnellen Runden ein weiterer Demonstrant in unmittelbarer Nähe zur Rennstrecke erschossen wurde. Die politische Instrumentalisierung der Fußball-EM wird mir deswegen kein langes Stirnrunzeln verursachen. Es ist schließlich nicht das erste Mal, dass eine Europameisterschaft politische Konflikte befeuert.

Schon bei der allerersten EM 1960 verzichtete Spanien aus politischen Gründen auf den möglichen Halbfinaleinzug. Der Gegner im Viertelfinale hätte Sowjetunion geheißen, weshalb die faschistische Franco-Regierung die bereits am Flughafen versammelte spanische Nationalmannschaft kurzerhand anwies, nicht zum Spiel in der Sowjetunion anzutreten. Spanien war somit raus und die Sowjets wurden der erste Europameister überhaupt. Bei der folgenden EM 1964 weigerte sich dann Griechenland, die Partie gegen Albanien auszutragen. Der Grund war derselbe: Man befand sich im Kriegszustand und gehörte den verschiedenen Lagern im Kalten Krieg an.

Mit diesem Blick in die Geschichte der EM wird vielleicht verständlicher, weshalb der Präsident der Ukraine den deutschen Scharfmachern auf der Regierungsbank jetzt vorwirft, mit ihren Boykott-Forderungen wie im „Kalten Krieg“ zu agieren. Von diesen durchschaubaren politischen Scharmützeln der Mächtigen werde ich mir meine Vorfreude auf die EM allerdings nicht nehmen lassen. Dann schon eher von grölenden, stark alkoholisierten Deutschland-Fans.

Wie jeder Fußballfan will ich mich auch am schönen Kombinationsfußball und an spektakulären Toren erfreuen. Obwohl ich verstehen kann, dass viele hierzulande der deutschen Mannschaft den Titel gönnen, kann ich selbst fast nur hoffen, dass „unsere Jungs“ nicht Europameister werden. Denn mal ehrlich: Sich einfach nur über die tolle deutsche Nationalelf freuen, die endlich wieder ein großes Turnier gewinnen kann, aber bitte schön ohne Nationalismus, betrunkene Fans und Fahnenmeer, ist leider illusorisch. Zwar ist Fußballpatriotismus keinesfalls nur ein deutsches Phänomen, aber man kann auch nicht ausblenden, welche Auswirkungen ein entsprechender Erfolg haben wird. Deswegen müssen wir, wenn wir über die EM reden, auch über Nationalismus reden. Und sollte Griechenland wider Erwarten bei der EM auf Deutschland treffen, weiß ich schon, für wen ich bin.

Katharina Dahme lebt in Berlin, kommt ursprünglich aus Potsdam und steht regelmäßig im Karl-Liebknecht-Stadion, um ihren Drittliga-Verein SV Babelsberg 03 anzufeuern. Derzeit macht sie ein Praktikum bei einem monatlich erscheinenden Fußballmagazin.