Kein Euro ist auch keine Lösung

Viele Linke erhoffen sich zu unrecht mit einer Renationalisierung mehr wirtschaftspolitischen Spielraum

Ingo Stützle

Vor etwa einem Jahr war Guido Westerwelle zu Besuch beim Weltwirtschaftsforum in Davos. „I hate the word austerity“ gab Westerwelle zu Protokoll und brachte dann genau das zum Ausdruck, was die deutsche Politik ausmacht. Es klinge viel eleganter, wenn man das Wort auf Deutsch ausspreche: Austerität. Das klinge nach Disziplin und deshalb nutze er statt „austerity“ lieber die Formulierung „fiscal discipline“ – und die Deutschen liebten Disziplin. (Mitschnitt hier[1].) Wie Recht er doch leider hat.

Das dem so ist, stellt die Partei DIE LINKE und auch die gesellschaftliche Linke vor viele Herausforderungen. Wenn sich auf der Straße, den Betrieben, den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen und Universitäten, den Kitas und auf dem Jobcenter kaum Protest regt, verspricht eine mögliche Regierungsmacht der LINKEN Gestaltungsfähigkeit. Kein Wunder also, dass trotz einer Großen Koalition sowohl Kräfte in der Partei DIE LINKE, als auch in der SPD signalisieren, dass nach der nächsten Bundestagswahl Rot-Rot-Grün möglich sein soll. Der politische Willen ist also da, die gesellschaftlichen Mehrheiten noch lange nicht.

Neben den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen gibt es jedoch weitere Faktoren, die über Wohl und Wehe von linker Regierungspolitik entscheiden. Neben den institutionellen-bürokratischen Staatsapparaten, die wie ein politischer Filter wirken und räumlich fragmentiert zwischen Stadt/Kommune und der Europäischen Union angesiedelt sind, können auch ökonomische Zwänge disziplinierend auf Regierungspolitik einwirken. Die einen sprechen von „der“ Globalisierung, die anderen von den Finanzmärkten, dem stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse.

Nicht ohne Grund bezeichnete der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank Rolf E. Breuer die Finanzmärkte vor einigen Jahren als „fünfte Gewalt“. Politik, so Breuer, muss „heute mehr denn je auch mit Blick auf die Finanzmärkte formuliert werden.“ Das bedeute für ihn, dass die „berechtigten Interessen in- und ausländischer Investoren, der Wunsch der Finanzmarktteilnehmer nach Rechtssicherheit und Stabilität“[2] respektiert werden müsse. Nicht nur für „Fehlentwicklungen“ in der Finanzpolitik seien die Finanzmärkte „effiziente Sensoren“, weshalb weniger von einer „Disziplinierungsfunktion“ als vielmehr von einer „Wächterfunktion“ der Finanzmärkte gesprochen werden sollte.

Auch der derzeitige Austeritätskurs der Troika aus IWF, EZB und der EU adressiert die Wächter: „Die Finanzmärkte müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Mitgliedstaaten der Union sich die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen als oberstes Ziel gesetzt haben“ – so der ehemalige EZB-Direktor Jörg Asmussen.

Die ‚Wächterrolle’, die scheinbar demokratische Funktion als fünfte Gewalt beurteilen kritische ÖkonomInnen ganz anders. Sie betonen gerade den undemokratischen und disziplinierenden Charakter der globalen Finanzmärkte. Gleichzeitig unterstreichen sie die politische Verfasstheit der ‚Herrschaft des Finanzkapitals’, die erheblichen Einfluss auf den Gestaltungsspielraum der Finanzpolitik habe: in Form von Schuldenbremse, Fiskalpakt und Europäischem Semester.

Die Grenzen des Gestaltungsspielraums mussten nicht nur Länder wie Griechenland oder Spanien in der Finanzkrise anerkennen, als sie exorbitante Zinsaufschläge abdrücken mussten, weil das Kapital aus den Südländern floh. Auch Länder wie Argentinien, die Türkei und andere Schwellenländer sind derzeit dabei, gegen den Herdentrieb der Finanzinvestoren anzukämpfen.[1]

Dieser ökonomische Zwang ist vielen Linken durchaus bewusst. So schrieben jüngst Mario Candeias, Lukas Oberndorfer und Anne Steckner:“Nationalstaatlich beschränkte Politik wird nicht einmal zur Verteidigung sozialer Errungenschaften ausreichen. Und auch für Griechenland unter einer möglichen Linksregierung gilt: Sozialismus in einem Land war schon in weniger transnationalisierten Zeiten ein geradezu unmögliches Unterfangen. Es gibt keine Möglichkeit des Exodus.“

Andere wiederum erhoffen sich mit einem Austritt aus der Eurozone mehr wirtschafts- und finanzpolitischen Spielraum. Ein Spielraum, den linke Parteien natürlich gerne hätten, um ihre alternative Wirtschaftspolitik in die Tat umzusetzen, der aber ein frommer Wunsch bleiben und in einem nationalstaatlichen Rahmen kaum realisierbar sein wird – ganz unabhängig davon, wie man es mit Keynes und seiner wirtschaftspolitischen Alternative hält.[2] Das zeigt ein Blick in die Vergangenheit, als Frankreich einen Versuch gegen den neoliberalen Trend wagte und grandios scheiterte: Am selben Sonntag im März 1983, an dem Helmut Kohl seine erste Wahl zum Bundeskanzler gewann, war der Hoffnungsträger der französischen Linken, François Mitterrand, am Ende. Bei den Kommunalwahlen hatten seine Sozialisten eine herbe Schlappe einstecken müssen, die Folge von steigender Arbeitslosigkeit und Inflation. Mitterrand brach daraufhin das keynesianisch-sozialistische Experiment ab, das er nach seiner Wahl zum Präsidenten 1981 begonnen hatte.

Erst am Rand, dann nicht mal mehr Mitte: Mitterand.

Mitterrands Scheitern ist ein spannender Fall, um Sinn und Unsinn des Euro-Austritts zu diskutieren, wie er momentan nicht nur von rechten Parteien wie der Alternative für Deutschland (AfD), sondern auch von links gefordert wird.[3] Man müsse „die einheitliche Währung aufgeben und zu einem System zurückkehren, das wie beim Vorläufer der Europäischen Währungsunion, dem Europäischen Währungssystem (EWS), Auf- und Abwertungen erlaubt“, so Oskar Lafontaine im April 2013.[4] Frankreich war aber zu Mitterrands Zeiten im EWS. Die mangelnden Möglichkeiten, die dieses damals Paris bot, waren der Hauptgrund für den französischen Präsidenten, stattdessen auf eine gemeinsame europäische Währung zu drängen. Verbunden mit einer gemeinsamen Geldpolitik seien ohne diese die europäischen Staaten „dem Willen der Deutschen unterworfen“.

Das EWS sorgte ab 1979 bis zur Gründung des Euro für relativ stabile Wechselkurse in Europa. Zugleich erlaubte es Ländern, ihre Währung abzuwerten, wodurch Exporte billiger und damit eher nachgefragt wurden. Genau diese „Flexibilität“ sehen viele Eurokritiker heute als Vorteil. Eine Abwertung könne fehlende Wettbewerbsfähigkeit ausgleichen. Im EWS waren solche Abwertungen nur nach politischer Übereinkunft möglich, wobei Deutschland aufgrund seiner wirtschaftlichen Stärke den Ton angab. Deshalb bedeutete bereits das EWS „eine weitgehende Aufgabe“ der „geldpolitischen Autonomie“ der EWS-Mitgliedstaaten, so der damalige Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl. Die Bundesbank bestimme, so Pöhl, „bis zu einem gewissen Grade nicht nur die monetären Rahmenbedingungen in Deutschland, sondern auch in den europäischen Ländern, die sich an der D-Mark orientieren. Dies gilt vor allem für die Länder, die am Wechselkursmechanismus des EWS teilnehmen und die sich zunehmend so verhalten, als befänden wir uns bereits in einer Währungsunion“

Mitterrands „Keynesianismus in einem Land“ hatte 1981 mit der Verstaatlichung von zwölf Unternehmensgruppen und 39 Banken und Finanzinstitutionen begonnen. Der Staat besaß danach 13 der 20 wichtigsten französischen Unternehmen. Gleichzeitig wurde der Mindestlohn um 10 Prozent erhöht, die Mindestrente um 20. Im öffentlichen Dienst schuf der Staat 150.000 neue Stellen. Zum Problem wurden die Kosten. Die öffentlichen Ausgaben stiegen zwischen 1981 und 1982 um fast 12 Prozent, allein 1982 wuchs das staatliche Defizit um fast 3 Prozent.

Der Regierung Mitterrand war klar, dass das keynesianische Experiment mit einer Stabilisierung der Währungsverhältnisse flankiert werden musste. Frankreich war hinsichtlich der außenwirtschaftlichen Abhängigkeit nicht so naiv wie oft vermutet wird – allerdings nach dem Ende von Bretton Woods international sehr isoliert. Das Land plädierte nun für die Neuauflage eines solchen Systems fester Wechselkurse, fand aber einen seiner wichtigsten Gegenspieler in Deutschland – unter anderem in Karl Otto Pöhl.

Aufgrund der fehlenden Koordinierung der Wechselkurse halbierten sich die französischen Devisenreserven von 1981 bis 1983 auf 30 Milliarden Franc. Frankreich musste seine unter Druck geratene Währung allein stützen, mit seinen Währungsreserven Franc aufkaufen. Als die Devisen zur Neige gingen, blieb nur eine Abwertung des Franc. Gegenüber der D-Mark sank sein Wert in zwei Jahren um 27 Prozent, womit auch der Spielraum der Politik schwand. Zum einen wurden die Importe teurer, was die Inflation befeuerte. Mit der schwindenden Konkurrenzfähigkeit Frankreichs stiegen die Importe um 40 Prozent, das Handelsbilanzdefizit Frankreichs hatte einen historisch einmalig schlechten Wert. Dies hing auch mit der gezielten Unterbewertung der D-Mark durch die Bundesbank zusammen, die den deutschen Export befeuern sollte.

Auch wenn Frankreich 1983 unter Druck stand, war es nicht selbstverständlich, dass es sich den neuen Bedingungen beugte. Mitterrand ließ alternative Optionen prüfen. Sein außenpolitischer Berater Jacques Attali schlug einen aggressiven Kurs gegenüber Deutschland vor: Würde nach der Bundestagswahl die D-Mark nicht aufgewertet, solle Frankreich das EWS verlassen und den Kurs des Franc freigeben. Mitterrand fürchtete aber, dass sich bei einem EWS-Austritt die Bedingungen für Frankreich weiter verschlechtern würden.

De facto hatte Frankreich zwei Optionen: entweder den Franc weiter abzuwerten oder Zinssenkungen der Bundesbank beziehungsweise eine Aufwertung der D-Mark. Auf freiwilliges Nachgeben Deutschlands konnte Mitterrand aber nicht rechnen. Finanzminister Jacques Delors warf Deutschland daher politische Arroganz vor: ein Vorwurf, den man in Bonn ungern hörte. Frankreich wollte so Deutschland eine gewisse Kooperationsbereitschaft abringen – was auch gelang. Nicht nur wurde der Franc schließlich um 2,5 Prozent abgewertet, gleichzeitig erfuhr die D-Mark eine Aufwertung um 5,5 Prozent. Deutschland machte seine Aufwertung aber von einem französischen Austeritätskurs abhängig. Laut Libération gehörten dazu Haushaltskürzungen um 20 Milliarden Franc.

Ab 1983 wurde somit nicht nur deutlich, dass gegen den kapitalistischen Weltmarkt keine Politik zu machen war, sondern auch nicht gegen Deutschland als stärkster Wirtschaftsmacht Europas. Ähnliches erfuhr Großbritannien Anfang der 1990er Jahre. Mit einer Auflösung des Euro wäre daher nicht viel gewonnen, solange nicht die Zielsetzung der europäischen Wirtschaft selbst infrage gestellt wird: die Steigerung von Wettbewerbsfähigkeit und die Ausrichtung an Profitabilität. Eine Debatte, die entlang der Frage geführt wird, ob der Euro abgeschafft gehört, ist da wenig hilfreich.

Dennoch könnte sie ungewollt im Raum stehen, wenn die politischen Mehrheitsverhältnisse in Griechenland kippen. Derzeit führt die Linkspartei Syriza die Umfragen an. Im Frühjahr sind dort Kommunalwahlen und der amtierende Ministerpräsident Antonis Samaras hat schon durchblicken lassen, bei einer herben Wahlniederlage Neuwahlen anzusetzen. Syriza hat bereits angekündigt, den Spieß umzudrehen, sich nicht weiter von der Troika erpressen lassen, sondern den Euro selbst zu erpressen: Sollte der EZB und Deutschland am Euro etwas liegen, müssten sie Griechenland große Zugeständnisse machen, schließlich ist dort eine breite Bewegung und Gegenmacht entstanden, die auf Selbstorganisierung und solidarische Ökonomie setzt und sich nicht länger dem Diktum der Sparsamkeit und Wettbewerbsfähigkeit unterwerfen will.[5]

„Gelänge es dem Bündnis der radikalen Linken, Syriza, dem drakonischen Kürzungs- und Wettbewerbsdiktat wirksamen Widerstand entgegenzusetzen, droht ein politischer Dominoeffekt“, so Mario Candeias, Lukas Oberndorfer und Anne Steckner.[6] Ob die Linke in Deutschland allerdings für den Stein des Anstoßes bereit ist, ist mehr als fraglich. Zeit, sich transnationalen Fragen zu stellen und europäische Antworten zu formulieren – jenseits der Fixierung auf die EU-Institutionen und nationalen Parlamente.

Ingo Stützle ist Redakteur bei der linken Monatszeitung ak – analyse & kritik[3] und der sozialwissenschaftlichen Zeitschrift Prokla[4] 2013 erschien von ihm „Austerität als politisches Projekt. Von der monetären Integration Europas zur Eurokrise“. Er bloggt hier[5].

Nachweise

[1] http://www.michael-schlecht-mdb.de/zockerei-bedroht-schwellenlander-und-uns.html

[2] http://stuetzle.cc/2009/12/to-be-or-not-to-be-a-keynesian-ist-das-die-frage-kritik-und-grenzen-wirtschaftspolitischer-alternativen-ingo-stuetzle/

[3] Viele Beiträge oder Links finden sich unter http://www.neues-deutschland.de/rubrik/debatte

[4] http://www.oskar-lafontaine.de/links-wirkt/details/f/1/t/wir-brauchen-wieder-ein-europaeisches-waehrungssystem/

[5] Siehe hierzu den Beitrag von Eva Völpel: http://www.vsa-verlag.de/nc/buecher/detail/artikel/plaetze-sichern

[6] http://www.neues-deutschland.de/artikel/923215.neugruendung-europas.html

Links:

  1. https://www.youtube.com/watch?v=BMXWY3oqG0c
  2. http://www.zeit.de/2000/18/200018.5._gewalt_.xml/komplettansicht
  3. http://akweb.de/
  4. http://www.prokla.de/
  5. http://www.stuetzle.cc/blog