Mein Bauch gehört nicht mir, sondern einem konservativen Arschloch

Wie im Europäischen Parlament die Stärkung sexueller und reproduktiver Gesundheit verhindert wird

Marie Wendland
Sein Bauch gehört ihm ...

Großes Tohuwabohu war am 22. Oktober 2013 bei der Sitzung des Europäischen Parlamentes (EP) in Straßburg angesagt. Grund dafür war der erstmals im Plenum vorgestellte Initiativbericht der portugiesischen Abgeordneten Edith Estrela. Er trug den Namen „Sexuelle und reproduktive Gesundheit und die damit verbundenen Rechte“[1].

Abgeordnete können in Ausschüssen sogenannte Initiativberichte entwerfen, welche dann dem Parlament vorgestellt werden. Finden die Abgeordnete den Bericht gut und stimmen zu, wird er der Kommission vorgelegt. Diese muss darauf reagieren. Der formalen Form entsprechend kommen erst Verweise auf Berichte, Resolutionen und andere wichtige Texte zu diesem Thema. Darauf folgen Erwägungen und Erkenntnisse, die deutlich machen sollen, warum so ein Bericht wichtig ist. Zum Schluss kommt das Wichtigste: die Forderungen an die Europäische Union.

... ihr Bauch gehört ihr.

SRHR? WTF?

Der Bericht bezieht sich gleich am Anfang auf die Schlusserklärung und das Aktionsprogramm der Internationalen Konferenz für Bevölkerung und Entwicklung (ICPD) 1994 in Kairo. Dort wird sexuelle und reproduktive Gesundheit als ein Zustand des physischen, mentalen und sozialen Wohlbefindens in Zusammenhang mit der individuell ausgelebten Sexualität verstanden. Jede Person hat das Recht selbst zu entscheiden wann, wie oft und in welcher Form sie Sex hat.

Alle Menschen sollen, egal welchen Alters, einen freien Zugang zu Informationen über Sexualität, aber auch zu sicheren Maßnahmen der Familienplanung und medizinischer Versorgung vor, während und nach einer Schwangerschaft haben. Dieses Aktionsprogramm, welches von 180 Staaten unterzeichnet wurde, hält fest, dass sexuelle und reproduktive Gesundheit und damit verbundene Rechte (SRHR)[1] Menschenrechte sind und in nationalem wie auch internationalem Recht festzuschreiben sind.[2]

Nur ihr Bauch gehört einem konservativen Arschloch.

Die den Bericht einleitenden Verweise und Erwägungen lassen das feministische Herz höher schlagen. Die SRHR gelten für alle Menschen, egal welcher Herkunft, sozialen Stellung oder sexueller Orientierung. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die parlamentarische Verpflichtungserklärung zur Durchführung des ICDP-Aktionsprogramms[3] und viele andere Hinweise unterstreichen die Grundlage und die Verankerung dieses Themas innerhalb der EU.

Gleichstellung der Geschlechter ist durchaus eine präsente Forderung innerhalb der EU. Dennoch betont die Berichterstatterin, dass die faktische Ungleichbehandlung in Verbindung mit weit verbreiteten und immer wieder reproduzierten stereotypen Ansichten über Geschlechter eine große Hürde für die Umsetzung von SRHR darstellen.

Das Herzstück - die kontroversen Forderungen

Die Forderungen der Berichterstatterin sind durchdacht. Die SRHR stellen ein grundlegendes und unumstößliches Element der Menschenwürde dar. Zum Schutz der Menschenwürde sei es notwendig, dass reproduktive Wahlmöglichkeiten in einem diskriminierungsfreien Raum zur Verfügung stehen. Ziel sei, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch durchzusetzen. Das Mindestmaß an Menschenwürde, schlussfolgert der Bericht, seien legale Schwangerschaftsabbrüche nach einer Vergewaltigung oder wenn die Schwangerschaft eine Gefahr für das Leben der Frau darstellt. Gefordert wird ebenfalls eine umfassende und altersgerechte Sexualerziehung in Schulen, eine EU-weite Datenerfassung über sexuelle und reproduktive Gesundheitsindikatoren und einen Ausbau der Prävention und Behandlung von sexuell übertragbaren Krankheiten.

Als Argument gegen den Bericht wurde die Pappkameradin, der nicht beachteten Subsidiarität, aufgestellt. Die EU solle sich nicht in die Gestaltung nationaler Gesundheitspolitik einmischen. Das entkräftende Argument liefert der Bericht selbst. Obwohl nicht im Befugnisbereich der EU, hätte solch ein Beschluss bewirkt, dass die EU offiziell unterstützend zur Seite stehen könnte.

Die europäische Bürger_Inneninitiative „One of Us“ hat im Vorfeld mächtig Stunk gemacht. Bis zum 1. November 2013 sammelte sie insgesamt und europaweit 1.897.588 Unterschriften, für das Ziel, dass die EU keine Gelder zur embryonalen Stammzellenforschung und für Schwangerschaftsabbrüche zur Verfügung stellt. Den Begriff der SRHR sehen sie als Umschreibung für Mord an „ungeborenem Leben“[4]. Die Basis dieser Initiative ist erzkonservativ. Botschafter_innen wie Papst Franziskus, aber auch z.B. die CDU Landes- und Fraktionsvorsitzende von Rheinland-Pfalz, Julia Klöckner, werben für sie. Verschiedene Websites boten an, vorgefertigte Texte an Europaabgeordnete zu verschicken. Parlamentarier bekamen tägliche mehrere Tausend Stück dieser Texte, viele gespickt mit wüsten Drohungen und Sätzen wie „Können Sie das vor Gott verteidigen? Wie können Sie Mord nur zustimmen? Sie wird eine gerechte Strafe treffen!“

Der öffentliche Druck durch die Petition, Demonstrationen und die teils einseitige mediale Darstellung des Berichts hatten einen großen Einfluss darauf, dass der Bericht bei der ersten Lesung im Parlament im Oktober in den Ausschuss zurückverwiesen wurde. Dort wurde er noch einmal bearbeitet und mit kleinen Änderungen dem Plenum im Dezember erneut vorgelegt, wo er mit einer sehr knappen Mehrheit von nur fünf Stimmen wieder abgelehnt wurde.

Schöne Scheiße! Damit wurden der Gleichstellung wieder einmal riesige Brocken in den Weg gelegt. Aber auch der Forderung nach einer unvoreingenommenen, wissenschaftlichen und altersentsprechenden Sexualerziehung wurde durch die Ablehnung des Berichts eine Abfuhr erteilt. Um Gleichstellung nicht nur auf dem Papier zu bejahen muss sie auch endlich voll und ganz umgesetzt werden. Und dazu gehört eben auch die Entscheidung über den eigenen Körper. Und die individuelle Familienplanung.

Nachzulesen gibt es den ganzen Estrela-Bericht hier[2].

Marie Wendland ist in der Linksjugend Sachsen organisiert und regt sich leidenschaftlich gerne über feministische Themen auf. Sie dankt den fleißigen Bienchen, die diesen Artikel ermöglicht haben.

Nachweise

[1] Sexual and Reproductive Health and Rights

[2] Vgl. http://www.unfpa.org/public/home/sitemap/icpd/International-Conference-on-Population-and-Development/ICPD-Programme;

Vgl. http://www.weltbevoelkerung.de/informieren/unsere-themen/sexuelle-und-reproduktive-gesundheit/mehr-zum-thema/reproduktive-gesundheit.html

[3] Siehe: http://www.unfpa.org/public/cache/offonce/home/sitemap/icpd/International-Conference-on-Population-and-Development/ICPD-Programme;jsessionid=3CDADEC63721FF4A9AF48F992BD0FF34.jahia01

[4] Vgl. http://www.1-von-uns.de/typo3/index.php?id=23

Links:

  1. http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+REPORT+A7-2013-0306+0+DOC+XML+V0//DE
  2. http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+REPORT+A7-2013-0426+0+DOC+XML+V0//DE